: „Uns gehören die Straßen“
Am Montag demonstrieren in Leipzig Linke und Rechte für einen „heißen Herbst“ in der Energiekrise – auf demselben Platz. Eine Querfront jedoch bilden sie nicht, stattdessen ziehen die Linken Grenzen
Aus Leipzig Konrad Litschko undRieke Wiemann
Gegen 21 Uhr, es ist schon dunkel, steht Sören Pellmann wieder auf der Bühne auf dem Augustusplatz in Leipzig. „Wir haben gezeigt: Der Montag gehört nicht den Faschisten und Neonazis“, ruft der Leipziger Bundestagsabgeordnete ins Mikrofon, inzwischen etwas heiser. 5.000 Leute seien gekommen, ein toller Erfolg. Es ist eine recht optimistische Zahl. Aber es gibt noch einmal Applaus. Und Pellmann lässt sich anmerken: Er ist erleichtert und zufrieden.
Auch auf der anderen Seite des Augustusplatzes werden Erfolgsmeldungen verkündet. Von 4.200 Teilnehmenden spricht dort Anmelder und Szeneanwalt Jens Lorek. Die rechtsextreme Kleinstpartei der „Freien Sachsen“ wird später ebenso 5.000 Protestierende vermelden. Auch diese Zahl ist überzogen. Zwar habe man nicht laufen können wie geplant, sagt Lorek und beklagt „Schlägereien“, von denen selbst die eigenen Anhänger nichts mitbekamen. „Aber wir waren sehr viele.“
Tatsächlich hatten die Rechtsextremen sich den Montagabend etwas anders vorgestellt. Vor drei Wochen hatte Pellmann, einer von drei direkt gewählten Linken-Abgeordneten im Bundestag, zum Montagsprotest in Leipzig für eine sozialere Krisenpolitik und einen „heißen Herbst“ aufgerufen. Prompt kündigten auch die rechtsextremen „Freien Sachsen“, die seit Monaten montags im Freistaat zum Coronaprotest mobilisieren und zuletzt auch zur Energiekrise, ihr Kommen an. Und fabulierten von einer gemeinsamen „Bürgerfront“.
Doch die „Bürgerfront“ kommt am Montag nicht zustande. Früh sammeln sich die „Freien Sachsen“ um ihren Anführer Martin Kohlmann, auch er ein Szeneanwalt, am Südende des Augustusplatzes. Bürgerliche aber sind es kaum. Vielmehr sind es die üblichen dauerdemonstrierenden Demokratieabgewandten. Kohlmann ätzt wie immer gegen die Regierung, fordert russisches Gas und beschwört einen „Bürgerwiderstand“.
Und er schart die erwartete Szeneprominenz um sich: den neurechten Ideologen Götz Kubitschek, „Volkslehrer“ Nikolai Nerling, Ex AfD-Mann André Poggenburg, Compact-Herausgeber Jürgen Elsässer. Auch Letzterer beschwört die „Querfront“, preist die Linke Sahra Wagenknecht, die zuletzt betont russlandfreundlich auftrat und ursprünglich auch auf Pellmanns Kundgebung sprechen sollte, bevor sie wieder ausgeladen wurde. Eine Steilvorlage für Elsässer, der „Sahra, Sahra“-Sprechchöre anstimmen lässt.
Bei der Linken aber ist es lauter – und voller. Gut 3.000 dürften es sein, die sich hier vor der Bühne von Sören Pellmann sammeln, so viele wie angemeldet. „Ganz offensichtlich ist der Montag doch ein guter Tag“, ruft der 45-Jährige im schwarzen Shirt erfreut. „Sonst wären nicht so viele gekommen.“
Nicht alle in der Partei waren glücklich mit Pellmanns Protestaufruf. Dieser habe sich nicht mit der Partei und anderen Initiativen abgesprochen, und ausgerechnet den von Rechten okkupierten Montag gewählt, lautete die Kritik. Doch am Ende rief auch die Parteispitze einen „heißen Herbst“ und Proteste aus – angesichts der Energiekrise und auch der Krise der Partei war es alternativlos. Und so stehen auf dem Augustusplatz auch Linken-Chef Martin Schirdewan, Fraktionschefin Amira Mohamed Ali und Parteiikone Gregor Gysi. „Wir lassen uns den Protest nicht nehmen“, ruft Schirdewan von der Bühne. Und Gysi frohlockt, dass seine Partei „endlich wieder in der Lage ist, solche Kundgebungen zu organisieren“.
