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Regierungsbildung in GroßbritannienVielfältiger denn je

Im Kabinett der neuen Regierungschefin Liz Truss werden Schlüsselposten erstmals nicht mit weißen Männern besetzt sein. Wirtschaftsrefromen haben Priorität.

Die neue Regierungschefin Liz Truss, kurz vor ihrer ersten Rede an die Nation Foto: dpa

London/Berlin rtr | Die neue britische Premierministerin Liz Truss hat in ihrer ersten Rede nach der Ernennung drei Prioritäten für ihre Regierung genannt. Im Zuge von Wirtschaftsreformen werde sie die Steuern senken, um harte Arbeit zu belohnen, sagte die 47-Jährige am Dienstagnachmittag vor ihrem Amtssitz in London. Weiter werde sie noch diese Woche Maßnahmen gegen die Energiekrise einleiten.

Ihre Regierung werde dabei sicherstellen, dass die Menschen nicht mit unbezahlbaren Rechnungen konfrontiert würden. Als dritten Punkt nannte Truss Reformen beim Gesundheitssystem NHS. „Gemeinsam können wir den Sturm überstehen“, erklärte sie.

Truss bezieht die Downing Street 10 in einer kritischen Phase. Großbritannien ist mit einer galoppierenden Inflation konfrontiert und droht in eine Rezession zu stürzen. Millionen Bri­t*in­nen haben Angst, im bevorstehenden Winter ihre Strom- und Erdgasrechnungen nicht mehr bezahlen zu können. Hinzu kommen Unsicherheiten durch den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und der anhaltende Streit mit der Europäischen Union über den Brexit. Auch die Beziehungen zum traditionell engen Verbündeten USA gestalten sich schwierig.

Nach Truss' Ernennung standen dabei zunächst zwei Themen im Vordergrund: Das neue Kabinett sowie ihre Pläne zur Bewältigung der Energiekrise. Am Abend wurde bekannt, dass ihr enger Verbündeter Kwasi Kwarteng Finanz- und James Cleverley Außenminister wird. Zudem übernimmt Suella Braverman das Innenresort. Zusammen mit Truss selbst ist damit zum ersten Mal in der Geschichte des Königreiches keiner der vier wichtigsten Regierungsposten mit einem weißen Mann besetzt.

Größere Vielfalt

Die Tories haben in den vergangenen Jahren gezielt versucht, eine größere Vielfalt in ihren Reihen zu fördern. Die Parteibasis besteht dabei zu einem Viertel aus Frauen, sechs Prozent gehören Minderheiten an. Weiter hieß es zum Kabinett, Ben Wallace werde Verteidigungsminister bleiben.

Truss hatte im Vorfeld wiederholt Steuerkürzungen versprochen und angekündigt, als eine ihrer ersten Maßnahmen einen Plan zur Bewältigung der Energiekrise vorzulegen. Dieser wurde für Donnerstag erwartet. Medienberichten zufolge will sie Unternehmen mit einem Hilfspaket im Umfang von 40 Milliarden Pfund unter die Arme greifen. Im Gespräch ist auch eine Deckelung der Energiekosten, um einen Anstieg der Rechnungen zu stoppen. Die Umsetzung eines solchen Vorhabens könnte nach Angaben eines Insiders bis zu 100 Milliarden Pfund kosten.

Wie Großbritannien das finanziell stemmen soll, war nicht klar. Unter Fachleuten machte sich Skepsis breit, ob etwa die Inflation nicht noch befeuert werden könnte. Einige Investoren zogen sich zuletzt aus Anlagen in Pfund zurück. Allein im August verlor die britische Währung vier Prozent zum Dollar. Für 20-jährige britische Staatsanleihen war es nach Daten von Refinitiv und der Bank of England der schlimmste Monat seit etwa 1978.

Die Konservative Partei hatte Truss nach dem Rückzug von Boris Johnson zur Vorsitzenden gewählt. Das sichert der 47-Jährigen wie in Großbritannien üblich auch den Posten als Regierungschefin, da die Tories derzeit im Unterhaus eine Mehrheit haben. Der formelle Wechsel an der Regierungsspitze wurde am Dienstagvormittag mit einer Abschiedsrede Johnsons eingeleitet. Darin rief er die Mitglieder der Tories noch einmal dazu auf, sich hinter seine Nachfolgerin zu stellen.

