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Gesetze in DeutschlandWissen ist Recht

Gastkommentar von Andreas Gran

Eine wirklich freie Gesellschaft braucht in Rechtsfragen kompetente Bürgerinnen und Bürger. Heißt: Das juristische Basiswissen muss gestärkt werden.

Hier ist die Ungleichheit augenfällig: zwei unterschiedlich große Kuchenstücke Foto: Lubitz + Dorner/plainpicture

R echt haben, recht geben, im Recht sein – das sind allesamt Redewendungen, mit denen wir ausdrücken, was wir als Recht empfinden, also uns „im Recht fühlen“. Fühlen können das nämlich alle. Wissen davon haben aber nur wenige, dabei wäre ein leichteres Zurechtfinden in Tausenden von Gesetzen und Verordnungen angebracht. Oft gerät aus dem Blick, dass eine Rechtsordnung verstanden sein muss, wenn sie Zusammenleben erleichtern soll.

Andreas Gran

ist Rechtsanwalt in Frankfurt am Main und Hochschullehrer an der privaten International School of Management (ISM) in Berlin und Frankfurt.

Was ist eigentlich Recht? Vereinfacht lässt es sich entweder als dasjenige definieren, was die Gesetzgebung geschaffen hat, oder als ein Empfinden, welches uns naturgemäß gegeben ist. Entwendet jemand unser Fahrrad, wird das niemand hinnehmen wollen, ganz gleich ob die dazu passende Gesetzesvorgabe (§ 985 aus dem Bürgerlichen Gesetzbuch) bekannt ist. Es gibt also ein grobes „Gerechtigkeitsempfinden“, das aber diffus und subjektiv ist.

Ein Beispiel: Meinungsstreit bei Wohnraumknappheit. Verbindliche Regeln für das zwischenmenschliche Miteinander sind also sinnvoll. Hilfreich ist es dazu auch, diese zu dokumentieren. Seit mehr als 120 Jahren gibt es deshalb das Bürgerliche Gesetzbuch (BGB) als zentrale Rechtsgrundlage. Aber kaum jemand hat es im Bücherschrank stehen. Wesentliches daraus sollte aber Allgemeinbildung sein. Dieses Gesetzbuch ist nämlich die Grundlage für alltägliche Einkäufe und umfasst viel, was uns den Alltag erleichtern kann. Besonders hilfreich wäre es deshalb, wenn diejenigen, um deren Leben es geht, wissen und nicht nur fühlen, was geregelt ist.

Der juristische Wissenstransfer in die Bevölkerung lässt aber zu wünschen übrig: Tatsächlich ist Rechtsbildung nur einem Teil vorbehalten. Die meisten Menschen haben kaum Zugang. Unterstützung durch Beratungsstellen für Mieter, Arbeitnehmende sowie Verbraucherinnen und Verbraucher ist nicht ausreichend vorhanden, kommt oft zu spät oder kann unverhältnismäßig aufwändig sein. Anwaltlicher Rechtsrat ist zudem mit Kosten verbunden, da ein weitreichendes Rechtsberatungsmonopol besteht. Für unsere Gesellschaft ist das riskant.

Bei der Vermittlung von Werten würde Rechtskenntnis Lehrenden und Erziehenden helfen, wenn der Zusammenhang von Pünktlichkeit oder Rücksichtnahme mit konkreten Rechtsvorgaben gezeigt wird. Zur Sozialisation müsste viel früher und intensiver jungen Menschen die Integration in unsere Rechts- und Wertegemeinschaft erleichtert werden, indem ihnen wesentliche Regeln erklärt werden.

Das ist in der Theorie so vorgesehen. Allerdings gelingt es in der Umsetzung selten: Rechtsbildung wird als trocken und abstrakt empfunden, weil der Praxisbezug allzu oft fehlt. Viele Jugendliche kennen ihre rechtliche Rolle und ihre Rechte in der Konsumgesellschaft kaum. Außerdem basiert unsere Wirtschaftsordnung auf der fraglichen Annahme, dass Menschen sich frei vertraglich binden können. Das wird als „Privatautonomie“ bezeichnet, unterscheidet sich vom Staatssozialismus, funktioniert im Alltag aber nur mäßig.