So sehr auf der anderen Seite aber eine „Querfront“ beschworen wird – an diesem Abend gibt es sie nicht. Beide Demonstrationen trennen Polizeigitter und Gleise, auf denen Straßenbahnen durchzuckeln. „Es gibt keine Solidarität von rechts“, halten Linke ein riesiges Banner den Rechtsextremen entgegen. Und auf der Bühne wird sich immer wieder von den Rechtsextremen distanziert. Er habe gehört, dass sich auf dem Augustplatz „auch irgendwo“ rechte Wähler:innen befänden, sagt Gregor Gysi. „Wenn in Ihren Köpfen noch ein Rest von Vernunft sein sollte, dann müssen Sie begreifen, dass Nationalismus, Fremdenfeindlichkeit, Rassismus und Antisemitismus nur größte Schäden gegen eine Unzahl von Völkern verursacht haben.“ Und wer dies nicht begreife, „mit diesem rechten Gesockse haben wir nichts zu tun“. Es folgt tosender Applaus.
Schon zuvor war Juliane Nagel mit einem kleinen Demozug vorrangig junger Schwarzgekleideter auf dem Augustusplatz eingetroffen. Die Linken-Landtagsabgeordnete hatte diesen angemeldet und gehört zu den Pellmann-Kritiker:innen, warf ihm eine „One Man Show“ vor. Aber auch sie ruft nun ins Megafon: „Soziale Proteste gehören nach links, uns gehören die Straßen.“ Die Lebensmittelpreise stiegen, Abschlagszahlungen für Wärme hätten sich verdreifacht. Und die Bundesregierung mache „nicht mal den Schritt, die Konzerne zu besteuern, die besondere Profite aus der aktuellen Situation ziehen“. Als die Demo die Linken-Kundgebung erreicht, erspäht ein Teilnehmer einen Mann mit Deutschlandfahne, reißt ihm diese aus der Hand, zerbricht den Holzstab und stopft die Flagge in einen Gullideckel. Deutschlandfahnen sind danach auf der Kundgebung nicht mehr zu sehen.
Und Pellmann betont, dass er auch nicht die Montagsdemonstrationen von 1989 instrumentalisieren wolle. „Die Tradition, in der wir hier heute stehen, knüpft an die Montagsdemonstrationen und die Sozialproteste aus den Jahren 2003 und 2004 an, die manche in der heutigen Bundesregierung am liebsten vergessen würden.“ Damals wurde bundesweit, aber vor allem im Osten, gegen die Einführung von Hartz IV demonstriert. Und auch jetzt sei es wieder Zeit für Protest, ruft Pellmann.
Auch die Abgrenzung zu Russlandfreunden in den Reihen der Linken funktioniert – zumindest auf der Bühne. Unisono verurteilen Pellmann, Schirdewan und Mohamed Ali den „rechtswidrigen Angriffskrieg“ Putins – in den Demoreihen sehen das indes nicht alle so, wie Gesprächen zu entnehmen ist. Und auch Pellmann betont: „Viele Probleme sind auch hausgemacht.“ Die Entlastungspakete der Bundesregierung seien keineswegs ausreichend, auch das dritte, 65 Milliarden Euro schwere Paket. Pellmann nennt es ein „Entlastungspäckchen“, Schirdewan hält es für „Klein-Klein“, Mohamed Ali schimpft, dass 300 Euro Einmalzahlung für Rentner:innen „nicht mal für einen Monat“ reichten. „Das ist doch ein Hohn!“ Die Forderungen der Linken: Die Gasumlage müsse weg, ebenso die Mehrwertsteuer auf Nahrungsmittel, dafür brauche es einen Gas- und Strompreisdeckel sowie eine Übergewinnsteuer. „Holen wir uns das, was uns zusteht“, ruft Pellmann.
