piwik no script img

Studie über GrundschulkinderBildungsmisere mit Ansage

Ralf Pauli
Kommentar von Ralf Pauli

Eine neue Studie offenbart große Wissenslücken bei Viertklässler:innen. Das Problem beginnt schon in den Kitas, dort muss die Politik handeln.

Zu viele Kinder können in der 4. Klasse nicht gut lesen, rechnen oder schreiben Foto: Oliver Berg/dpa

S o selbstkritisch wie an diesem Montag erlebt man die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen nicht alle Tage. Normalerweise loben sie bei Bildungsstudien auch mittelmäßige Ergebnisse – schließlich steigt ja die Heterogenität in deutschen Klassenzimmern. Und wer bei erschwerten Bedingungen gleiche Leistungen zeigt, hat sich doch wacker geschlagen!

Dieses Mal jedoch wollen die Verantwortlichen keine mildernden Umstände gelten lassen, nicht mal die Pandemie. Zu eindeutig hat der IQB-Bildungstrend die Bildungsmisere an Grundschulen offengelegt. Entsprechend der Tenor aus den Ländern: Nicht hinnehmbar, wie viele Viert­kläss­le­r:in­nen mittlerweile nicht mehr richtig lesen, schreiben oder rechnen können! Nicht akzeptabel, dass die Schere bei der Bildungsungleichheit weiter aufgeht!

Nur – was folgt aus der Erkenntnis? Die Präsidentin der Kultusministerkonferenz (KMK) Karin Prien, CDU, jedenfalls verspricht die Leh­re­r:in­nen­aus­bil­dung zu verbessern, um die „richtigen Rezepte“ für einen modernen integrativen Grundschulunterricht zu finden. Im Dezember soll der KMK ein entsprechendes Gutachten vorliegen.

Das ist sicher nicht verkehrt. Mindestens genauso wichtig wäre allerdings, die Probleme (ungleiche Bildungschancen, Förderbedarf bei der deutschen Sprache) bereits viel früher anzugehen – nämlich bereits in den Kitas. Dass in der frühen Bildung die Weichen für die Chancengleichheit gelegt werden, betonen Bil­dungs­for­sche­r:in­nen seit Jahren. Dennoch sind Kitas in Sachen Ausstattung und Bezahlung bis heute so unattraktiv, dass viele Fachkräfte nach kürzester Zeit wieder weg sind.

Das unwürdige Hin und Her mit der Finanzierung der Sprachkitas zeigt, wie wenig Wertschätzung das Kitapersonal vonseiten der Politik bis heute erfährt, allen Sonntagsreden zum Trotz. Erst wenn die Wertschätzung auch finanziell spürbar ist und die Arbeitsbelastung sinkt, wird sich die Personallage in Kitas entspannen. Und erst dann werden die Kitas ihrem Auftrag, die Bildungsungleichheit möglichst früh auszugleichen, voll nachkommen können.

Was nicht heißt, dass die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen völlig machtlos sind. Hamburg beispielsweise, das beim IQB-Bildungstrend noch verhältnismäßig gut abgeschnitten hat, testet bei jedem Kind im Alter von viereinhalb Jahren die Sprachkenntnisse – und fördert die Kinder entsprechend weiter. Kostenlose Nachhilfe inklusive. Es wäre ein Leichtes, dies zum bundesweiten Standard zu machen – wenn nur alle Länder wollten. Eine andere sinnvolle Maßnahme ist, Schulen mit Hilfe sozialer Daten nach ihren tatsächlichen Bedarfen auszustatten, wie es beispielsweise Hessen oder NRW schon machen.

Davon kann übrigens auch der Bund lernen, wenn er Gelder verteilt. Beim Programm „Aufholen nach Corona“ werden die Mittel nach Einwohnerzahl verteilt – nicht nach der sozialen Lage der Kinder. Auch das ist ein Grund, warum das Programm bisher nicht wirklich geholfen hat, die Lernlücken zu schließen.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Ralf Pauli
Redakteur Bildung/taz1
Seit 2013 für die taz tätig, derzeit als Bildungsredakteur sowie Redakteur im Ressort taz.eins. Andere Themen: Lateinamerika, Integration, Populismus.
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • Ich habe heute morgen im Radio gehört, dass z.B. in Berlin über 50% der Grundschüler mit mangelhaften Kompetenzen aus Haushalten kommen, in denen "nicht überwiegend" Deutsch gesprochen wird.



    Warum wird das verschwiegen?



    Es hilft übrigens auch nicht allen Kindern, die Kitas besser auszustatten und dort zu fördern - viele der betroffenen Kinder gehen nämlich gar nicht dorthin. Es wird Zeit, über eine entsprechende Pflicht nachzudenken, analog zur Schulpflicht.

    • @Kabelbrand Höllenfeuer:

      Das wurde noch nie verschwiegen. Jeder, der es wissen will, weiß es.



      Das gilt für alle Beteiligten, auf allen Ebenen, manchmal steckt es weiter hinter oder in den Zahlen, aber es ist da.

      "Je günstiger die sozioökonomische Lage der Eltern ist und je mehr bildungsbezogene Ressourcen ihnen zur Verfügung stehen, desto besser gelingt es



      Familien, ihre Kindern beim schulischen Erwerb von Wissen und Fertigkeiten zu



      unterstützen. Darüber hinaus gilt die in der Familie gesprochene Sprache als Indikator für außerschulische Lerngelegenheiten zum Erwerb der Instruktionssprache, deren Beherrschung für den schulischen Erfolg eine zentrale Rolle spielt."



      (S.202 IQB Bericht)



      Und das führt zu der Frage, warum sie es nicht wissen und warum es in Folge keinen Einfluß auf mögliche Wahlentscheidungen hat?



      Und genau aus diesem Grund, handelt die Politik, so wie sie handelt.



      Wenn sie von einer Kitapflicht sprechen, dann müssen sie auch von entsprechender "verbindlicher" Ausstattung und gemeinsamen Standards sprechen und damit vom Geld, das wir eben nicht für die Bildung haben.



      In Ba-Wü hat man es gerne ehrenamtlich, also umsonst, es wird in anderen Bundesländern nicht anders sein. Dies reicht für einen Nachmittag, aber nicht fürs Verbindliche.

      Sie bekommen dann auch Probleme mit den Eltern, die ihre Kinder nicht den edlen Zielen von Inklusion und Integration opfern möchten und bisher auch kein Problem mit dem Vermitteln von Grammatik, Manieren und Sozialverhalten hatten.

      Wir haben diese Probleme auch in der Schule, was zeigt, dass es nicht an der Pflicht liegt, sondern etwas tiefer geht.

  • 6G
    650228 (Profil gelöscht)

    Das Problem ist doch: Wer soll die Kinder/Schüler besser unterrichten? Die, die es intellektuell und emotional könnten studieren lieber was anderes - zumal deren Kinder vermutlich trotz allem ganz gut lesen, schreiben und rechnen können.