Häusliche Gewalt bei Sorgerechtsfragen: Mütter-Protest zeigt Wirkung

Nachdem Frauen kritisierten, dass häusliche Gewalt bei Familiengerichten kaum beachtet wird, plant Niedersachsens Koalition eine Koordinierungsstelle.

Eine Gruppe von Frauen hält ein lila farbenes Transparent in den Händen

Protest gegen die Praxis insbesondere der Familiengerichte: Mütter vis-à-vis der Staatskanzlei Foto: Paul Hansen

HAMBURG taz | Klein, aber ungewöhnlich, war der Protest von etwa 20 Müttern am 25. Oktober vor der niedersächsischen Staatskanzlei. Die Mutter Anna Hansen und ihre Mitstreiterinnen wollten sich vor Beginn der rot-grünen Koalitionsverhandlungen Gehör verschaffen, damit die neue Regierung den Gewaltschutz verbessert. Denn ausgerechnet die Familiengerichte missachteten diesen.

Und in der Tat steht nun etwas im neuen Koalitionsvertrag, das so gedeutet werden kann. Auf Seite 92 heißt es, im Kampf gegen Gewalt an Frauen werde Rot-Grün „die Istanbul-Konvention in Niedersachsen konsequent umsetzen. Dazu richten wir eine Koordinierungsstelle ein, um Gewaltschutz als ressortübergreifende Aufgabe zu verankern.“

Die Istanbul-Konvention ist ein Übereinkommen des Europarates zur Bekämpfung von Gewalt gegen Frauen und häusliche Gewalt, das 34 Länder unterzeichneten. Dazu gehört auch, dass – wie dort im Artikel 31 geregelt – häusliche Gewalt bei Entscheidungen über das Sorge- und Umgangsrecht von Eltern mit ihren Kindern berücksichtigt werden.

Doch eben hier soll es hapern. Die Soziologin Christina Mundlos, die früher Gleichstellungsbeauftragte der Uni Hannover war, schrieb einen Brief an Ministerpräsident Stephan Weil (SPD), den sie neulich vor der Staatskanzlei vorlas. Sie berate inzwischen nur noch freiberuflich Mütter, die nach einer Trennung Belästigungen, Übergriffe und Gewalt durch den Vater ihrer Kinder erlebten.

Beschwerde bei der Ministerin

In fast allen Fällen trügen das Jugendamt, das Familiengericht und angegliederte Professionen gerade nicht dazu bei, den Gewaltschutz zu gewährleisten. Manchmal wollten Kinder, nachdem sie durch den Vater Gewalt erlebt hätten, diesen erst mal nicht sehen. „Sie wehren sich mit Händen und Füßen gegen Treffen“, sagt Mundlos. Doch Richter und Jugendämter seien „blind“ für diesen Schutzinstinkt. „Sie beschließen, dass ein Vater auf jeden Fall ein Recht auf sein Kind habe.“

Die Rednerin zitierte Beispiele aus Niedersachsen. Da sage eine Verfahrensbeiständin aus Hannover zu einem von seinem Vater misshandelten Mädchen: „Es geht jetzt hier nicht um dich, es geht um deinen Vater.“ Dabei sei es deren Aufgabe, den Kindeswillen zu ergründen. Und vor dem Amtsgericht Hannover habe eine Jugendamtsmitarbeiterin gesagt: „Der Vater hat zugegeben, dass er das Kind geschlagen und gebissen hat. Aber das geschah letztlich aus rein pädagogischen Gründen.“

Den Müttern, sagt Mundlos, werde unterstellt, sie hätten das Kind manipuliert und ihm suggeriert, das es den Vater nicht sehen wolle. Deshalb werde ihnen das Kind entrissen und beim Vater untergebracht. Basis ist die Theorie des „Parental Alienation Syndrome“ (PAS), auf Deutsch „Entfremdungssyndroms“, des Amerikaners Richard Gardner, die wissenschaftlich als nicht haltbar gilt.

Die frühere Gleichstellungsbeauftragte sagt, dass sich diese Art der Rechtsprechung leider in Niedersachsen häufe. Sie sprach bereits im August die damals amtierende Justizministerin Barbara Havliza (CDU) darauf an. Diese habe die Kritik schließlich als Dienstaufsichtsbeschwerde an das Oberlandesgericht (OLG) Celle weitergeleitet. Mundlos sagt, dort sei ein Richter bekannt dafür, Müttern das Sorgerecht zu entziehen, wenn sie von Gewalt durch den Vater sprechen.

