The Cure in Hamburg: Weltschmerz in Skinny-Jeans

The Cure haben ihre Deutschland-Tour in Hamburg gestartet. Vor 15.000 Zuschauern gab es am Sonntag ein emotionales Extremwetter.

Robert Smith und Bassist Simon Gallup stehen auf der Bühne, im HIntergrund SChlagzeuger Jason Cooper

Das Vogelnest auf dem Haupt von Robert Smith (links) hat sich schon etwas gelichtet Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

Als Robert Smith Viertel vor neun ans Mikro tritt, ist es schon wieder fünf nach zwölf: „This is the end of every song we sing“, geht die erste Zeile des Auftaktsongs. „Alone“ heißt er und darin fallen Vögel vom Himmel, brennt Feuer in Asche, lassen Tränen den Blick verschwimmen. Die Apokalypse ist zurück auf der Bühne. Auf der Leinwand dahinter dreht sich der Erdball in langsam wachsender Entfernung, bis der Titel des am Sonntagabend in Hamburg Livepremiere feiernden neuen Cure-Albums etwas Kosmisches bekommt: „Songs of a Lost World“.

Keine Hoffnung, nirgends, der Untergang: besiegelt. Es ist dann doch nicht rechtzeitig zur Tour fertig geworden, dieses neue Werk. 14 Jahre nach dem letzten kommt es auf ein paar weitere Monate auch nicht an, mögen die gut 15.000 Zuschauer in der Barclays Arena denken. Sie sind hier wegen dieser in samtige Synthies eingeschlagenen Pop-Noir-Songs, deren Sound The Cure in den vergangenen vier Jahrzehnten zum wiedererkennbaren Markenkern patentiert haben. Wegen dieser Lieder aus emotionalen Extremwetterlagen: Einsamkeit, Trauer, verlorene Liebe.

Und ganze besonders sind sie hier wegen Robert Smith und seiner quietschigen, unerreichten und bis heute verblüffend klaren Kinderstimme. Schon die Silhouette wird bejubelt. Obwohl im lichter gewordenen Vogelnest von Smith’ Frisur heute bestenfalls ein Zaunkönig nisten könnte.

Auch wenn Nahaufnahmen den Sieg der Schwerkraft über das Bindegewebe zeigen und 63-Jährige in Skinny-Jeans nichts Anmutiges haben. In weiten Teilen des eher grauen als schwarzen Publikums wächst daraus Verbundenheit. Dem Robert geht’s auch nicht anders.

Die Kajal-Apologeten der Gothic-Bewegung

Die durchaus vertretenen Jüngeren scheinen darin eine sympathische Art von Glaubwürdigkeit zu lesen: Hier geht es nicht um Jugendkult und durchinszenierte Bühnenchoreografie. Die britische Band steht überwiegend auf der Stelle, die optische Unterhaltung übernehmen die Videoprojektoren. Jede Setlist ist eine Reise in die Vergangenheit, The Cure aber, 1978 gegründet, legen dabei beachtliche Distanzen zurück. Die vergangenen zwei Jahrzehnte mit Alben wie „Bloodflowers“ und „4:13 Dream“ werden ignoriert.

Stattdessen geht es mit einigen Songs zurück zum 1989er Album „Disintegration“. Dann tiefer in die Achtziger zu düsteren Werken wie „Faith“ und „17 Seconds“, die der Band erst ihren Ruf als blassgesichtige Kajal-Apologeten der Gothic-Bewegung einbrachten. Wie eine Band es erträgt, Lieder über Jahrzehnte immer und immer wieder zu spielen, zeigt der Generationen-Song „A Forest“. Internetquellen zählen weit über 1.000 Cure-Konzerte mit diesem Stück. Wer sich durch Mitschnitte hört, merkt, dass es sich weiterentwickelt. Das Tempo variiert, der Gitarrensound wechselt, die Länge kann sich vervielfachen.

Zwischendurch werden spärliche Einblicke ins neue Album gewährt. Etwa „And Nothing Is Forever“, langsames Klavier-Intro, gemächlicher Aufbau, ein melancholisches Adieu. „For my world has grown old, and nothing is forever.“ An eine Liebe? Einen Planeten? Fast glaubt man, dass The Cure mit ihrem Weltschmerz, ihrer Düsternis von der Realität eingeholt worden sind.

Wenn die Vereinten Nationen ein sechstes Artensterben befürchten, Ver­tre­te­r:in­nen der Letzten Generation vor dem Klimakollaps warnen und Robert Smith das Extinction-Rebellion-Logo auf seine Gitarre klebt, dann fügt sich das dritte neue Stücke „Endsong“ ins Bild. Mit diesem getragenen, hypnotisch-wabernden Song schließt der offizielle Part des Auftritts. „It’s all gone, it’s all gone.“

Cure-Hits mehrere Jahrzehnte

Aber dann kommt der Dunkle Lord des britischen Pop zur ersten Zugabe zurück, reißt Scherze und man denkt, vielleicht liegt es gar nicht an misanthropischer Schwermut, dass Smith auf der Bühne kaum spricht. Vielleicht schützt er einfach das Image seiner Band? Vor seinem weniger depressiven als vielmehr fröhlichen Charakter. Wie ausgelassen das Songwriting-Gehirn von Robert Smith sein kann, unterstreicht die zweite Zugabe. Sie reiht Cure-Hits mehrerer Jahrzehnte aneinander. Sie erinnern daran, dass in all dem Dunkel immer unbeschwerter Pop aufleuchtete.

Zu „Lullaby“ wagt Smith seine berüchtigten Tanzschritte, „Dad-Dancing“ sind leicht unbeholfene, aber sehr sympathische Moves. „The Walk“, „Friday I’m in Love“, „Just Like Heaven“. Teile des Publikums sind nun selbst so mit Tanzen beschäftigt, dass sie vergessen, mit den Smartphones zu filmen. Kurz vorm Ende zieht Trockeneisnebel auf. Schon mit dem Finale hat er sich wieder verzogen: „Boys Don’t Cry“, nicht alle halten sich dran.

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