Ein Beispiel: Viele meinen, man könne Ware stets zu dem ausgepreisten Betrag verlangen. Oft wird angenommen, nur schriftliche Vereinbarungen seien verbindlich – dabei gibt es auch mündlich geschlossene Verträge. Die meisten wissen vermutlich nicht, dass bei defekter Ware nicht direkt Geld zurückgezahlt werden muss. Außerdem glauben viele, Gekauftes könne ohnehin bei Nichtgefallen zurückgegeben werden. Auch über das Thema Haftung ist wenig bekannt. Unkenntnis von Scheidungsfolgen oder Erbschaften besteht. Im Ergebnis kann also diese vermeintliche „Freiheit“ nach unserer Verfassung mangels Rechtskenntnis nicht effektiv genutzt werden.

Besonders problematisch ist das, wenn man die Funktionsweise der sozialen Marktwirtschaft kritisch hinterfragt: Rechtskenntnis bedeutet Überlegenheit. Wenn diese nur einem Teil zukommt, werden soziale Unterschiede größer. Dass immer mehr durch Verbraucherschutz, Mieterschutz oder Arbeitsplatzschutz staatlich regulierend eingegriffen wird, zeigt die Fehlentwicklung deutlich. „Hilfe zur Selbsthilfe“ durch Rechtskompetenz wäre ein ergänzender Weg, denn zielgerichtete Bildung könnte Überregulierung und gerichtliches Eingreifen entbehrlich machen. Wer die eigene Rechtsposition einschätzen kann, wird eher nachgeben – oder, wenn er recht hat, mit Verweis auf das Gesetz auf seinem Recht bestehen.

Demokratie braucht rechtskundige Bürger

Neben dieser Kluft bei der Rechtskompetenz im wirtschaftlichen Miteinander ist die politische Komponente wichtig. Demokratie braucht rechtskundige Bürgerinnen und Bürger. Es geht um Machtkontrolle, auch mittels Rechtskenntnis. Wenn nicht verstanden wird, was in der parlamentarischen Gesetzgebung vor sich geht, kann Vertrauen schwinden. So wird die Gefahr größer, dass autokratische Konzepte populär werden, weil sie vermeintlich einfache Lösungen ohne Eigenverantwortung suggerieren.

Das mag bequemer für sorglos Regierbare sein, aber um den Preis der Willkürgefahr. Autoritäre Regierungsformen versuchen neben Einschränkung der Meinungsfreiheit typischerweise, das Rechtsverständnis für die Allgemeinheit einzuschränken. Der demokratische Staat kann sich besser schützen, wenn Recht bekannter und einfacher wird.

Fazit: Alle Beteiligten müssen sich mehr Gedanken machen, wie zumindest juristische Basiskenntnisse in der Breite der Gesellschaft ankommen. Dabei kann die Rechtsanwaltschaft mit Schulungen helfen. Lehrende und Erziehende sollten sich mit Rechtsfragen stärker befassen. Breitenbildung sollte von der Politik angestoßen werden. Die Medien könnten aufklärend helfen. Wir sollten uns stärker bewusst machen, wie wichtig Recht zur Stabilisierung der Gesellschaft und für faire privatrechtliche Beziehungen ist: Breite Rechtskenntnis kann die Grundlage für ein solidarisches und wirklich freies Zusammenleben bieten.

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9 Kommentare

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  • "Das juristische Basiswissen muss gestärkt werden."

    Eine solche Idee kann vermutlich nur jemand haben, der sich noch nie mit dem riesigen Berg des Gesetzesdschungels beschäftigt hat. Da geht es aber nicht nur um die Anzahl Gesetze und die unüberschaubar vielen Verweise und Nebenverweise auf § so-und-so und Satz so-und-so, sondern auch noch um die vielen kreativen Auslegungen irgendwelcher Paragraphen durch die Gerichte, um Gutachtermanie u.v.a.

    Selbst Fachjuristen blicken da schon längst nicht mehr durch, zumindestens nicht so, wie es sein müßte.

