Vor der Parlamentswahl in Schweden: Bullerbü auf Abwegen

Am Sonntag wählt Schweden. Im sonst inhaltslosen Wahlkampf gab es nur ein Thema: Bandenkriminalität. Am Ende könnte eine Rechtskoalition siegen.

Sozialdemokratische Ministerpräsidentin Magdalena Andersson und ihr konservativer Herausforderer Ulf Kristersson

Schwedens sozialdemokratische Ministerpräsidentin Andersson und Herausforderer Ulf Kristersson Foto: Christine Olsson/TT News Agency/via REUTERS

STOCKHOLM taz | Wenn die Schweden am 11. September ihren nationalen Reichstag und die regionalen und kommunalen Parlamente neu wählen, geht es um „rödgrön“ oder „blåbrun“ – um Rot-Grün oder Blau-Braun. Bei den letzten Umfragen lag mal die rechte, mal die linke der aus jeweils vier Parteien bestehenden Regierungsalternativen hauchdünn in Führung: Entweder weiter mit einer Mitte-links-Regierung unter Führung der sozialdemokratischen Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, oder eine Konstellation, die parlamentarisch das gesamte Parteienspektrum rechts der Mitte unter Einschluss der rechtsextremen Schwedendemokraten abdeckt.

Es wäre ein Novum für Schweden. Bei allen vorausgegangenen Wahlen hatte es noch eine gemeinsame Front aller sieben übrigen Reichstagsparteien gegenüber den Schwedendemokraten gegeben.

Die Partei wurde 1988 gegründet und hat ihre Wurzeln in Schwedens militanter Neonaziszene, bei deren Aufmärschen noch Anfang der 1990er Jahre „Sieg Heil!“-Rufe skandiert wurden. Waren damals die Juden für alles Übel verantwortlich, übernahmen diese Rolle später Muslime. Sie seien Schwedens „größte Bedrohung seit dem 2. Weltkrieg“, hetzte der Parteivorsitzende Jimmie Åkesson.

Gleichzeitig wehrt er sich gegen das Etikett „Braun“. Doch das Forschungsinstitut Acta publica konnte für 214 Namen auf den Kandidatenlisten der Partei zur diesjährigen Wahl „Verbindungen zu Nazismus, Rassismus und Faschismus“ nachweisen.

Konservative: Keine Berührungsängste mit Rechtsextremen

Konservative und Christdemokraten hinderte das nicht, gleich nach den Wahlen vor vier Jahren dieser Partei die Tür zu öffnen. Mittlerweile haben sich auch die Liberalen hinzugesellt, die in der zu Ende gehenden Legislatur erst Rot-Grün unterstützten und dann die Seiten wechselten.

Die Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten wurde stetig ausgebaut und gipfelte im August in einer teilweise gemeinsamen Wahlkampfkampagne der vier Parteien.

Mit ähnlichem Nachdruck, mit dem der Konservativen-Vorsitzende Ulf Kristersson vor vier Jahren eine Zusammenarbeit mit den Schwedendemokraten als „absolut unvorstellbar“ ausgeschlossen hatte, befürwortet er sie nun als völlig unproblematisch. Er lobt sie mittlerweile sogar dafür, dass sie als einzige Partei darauf beharrt hätten, „dass wir nicht mehr Einwanderung haben dürfen“. Rassistische Ausfälle führender Schwedendemokraten verharmlost er als „dumme Sprüche“.

Der Wahlkampf kreist um die Themen Kriminalität und Migration. Schweden hat ein massives Problem mit kriminellen Gangs. Vorwiegend bei deren internen Machtkämpfen wurde im Schnitt der vergangenen Jahre fast jede Woche ein Mensch erschossen – für Law-and-Order-Parteien ein idealer Nährboden.

Dänemarks „Ghetto“-Gesetz als Modell

So forderten die Liberalen gar Sprachtests für Zweijährige: Kinder, die der schwedischen Sprache nicht ausreichend mächtig seien, sollten ihren Eltern weggenommen werden können. „Als vorbeugenden Einsatz gegen Bandenkriminalität“ schlagen die Konservativen ADHS-Schnelltests bei Fünfjährigen vor – natürlich nur in „besonders exponierten Wohnvierteln“.