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11 Kommentare

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  • 0G
    06438 (Profil gelöscht)

    ""Hinzu kommen Unsicherheiten durch den Krieg in der Ukraine, die Corona-Pandemie und der anhaltende Streit mit der Europäischen Union über den Brexit. Auch die Beziehungen zum traditionell engen Verbündeten USA gestalten sich schwierig.""

    ==

    Liz Truss die Wundertüte sitzt unbequemerweise zwischen Baum und Borke in freudiger Erwartung, von den realexistierenden wirtschaftlichen Problemen auf der einen Seite und politisch von den Rechtspopulisten der ERG group zermahlen zu werden.

    Beispiel: Truss eilt der Ruf vorraus



    § 16 des Nordirlandprotokolls ziehen zu wollen um das NIP außer Kraft zu setzen. (das ist der ausdrückliche Wunsch der englischen Rechtspopulisten - siehe Steve Baker & Jakob Rees Moog). Die EU droht für diesen Fall die 2020 getroffenen Handeslsvereinbarungen mit UK außer Kraft zu setzen - und darüber hinaus erklärt das Weiße Haus in Washingtington:

    ""Es gibt keine formelle Verbindung zwischen den Handelsgesprächen zwischen den USA und dem Vereinigten Königreich und dem Nordirland-Protokoll, wie wir gesagt haben, aber Bemühungen, das Nordirland-Protokoll rückgängig zu machen, würden kein günstiges Umfeld schaffen, und das ist im Grunde der Punkt, an dem wir uns im Dialog befinden. """

    Klartext:



    Wenn Truss das NIP außer Kraft setzt riskiert sie nicht nur den vollkommenen Bruch der wirtschaftlichen und politischen Beziehungen mit EU 27 - darüber hinaus - so die freundlich kaschierte Drohung aus den USA - rückt ein Handelsvertrag zwischen UK & USA in weite Ferne.

    Man darf gespannt sein welche Politik



    "Lizz Truss, die Wundertüte" aus Ihrem Beutel ziehen wird - völlig egal was Sie machen wird - die Schlaglöcher auf Ihrem Weg sind so gewaltig, das Fehltritte umgehend zum Amtsverlust führen werden.

    Wundertütenmässige realpolitische Lösungsansätze sind auch nach genauerer Recherche bei Truss nicht zu entdecken - was die Aussicht eines Schleudertraumas durchaus wahrscheinlicher macht.

  • 1/2 Die weißen Männer mal wieder.

    Diesmal sind sie sogar gar nicht mehr alt. Kein Wunder, sie können in diesem Fall auch gar nicht irgendetwas sein. Denn diesmal geht es darum, dass es sie gar nicht (mehr) gibt. Ist das wichtig zu erwähnen? Jedenfalls ist es eine Tatsache, dass „ keiner der vier wichtigsten Regierungsposten [im UK] mit einem weißen Mann besetzt“ ist.



    Doch was macht die Taz aus dieser Feststellung? Sie macht nach meiner Einschätzung weiter in einer sehr unguten Entwicklung. Die nicht bloß einfach nur ärgerlich ist, sondern es sich in der Auseinandersetzung mit dem Rassismus einfach zu einfach macht. Man kann keine Vorurteile, noch dazu solche ernsten, dadurch bekämpfen, in dem man z. B. als Zeitung per Wortgebrauch kräftig dazu beiträgt, neue Vorurteile in die Welt zu setzen. Die dann im Grunde den Rassismus noch nicht mal direkt treffen. Das geht so:



    In vielen Kolumnen der Taz ist das Wort vom weißen alten Mann“, der durchaus sehr jung sein kann, längst zu einem neudeutsch „nice to use it word“, zu einem „nice to read it word“ geworden. So verführerisch einfach ist es, mit dem konnotiert gelesen „kleinen Häufchen Scheiße auf dem Silbertablett“ die Aufmerksamkeit zu gewinnen. Doch, entgegen der Meinung von Herbert Wehner, kann man aus Scheiße doch Schokolade machen. Ein kleines, bezauberndes Praliné, das zu allen Themen im *Kolumnistischen Salon* gereicht werden kann, mal hot mal hysterisch, mal bräsig bis spießig wird es allzu gern schreibend erzeugt. „Oh Schwestern, ist es nicht wunderbar? Feminismus kann so einfach sein. Wenn doch nur alle verstünden…“ Oh Göttin, was hätte Marie Marcks dazu wohl gesagt? Doch alle nicken einvernehmlich. Denn die nette kleine Verächtlichkeit kitzelt zu verführerisch schön. Insbesondere dann, wenn es dem Text an Inhalt mangelt. Man amüsiert sich ja vorher schon hinlänglich am Amuse-Gueule.

