Gewalt-Schutz in Niedersachsen: Für Mütter gibt's nur warme Worte

Die Gruppe „Frauen für Gewaltschutz“ zieht heute wieder vor die Staatskanzlei in Hannover. Seit ihrem Protest vor einem Jahr bewegte sich fast nichts.

Frauen stehen mit einem hellblauen Transparent vor einer Treppe, eine Frau spricht in ein Mikrofon

Gab es schon vor einem Jahr: Mütter-Protest vor der Staatskanzlei in Hannover Foto: Frauen für Gewaltschutz

HAMBURG taz | Genau ein Jahr ist es her, dass sich eine Mütterdemo in Hannover an die niedersächsische Regierungssprecherin Anke Pörksen und die Grüne Abgeordnete Tanja Meyer wandte. Die Mütter überreichten Pörksen und Meyer 63 Fallbeispiele, teils aus Niedersachsen, die illustrieren sollten, wie die Familiengerichte den Gewaltschutz missachten. Sie kritisierten, dass das Recht der Väter auf Umgang mit dem Kind als vorrangig eingestuft wurde. Seither habe sich die Lage eher verschlechtert, sagt die Initiativensprecherin Anna Hansen. Dem Thema werde noch weniger Gewicht beigemessen als vor einem Jahr.

Die Initiative will am heutigen Mittwoch um viertel vor zwölf vor der niedersächsischen Staatskanzlei eine „Jubiläumskundgebung“ abhalten, zu der wieder Pörksen und Meyer und weitere Politiker wie Hannovers Bürgermeister und die niedersächsische Justizministerin eingeladen sind. Doch die Resonanz sei gering, sagte Hansen der taz. Es hätten die CDU-Politikerin und mit dem Thema befasste Autorin Jessica Reitzig zugesagt und Heike Köhler von der Frauen-Union, aber noch keiner von rot-grüner Regierungsseite.

Als am 25. Oktober 2022 die erste Kundgebung stattfand, lag gerade der „Grevio-Bericht“ des Europarates vor, der besagte, dass Deutschland zu wenig tut, um Frauen und Kinder vor häuslicher Gewalt zu schützen. Die frühere Gleichstellungsbeauftragte und Soziologin Christina Mundlos las dort einen Offenen Brief an Ministerpräsident Stephan Weil (SPD) vor, in dem sie ausführte, dass das Familiengericht und angegliederte Professionen die Gewalt von Vätern nicht ernst genug nähmen. Stattdessen unterstellten sie Müttern, wenn die Kinder ihre Väter nicht sehen wollten, Manipulation. „Der Vater hat zugegeben, dass er das Kind geschlagen und gebissen hat. Aber das geschah letztlich aus rein pädagogischen Gründen“, zitierte Mundlos eine Jugendamtsmitarbeiterin aus Hannover.

Gewaltschutz-Koordinierungsstelle soll kommen

Besagter „Grevio-Bericht“ appelierte an deutsche Behörden, die gerichtliche Entscheidungspraxis bei Sorge- und Besuchsrecht mit Blick auf die „Sicherheit von weiblichen Opfern häuslicher Gewalt und ihrer Kinder“ neu zu bewerten, sogar „einschließlich der Zusammenhänge mit geschlechtsspezifischen Tötungen von Frauen und ihren Kindern“.

Das Thema fand tatsächlich Eingang in den damals gerade verhandelten Rot-Grünen Koalitionsvertrag. Niedersachsen werde im Kampf gegen Gewalt an Frauen die Istanbul-Konvention „konsequent umsetzen“, heißt es dort auf Seite 92. Und weiter: „Dazu richten wir eine Koordinierungsstelle ein, um Gewaltschutz als ressortübergreifende Aufgabe zu verankern“. Zudem, sagt Hansen, habe Anke Pörksen im Gespräch mit den Müttern die Einrichtung eines unabhängigen Gremiums zur Überprüfung von Familiengerichtsverfahren als möglich erachtet.

Doch als Hansen im Laufe der folgenden Monate noch mal nachhakte, wurde sie ans Justizministerium verwiesen, das so ein Fachgremium zur „Analysierung familiengerichtlicher Praxis“ als ungesetzlich ablehnte. Die Begründung: Die im Grundgesetz verankerte richterliche Unabhängigkeit stünde dem entgegen. Hansen hält dagegen, dass das Nachbarland Bremen mit dem „Betroffenen-Beirat Istanbul-Konvention“ im Jahr 2021 durchaus ein Gremium schuf, dass Betroffenen eine Stimme gebe und deren Erfahrungen sichtbar mache.