Ein Richter des am OLG-Celle für Familiensachen zuständigen „10. Zivilsenats“ wird übrigens in einer Studie der „Forschungs- und Dokumentationsstelle zur Analyse politischer und religiöser Extremismen in Niedersachsen“ erwähnt, weil er in seiner Jugend in rechtsextremen Organisationen aktiv gewesen sein soll. Die taz hatte im Mai darüber berichtet. Laut OLG-Sprecher Andreas Keppler liegen allerdings nach Auswertung dieser Studie keine Erkenntnisse vor, die ein Disziplinarverfahren gegen den Mann rechtfertigen könnten. Man habe keine Anhaltspunkte dafür, dass die Angabe des Richters unzutreffend wäre, dass er seit Eintritt in den Staatsdienst nicht mehr politisch aktiv war. Gleichwohl nehme das OLG die Studie sehr ernst und sensibilisiere seine Mitarbeitenden für Extremismus.

63 Fallbeispiele an Weils Sprecherin übergeben

Zu besagter Mütterdemo vor der Staatskanzlei war als Vertretung für Ministerpräsident Weil die Regierungssprecherin Anke Pörksen erschienen. Ihr wurden von der Mutter Anna Hansen 63 Fallbeispiele aus Niedersachsen überreicht. Für die Grünen war die Abgeordnete Tanja Meyer gekommen, die sagte: „Sie rennen hier bei mir offene Türen ein. Das sind Menschenrechtsverletzungen, die mich betroffen machen. Ich werde mich für die Berücksichtigung des Themas einsetzen.“

Ob nun der genannte Passus im Koalitionsvertrag ein Zeichen dafür ist? Immerhin will Rot-Grün Justiz und Polizei durch Weiterbildungen noch mehr für das Thema sensibilisieren. „Es bleibt abzuwarten, ob auch Taten folgen“, sagt Mundlos. „Und ob die Problematik des Artikels 31 der Konvention mitbearbeitet wird.“

Ein kürzlich erschienener Bericht des Europa-Rates zur Einhaltung der Istanbul-Konvention hatte kritisiert, dass die PAS-Theorie in Deutschland weit verbreitet sei und ein hohes Risiko bestehe, dass Gewalt gegen Frauen und ihre Kinder unentdeckt bleibe. Nötig seien gegebenenfalls gesetzliche Maßnahmen und Schulungen, um hier gegenzusteuern.

Der Soziologe Wolfgang Hammer hat kürzlich eine umfangreiche Analyse über „Familienrecht in Deutschland“ auf Basis von 1.000 Fällen verfasst. Dort weist er darauf hin, dass Richter, Verfahrensbeistände und Jugendämter über Jahre gezielt von der Väter-Lobby im Sinne der PAS-Theorie geschult wurden. In Fortbildungstexten für Jugendämter zum Beispiel wurde eine Neujustierung des Gewaltbegriffs angeregt. Da wird der eher von Männern ausgeübten „häuslichen Gewalt“, die von betreuenden Mütter ausgeübte „Verfügungsgewalt“ gegenübergestellt und damit erstere relativiert.

Hammer verweist darauf, dass sogar der UN-Hochkommissar für Menschenrechte (UNHCR) vor der PAS-Theorie warnt, die dazu führe, Kinder ungerechtfertigt von den Eltern zu trennen. Dessen Büro sammle bis zum 15. Dezember Fälle von Betroffenen aus den Vertragsstaaten, da sich die Manipulations-Theorie immer weiter ausbreite. Hammer: „In Deutschland ist es das Konstrukt der ‚Entfremdung‘ und ‚Bindungsintoleranz‘, unter dessen Generalverdacht Mütter stehen. Die Anklage ist Schuldspruch zugleich.“

Der Passus in Niedersachsens Koalitionsvertrag ist Hammer zu vage. „Da muss man offensiver vorgehen“, findet er. Die Länder müssten dringend aufarbeiten, wo es diese Fortbildungen gab.

Auch Anna Hansen ist die Ankündigung „noch nicht aussagekräftig genug“. Ihre Gruppe nennt sich jetzt „Mütter gegen Gewalt“ und will Mitte Dezember eine neue Aktion starten, „wenn der Landtag tagt“.

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