  • 2/3



    Das Häuflein stinkt natürlich auch in der Verkleidung. Doch man muss es ja nur lesen, um andere damit zu bewerfen. Um sich freuen zu können, wenn es kleben bleibt. Das ist es, was es soll.



    Ernst wird es da, wo es um ernsteres geht. Benennt man im Artikel hier tatsächlich nur wie oben gesagt tatsächliche Diversität, wenn man die prompt so kennzeichnet, was oder wer davon ausgeschlossen ist? Das altbekannte, schwierige Paradox: Inklusionsvorgänge ziehen sehr oft solche der Exklusion nach sich. Und hier werden nun mal weiße Männer „exkludiert“. Wobei neben den vier „wichtigen“ noch andere weniger „wichtige“ Kabinettsposten bleiben dürften. Das wird alles berichtet wie es ist. Nur auf das besagte Praliné, darauf will hier erst recht niemand verzichten. Denn die Wahrheit des Vorgangs scheint einem recht zu geben. Da wird das Praliné besagter Art eben als Konnotation gereicht. Mit Verlaub gesprochen aber deutlich: Also als die Gazettenverpackung, worin der Fisch gewickelt ist. Es wird einem verführerisch leicht gemacht, die mit dem Hauptgang zu schlucken. Mit dem Thema hat es nichts zu tun. Aber: Nice to read… Da habt ihr es: Endlich sind die weißen Männer weg. Na gut, wenn man das „bejubeln“ will. Dann kann man das nicht oft genug betonen, egal wo, egal wann egal wie. Dabei zeigt die Taz zur Genüge, dass das es auch anders geht: *Identitätspolitik an Unis in UK: Weiße Arbeiterkinder unerwünscht. Was ist in Großbritannien an den Universitäten los? Zwischen Wokeness und der Sicherung alter Pfründen. Notizen aus Academia.* Der Artikel überzeugt zu Fragen von Exklusion/Inklusion im Zusammenhang mit Fragen zur Identitätspolitik und Rassismus. Und hier hält man ja wirklich kurz den Atem an, wenn berichtet wird, wie eine in der Art konservative Partei in UK nun das Personal in ihren Elitestrukturen auszutauschen beginnt. Darüber mehr zu berichten wäre auch lohnenswert darüber zu lesen.

  • 3/3



    Wozu also dumme Pralinés a lá „nice to read“? Es geht mir nicht darum Wörter und Themen auch nur wieder getilgt zu sehen. Das wäre auch so ein Quatsch. Dann führt das aber dazu, dass hier notwendig nicht vom Thema des Artikels gesprochen werden muss, sondern von dem seines „Subtextes“ wie eben genannt. Weil: Ich bekomme den Eindruck, da rennt die Taz manchen Gruppierungen des Feminismus einfach eilfertig hinterher. Die drücken sich nämlich um alle die schwierigen Fragen des Rassismus drum zu und kneifen mir davor zu oft. Im ja ehrlichen Bemühen (ob richtig, ist eine andere Frage) den Feminismus „intersektional“ werden zu lassen, in feministischer Außenpolitik u. im „Anschluss“ an den Anti-Rassismus, kommt das seines historischen und aktuellen gesellschaftlichen Kontext entkleidete Wort vom „weißen alten Mann“ ganz recht. Da kann man andere, vor allem die „weißen“ Frauen schön bequem aus der „Schusslinie“ nehmen, wo „frau“ in Gefahr geraten könnte, auch da kritisch werden zu müssen. Und die Männer, die ja oft genug tatsächlich diskriminiert werden und andere Hautfarben haben. Nur bleiben Scheißkerle nun mal Scheißkerle, egal welcher Hautfarbe. Und Frauen bleiben auch nur Menschen, wenn sie als Despotinnen voll daneben langen. Na und? Geschieht doch auch, wenn z. B. mal eine Intendantin sich beim raffen und „vetternwirtschaften“ nicht zügeln kann. Absurd, da eine irgendwie „analytische“ Kategorie „weiße (alte) Frau“ heranziehen zu wollen. Da sind Menschen plötzlich so, wie sie halt sind: Nur Menschen, egal wie die „lackiert“ sind. Aber DA traut man sich plötzlich nicht mehr, weil… Und hat obendrein noch recht damit.