Und auch sonst schien sich die Sache nicht günstig zu entwickeln. So postete Tanja Meyer, inzwischen für die Grünen frauenpolitische Sprecherin, am 16. September anlässlich der Haushaltsberatungen im Landtag auf Instagram: „Große Sorge bereitet mir, dass sich noch keine ausreichenden Mittel für den Gewaltschutz im Sinne der Istanbul-Konvention wiederfinden.“

Stadt Hannover muss sparen

Da wenige Tage später in Hannover Frauenberatungen gegen Kürzungen auf die Straße gingen, fürchtet die Frauengruppe eine Verschlechterung der Lage. Wie die Hannoversche Zeitung berichtete, müssen in der Leine-Stadt alle „Zuwendungsempfänger“, zu denen auch Frauenhäuser und Jugendtreffs gehören, mit zehn Prozent weniger Geld auskommen, weil die Stadtkämmerer verhindern wollten, dass der Haushalt ins Minus rutscht.

Auf die Frage, ob die 63 damals überreichten Fallberichte gesichtet wurden, sagte Regierungssprecherin Pörksen am Dienstag, das Anliegen sei nicht Sache der Staatskanzlei, sondern der Fachministerien. Woraufhin am Mittwoch der Sprecher des niedersächsischen Justizministeriums, Christoph Sliwka, erklärte: „Die Berichte sind hier bekannt, wobei darauf hinzuweisen ist, dass nach unserem Verständnis viele der Fälle nicht aus Niedersachsen stammen“. Darauf angesprochen sagte Hansen, dass ein großer Teil der Berichte, nämlich mindestens 25, aus Niedersachsen stamme. Etwas anderes habe sie auch nie gesagt.

Zur Frage, ob es zutrifft, dass Anke Pörksen vor einem Jahr gegenüber den Frauen ein unabhängiges Gremium zur Überprüfung der Gerichtsverfahren ins Gespräch gebracht hat, erklärte Sliwka: „Frau Regierungssprecherin Pörksen hat keine Erinnerung an eine solche Äußerung“. Deshalb erübrige sich eine Antwort. Eine Überpfrüfung oder Kommentierung von Gerichtsentscheidungen durch das Justizministerium wäre zudem durch die im Grundgesetz verankerte richterliche Unabhängigkeit ausgeschlossen.

Grünen-Politikerin Meyer sagt, sie habe die Berichte nicht komplett gelesen, aber angelesen. „Grund dafür ist, dass es nicht 60 Erfahrungsberichten bedarf“, sagte sie. „Die geschilderten Erfahrungen zerreißen mir auch schon nach dem ersten Bericht das Herz“. Dass Partnerschaftsgewalt bei Entscheidungen zu Besuchs- und Sorgerecht der Kinder berücksichtigt werden muss, stehe schließlich in Artikel 31 der Istanbul-Konvention. „Genau das gilt auch bei uns und wir müssen darauf hinwirken, dass dies auch umgesetzt wird“, so die Grüne.

Grüne wollen mehr Geld für Gewaltschutz

Laut Meyer werde die Koalition den betreffenden Passus im Koalitionsvertrag noch umsetzen. Der Antrag für eine Koordinierungsstelle für Gewaltschutz sei am 21. Juni vom Landesparlament beschlossen worden. Nun stehe die Landesregierung in der Pflicht dies umzusetzen. Meyer sagt: „Ich rechne mit der Einrichtung der Koordinierungsstelle zum Frühjahr 2024, denn alle betroffenen Ressorts sehen hier dringlichen Handlungsbedarf“.

Zur Frage der Haushaltsmittel könne sie noch keine abschließende Antwort geben, da dieser erst im Dezember verabschiedet wird. Im aktuellen Entwurf dazu würden die Mittel nicht in dem Maß erhöht, wie die Grünen es sich gewünscht hätten. Aber dazu seien die Diskussionen noch nicht abgeschlossen, so Meyer. Die Proteste in Hannover bezögen sich auf kommunale Mittel. Bei den „Freiwilligen Leistungen“, über die Beratungsstellen finanziert werden, gebe es in der Regel eine Co-Finanzierung durch das Land.

Insgesamt seien beim Ministerium für Gleichstellung elf Millionen Euro eingestellt, die direkt dem Gewaltschutz von Frauen und Mädchen zu Gute kommen, sagt Meyer. Noch nicht mitgerechnet seien da Personalmittel der Ministerien, die hier viel Eigenleistung einbrächten. Dennoch wünsche sie sich mehr.

Gefragt, ob Niedersachsen auch einen Betroffenen-Beirat nach Bremer Vorbild plant, sagt Meyer, darüber müsste die Koordinierungsstelle mit den Ressorts und den zivilgesellschaftlichen Akteurinnen beraten. „Ich persönlich finde einen solchen Beirat erst mal positiv, würde aber dabei gern auf die Erfahrungen aus Bremen zurück greifen“.

Hinweis der Redaktion: Dieser Artikel wurde nach Erscheinen um die Stellungnahme des Justizministeriums ergänzt. Außerdem wurde die Zahl der aus Niedersachsen stammenden Fälle korrigiert. In der ersten Fassung hieß es im ersten Absatz, die Frauen hätten vor einem Jahr 63 Fälle aus Niedersachsen übergeben.

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