Dann setzt sich die Runde in Bewegung, die Parteivorderen mit Banner vorneweg. „Sie sagen frieren, wir demonstrieren“, ruft die Menge. „Gegen Habeck, Scholz und Lindner, heißer Herbst und heißer Winter.“ Es sind Studierende, Senior:innen, Familien mit Kindern, Mittfünfziger:innen. Linken-Flaggen wehen, ein Plakat verkündet: „Inflation? So ein Scheiß! Runter mit dem Dönerpreis.“ Eine Gruppe Schülerinnen, alle 17 Jahre alt, erklärt, sie selbst spürten die hohen Energie- und Lebensmittelpreise zwar nicht so stark, weil sie alle noch zu Hause wohnten, „aber unsere Eltern“.
Schon zuvor setzten sich auch die Rechtsextremen in Bewegung, den Leipziger Ring entlang. Doch schon nach wenigen Hundert Metern ist Schluss: Dutzende Autonome versperren am Leuschnerplatz mit Sitzblockaden die Straße, auch eine „Oma gegen rechts“ mit ihrem Fahrrad. Die Polizei stoppt den rechtsextremen Marsch. Der reagiert wütend, skandiert „Wir sind das Volk“ und „Straße frei“. Vereinzelt kommt es zu Handgemenge und Gewahrsamnahme. Die Polizei aber räumt die Blockade nicht, wertet sie als Spontanversammlung.
Stattdessen dreht der Marsch irgendwann wieder um, läuft die wenigen Hundert Meter zurück zum Augustusplatz. Eine „Schande“ nennen die „Freien Sachsen“ den Einsatz der Polizei. Die bilanziert dagegen einen „dynamischen, aber friedlichen“ Protestverlauf – mit Teilnehmenden im insgesamt mittleren vierstelligen Bereich und zehn Ermittlungsverfahren. Jule Nagel dankt via Twitter den außerparlamentarischen Linken: Ihnen sei zu verdanken, dass der Abend „nicht zum Desaster“ für die Linke geworden sei.
Später trifft auch Pellmanns Demo wieder auf dem Augustusplatz ein. Man werde weiterprotestieren, kündigt er an. „Der Tag ist dabei völlig egal.“ Schirdewan hatte zuvor schon aufgezählt, wo die Partei noch überall demnächst auf die Straße gehen wolle: in Frankfurt (Oder), Weißenfels, Zwickau, Hildesheim, Rosenheim oder in Erfurt.
Tatsächlich dürfte entscheidend sein, wie sich die Sache in anderen Städten entwickelt. So wird am Montag auch in Magdeburg demonstriert, hier ist es die AfD, die rund 2.000 Menschen auf die Straße bringt. Und in Berlin stehen am selben Abend mehrere Hundert Menschen vor der Grünen-Zentrale, darunter auch die russlandfreundliche Linken-Abgeordnete Sevim Dağdelen. Linke Initiativen hatten zum Protest aufgerufen, auch einige Querdenker kommen, die teils abgedrängt werden.
In Leipzig kündigen auch die Rechtsextremen an, wiederzukommen, am kommenden Montag. Man habe sich den Tag anders vorgestellt, klagt eine Rednerin. „Aber wir sind viele und wir werden immer mehr. Bis zur Revolution werden wir hier auf der Straße stehen.“ Eine Querfront dürfte auch dann wieder nicht zu erwarten sein. Wohl aber ein erneutes Kräftemessen.
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