    Doch genau solcher Durchblick wäre eine Grundvoraussetzung für ein Basiswissen, um zu vermeiden, daß unnötige Ängste entstehen oder daß Bürger aus einem Irrglauben heraus vor die Gerichte ziehen, wo es sinnlos ist.

    Ich meine, es sollte die Basiserkenntnis gestärkt werden, daß ein Rechtsstaat und damit auch eine funktionierende Demokratie nicht möglich ist, solange in juristischen Bereichen mehr und mehr das Chaos herrscht.

    • @wxyz:

      es geht doch nicht um einzelne Gesetze und deren aktuelle juristische Auslegung...

      • @nutzer:

        das ging an WXYZ

  • Grundsätzlich ja, mit einem großen Aber: Die Juristerei ist neben der Medinzin das so ziemlich schwierigste, was man an der Unität studieren kann. Und wie in der Medizin gilt: Halbwissen ist oftmals gefährlicher als Nichtwissen.



    Ich habe keine Vorstellung davon, wie man "normal" begabten Menschen en passant so viel juristische Kenntnisse mitgeben kann, dass diese sinnvoll und richtig eingesetzt werden können, wo doch soviele vorgeblich Hochbegabte nach vielen Jahren des Vollzeitstudiums daran scheitern.

  • "Wer die eigene Rechtsposition einschätzen kann, wird eher nachgeben – oder, wenn er recht hat, mit Verweis auf das Gesetz auf seinem Recht bestehen"



    Das Problem ist, wenn nur das geltende Recht und keinerlei Ideen von Normativität gelehrt werden. Recht und Richtig müssen nicht zusammen fallen.



    Beides gehört definitiv zur fundamentalen Bildung eines Bürgers dieses Systems dazu. Diskurs- und Medienkompetenz fehlen ohne Frage ebenso. Ob man dagegen einer 14-jährigen vom rauen endoplasmatischen Retikulum berichten muss wage ich zu bezweifeln. Bildung muss sich endlich dem Zeitalter des Anthropozän fügen!

  • Das hat wenig mit Wissen und sehr viel mit Wollen zu tun. Wenn man sieht wie oft wider besseren Wissens die StVO missachtet wird, braucht man nicht hoffen, dass das bei anderen Ordnungen und Gesetzen anders läuft. Jeder legt sich das zu seinem Vorteil aus. Die Ampel war doch dunkelgelb. Das Apfel lag doch auf dem Boden. Das Auto stand doch schon Monate hier. Mein Nachbar gibt auch immer ein Arbeitszimmer an. Und so weiter...

  • Viele Jugendliche kennen ihre rechtliche Rolle und ihre Rechte in der Konsumgesellschaft kaum.



    Nicht nur für Jugendliche trifft das zu!



    Doch ein vermisse ich in dem Beitrag. Rechts sind etwas gutes, doch es gibt die NIE ohne Pflichten!



    Klar darf ich was kaufen, Verträge schließen usw. aber dabie nicht "die Pflicht" aus dem Auge verlieren, mich "vorher" über die Tragweite solcher Handlungen zu informieren! uvam.



    "Rechtsbildung" (im Sinn von BGB/StGb, usw) ist nötig, doch wo das in dem schon vollen Curriculum z.B. in Schle usw untergebracht werden soll, bleibt leider offen!



    Gr Sikasuu

  • Das selbe gilt fürs Steuerrecht.



    Dank der Unkenntnis der meisten Bürger, können FDP und CDU den Bürger Angst vor dem Spitzensteuersatz machen oder bei der Erbschaftssteuer Angst um Omis Häuschen schüren.



    Auch die Tatsache, dass die wirklich Reichen ganz andere Wege anwenden, um diese Steuern ganz legal zu umgehen ist nicht bekannt.



    Eine Diskussion über ein gerechteres Steuersystem ist so von vornherein ausgeschlossen.

  • Frage zum Sprachgebrauch: Die Rede ist von "Beratungsstellen für Mieter, Arbeitnehmende sowie Verbraucherinnen und Verbraucher", warum nicht für "Mietende"?