Aushangfahrpläne und andere Relikte: Generationsforscher am Abstellgleis

Bei der Jahrestagung des Philologenverbandes Niedersachsen pflegen die Herren mal wieder Kulturpessimismus und Technikfeindlichkeit. Es nervt.

Ein roter Zug steht an einem Bahngleis, auf der Abfahrtsanzeige darüber steht "Zug fällt aus".

Bei manchen ist der Zug halt irgendwie immer schon abgefahren Foto: Fabian Strauch/dpa

Eigentlich habe ich mir ja vorgenommen, mich weniger zu empören. Es wird zu viel geblökt; niemand sieht gut aus, wenn er Schaum vor dem Mund hat: Ich wünsche mir dringend, dass „Contenance!“ wieder ein Ding wird. Aber natürlich sind Vorsätze nur gut, wenn man sie bricht.

Zu den Dingen, die mich zuverlässig auf die Palme bringen, gehören „Generationenforscher“. Jüngst sprach wieder so einer auf der Jahrestagung des Philologenverbandes Niedersachsen in Goslar. Nun lässt sich aus der Konstellation schon ablesen, dass da der 5000. Aufguss von „diese Jugend ist die Schlimmste, Untergang Abendland, bla“ bestellt und geliefert wurde.

Das ist eben das Geschäftsmodell mit dem – in diesem Fall – Rüdiger Maas unterwegs ist. Er verdient sein Geld mit der Beratung von Personalverantwortlichen, als Keynote-Speaker und Bestseller-Autor („Generation Lebensunfähig“) – da ist natürlich kein Platz für differenzierte Analysen, da muss eine knallige These her, sonst wird man ja nicht gebucht.

Ich würde das vielleicht sogar lustig und unterhaltsam finden, aber wenn es gegen meine Jungs und meinen Erziehungsstil geht, hört der Spaß natürlich ganz schnell auf. Wobei diese Experten selbst die Kinderaufzucht vermutlich zu weiten Teilen dem Weibchen ihres Vertrauens überlassen haben. Anders kann ich mir jedenfalls die gewaltige Diskrepanz zwischen ihren Beschreibungen und den real existierenden Jugendlichen in meinem Umfeld nicht erklären.

Top-Vorbild: Lieber Vorträge halten als hilfsbereit sein

Vielleicht tue ich dem Herrn Maas jetzt Unrecht, ich habe seinen Vortrag selbst nicht gehört, mir nur davon berichten lassen. Aber dieses Beispiel fand ich richtig lustig: Da sollen ihn Jugendliche an einem Bahnhof einmal darum gebeten haben, die Bahn-App auf seinem Handy nutzen zu dürfen, um eine Ersatzverbindung zu finden. Er habe das aber abgelehnt, berichtet der Mann stolz, und ihnen stattdessen erklärt, wie man einen Aushangfahrplan liest.

Ich habe das sofort mit den Jungs besprochen. Sollte es jemals eine Störung auf der Strecke geben und kein Zug mehr pünktlich fahren und ein mittelalter Herr zu ihnen kommen und sagen: „Entschuldigung, mein Akku ist leer, könntet ihr mir wohl eine Ersatzverbindung raussuchen?“

Dann sollen sie ihn bitte – bestimmt, aber freundlich – auf die unverständlich scheppernden Lautsprecherdurchsagen und den nutzlosen Aushangfahrplan verweisen und ihm einen langen Vortrag darüber halten, dass es ganz, ganz wichtig ist, das irgendjemand diese alten Kulturtechniken pflegt, auch wenn es manchmal Opfer erfordert.

Und dann sollen sie in ein Moia steigen und freundlich winkend davon fahren. Möge sein Krückstock am Bahnsteig festfrieren. Aber natürlich würden meine Jungs das nie tun. Sie sind freundliche und hilfsbereite Menschen und regen sich über so was nicht mal mehr auf. Sie rollen einfach mit den Augen und sagen: „Ach Mama, der ist halt alt. Es gibt Wichtigeres.“ Wirklich seltsam diese Generation.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Niedersachsen-Korrespondentin der taz in Hannover seit 2020

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.