    In meinen Augen ist das kein Feminismus, der versucht, alte Vorurteile nur durch ein Spießumdrehen als „neu“ herauszustellen. Wo es schlicht um medial verstärkte Herabwürdigung um des billig zu erzielenden Erfolgs willen geht. Feminismus sollte sich für sowas zu schade sein und Zeitungen dabei nicht mitmachen.

  • Das Einzige was dieses Kabinett zeigt, ist dass Menschen unabhängig von ihrer Genetik, der Ausformung ihrer Gonaden oder der Eumelaninkonzentration ihrer Epidermis rücksichtlose Neoliberale, korrupt, fremdenfeindlich und voller Verachtung für die armen Schichten der Bevölkerung sein können.

  • Was sind denn bitte weiße Männer?

    • @Jörg Radestock:

      Op jot kölsch - Melatenblonde •

      unterm—-



      de.wikipedia.org/wiki/Melaten-Friedhof



      &



      Melatenblond:‘Köln-Krimi



      Der Erfinder des Regionalkrimis lässt seinen Kult-Ermittler auferstehen. Weil er glaubte, sie hätten seine fünfjährige Tochter Marie getötet, nahm Manni Thielen einst blutige Rache an zwei Kölner Gangsterbossen und floh aus seiner Heimatstadt. ...“ Korrekt. Normal!



      de.wikipedia.org/w...h_Gottwald_(Autor)

      kurz - Eine schwere Form von Altersdiskriminierung - inne taz.



      Da aber die Frauens via Patriarchat -



      5000+Jährchen diskriminiert sann -



      Besteht unvordenklicher Nachholbedarf

      Na Mahlzeit

  • Wir sollten uns von der Idee verabschieden, dass Unterschiede in Hautfarbe oder Geschlecht gleichbedeutend sind mit einer anderen Sozialisation oder einem anderen Problembewußtsein. Es kann der Fall sein, muss aber nicht.



    Es geht um die Herkunft und die Identifikation mit bestimmten sozioökonomischen Kriterien, hier um Vertreter der Mittel- und Oberschicht mit Public School/Oxbridge Hintergrund. Ideologisch sind sie die Vertreter der Reinen Lehre aus Free Market/Class Society (Singapore at the Thames), mehr geht nicht.

    Thatcher, May, Patel, Sunak, aber auch Rice, Powell, Albright, Obama, Clinton sollten uns doch gelehrt haben, dass ein anderes Aussehen, nicht zu einer anderen, oder sogar besseren, Politik führt.

  • Jetzt interessiert mich aber brennend, was im Politiker:innensprech die gängige konservative Definition für "harte Arbeit" ist. Wer sind die "wahren" Wasserträger? Wählen die auch fleißig und dankbar demnächst die Tories?

  • Es ist relativ unwahrscheinlich, das England seine Probleme mit positivem Rassismus löst. Jedenfalls schreibt es die Presse so. Sie erwähnt die Hautfarbe der Herren.



    Frau Truss hält sich wahrscheinlich für weniger angreifbar.



    Das prominenteste Beispiel dafür, das Hautfarbe nichts mit guter Politik zu tun hat, ist B. Obama. Er hat nichts in Amerika verändert. Der Friedensnoblpreisträger hat bis zuletzt mit Drohnen morden lassen.

  • "Vielfältiger denn je"

    Die Regierung ist keineswegs vielfältig. Alle Mitglieder sind streng auf der Linie, die schon Johnson verfolgt hat. Für die Beurteilung einer Regierung ist es entscheidend, welche politischen Positionen die Regierungsmitglieder vertreten.

    Körperliche Merkmale, Abstammung oder Ähnliches sind völlig egal.