Auf diese Stadtquartiere zielt auch eine von den Sozialdemokraten geplante Variante der dänischen „Getto“-Gesetzgebung. Demnach soll es bis 2030 keine Wohnviertel mehr geben, in denen eine Mehrheit der Bevölkerung „nichtnordische“ Ethnizität hat. Nicht nur inhaltlich, sondern auch rhetorisch haben die Sozialdemokraten einen Rechtsschwenk vollzogen.

Für ihre Aussage „wir wollen kein Somalitown in Schweden“, erntete die Ministerpräsidentin auch heftige Kritik aus der eigenen Partei. Dass die Schwedendemokraten die Zahl von Asylsuchenden laut Åkesson „so nahe null wie möglich“ bringen wollen und schon den „Ausweisungszug“ abfahrbereit sehen – „nächste Station Kabul“, wie es ihr Justizministerkandidat Tobias Andersson twitterte – versteht sich von selbst.

Angesichts solcher Äußerungen twitterte Christian Christensen, dänischer Medienprofessor an der Uni Stockholm: „Ich bin 2004 nach Schweden gezogen. Der aktuelle Wahlkampf ist der am wenigsten politikorientierte, giftigste und fremdenfeindlichste, den ich je erlebt habe.“ Inhalte wie die Entscheidung zu einer Nato-Mitgliedschaft oder die Klimakrise spielen im Wahlkampf keine Rolle.

Das einzige Argument der Sozialdemokraten ist „Magda“

Inhalte finden sich auch bei den regierenden Sozialdemokraten kaum. Ihr einziges Argument: Magda. Die Partei setzt ganz auf die Popularität von Ministerpräsidentin Magdalena Andersson, der mit weitem Abstand zu ihrem Herausforderer Kristersson eine Mehrheit der Schweden das Vertrauen schenkt.

„Man geht ein enormes Risiko ein, zu 100 Prozent auf diese Vertrauensschiene zu setzen“, sagt Daniel Suhonen, Chef des gewerkschaftseigenen Think Tanks Katalys.

Entscheidend dafür, ob Magda weitermachen kann, ist auch das Abschneiden der drei kleinen Parteien, die sie für einer Parlamentsmehrheit bräuchte: Die Linkspartei, das liberale Zentrum und die Grünen.

In Schweden ist es nicht zwingend, dass solche „Unterstützerparteien“ auch formal Teil einer Regierungskoalition sind. Anderssons Sozialdemokraten regieren seit einem Jahr allein, nachdem die Grünen aus wahltaktischen Gründen aus der Koalition ausgeschieden waren. Jetzt wollen sie wieder Teil einer Koalition sein, was Andersson begrüßte.

Koalitionstaktierei auf allen Seiten

Erstmals will auch das Zentrum Ministerposten haben. Die Linken wolle man allenfalls über ein Regierungsabkommen einbinden, um sich deren parlamentarische Unterstützung zu sichern.

Ähnlich kommunizieren es Konservative und Christdemokraten für den Fall einer Rechtskoalition. Die Schwedendemokraten könnten „diesmal noch nicht“ formal Teil der Regierung werden, sagte die Christdemokraten-Vorsitzende Ebba Busch. Der Grund: Laut einer Umfrage im Dezember 2021 denkt eine Mehrheit der Schweden, dass die Schwedendemokraten eine rassistische Partei ist.

Deren Vorsitzender Åkesson hat andere Vorstellungen für die Formation des von ihm ersehnten „nationalistischen Blocks“: Seine Partei solle natürlich Teil einer Regierungskoalition sein, gerne mit ihm selbst als Ministerpräsidenten.

Er kündigte bereits an, „die Spielregeln in der schwedischen Politik werden sich ganz ändern“, würden die Schwedendemokraten mehr Stimmen als die Konservativen erhalten und damit zweitstärkste Partei werden. Die letzten Umfragen sagen genau das vorher.

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