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Fischsterben in der OderWoher kam die Giftwelle?

Experten in Polen und Deutschland rätseln über den Ursprung der Umweltkatastrophe in der Oder. Derweil gibt es Hoffnung auf ein Ende des Sterbens.

Die polnische Feuerwehr holte in den vergangenen Tagen rund 100 Tonnen Fischkadaver aus der Oder Foto: Patrick Pleul/dpa

Das Rätselraten um das massenhafte Fischsterben in der Oder bringt immer neue plausibel klingende, aber auch völlig absurde Theorien hervor. Die neueste besagt, dass eine hochgiftige Algenblüte, die normalerweise nur in Brackwasser vorkommt, den deutsch-polnischen Grenzfluss vergiftet haben könnte. Extremes Niedrigwasser, hohe Temperaturen und der erhöhte Salzgehalt in der Oder hätten die Algenblüte begünstigt und so das massenhafte Fischsterben verursacht oder zumindest dazu beigetragen. Die Algenblüte würde auch den ungewöhnlich hohen Sauerstoffgehalt im sommerlich warmen Flusswasser erklären. Über die Photosynthese setzen Algen Sauerstoff frei.

Für plausibel halten diese These sowohl Christian Wolter vom Leibniz-Institut für Gewässerökologie und Binnenfischerei in Berlin als auch Wolf von Tümpling vom Helmholtz-Zentrum für Umweltforschung in Magdeburg. Während Wolter seit rund 30 Jahren das Ökosystem der Oder erforscht und sich insbesondere mit der Revitalisierung von Flüssen beschäftigt, untersucht von Tümpling vor allem die Schadstoffdynamik in Fließgewässern. Allerdings, so geben beide zu bedenken, kommen diese giftigen Algen und Algenblüten vor allem in stehenden Gewässern vor, beispielsweise in Stauseen.

In der Nähe von Olawa bei Breslau, wo die Ökokatastrophe am 26. Juli ihren Anfang nahm, gibt es aber keinen großen Stausee. Infrage kommen könnte aber der Bajkal-See, der rund 20 Kilometer von Breslau entfernt liegt. Diese geflutete Kiesgrube ist touristisch wenig erschlossen, es gibt kaum Hinweisschilder, und auch die Zufahrtswege wurden schon lange nicht mehr instandgesetzt. Doch bei Freizeitanglern gilt der See als Geheimtipp.

Möglicherweise hat jemand in diesem eher unzugänglichen, stehenden Gewässer eine hochkonzentrierte Salzlösung verklappt, die dann gemeinsam mit der giftigen Algenblüte zum Massensterben der Fische führte. Im Netz veröffentlichte Fotos von entsetzten Freizeitanglern zeigen Tausende Fischkadaver, die in einer grünlila schillernden Brühe treiben. Erst vor ein paar Tagen begannen Feuerwehrleute damit, die toten Fische zu bergen. „Was wir hier auf der Oberfläche noch sehen, entspricht etwa einer Tonne Fisch“, sagt einer der Feuerwehrmänner. Die ehemalige Kiesgrube ist über einen Kanal mit der Oder verbunden. Hier in der Nähe begann die Katastrophe.

„Giftcocktail“ durch Bauarbeiten?

Ob die derzeit hohe Salzkonzentration in der Oder aus dem Bajkal-See stammt oder doch von einem oder mehreren Unternehmen, die entlang der Oder ihre Produktionsstätten haben und ihre umweltschädlichen Abwässer direkt in den Fluss leiten, ist nicht sicher. Zwar geht die Polizei, die für die Festsetzung des Täters eine Million Złoty (210.000 Euro) ausgesetzt hat, zahlreichen Hinweisen der Bevölkerung nach – doch bislang ohne jeden Erfolg.

Fraglich ist auch, ob die hochgiftigen Algen, die eigentlich nur in stehenden Gewässern vorkommen, eine Hunderte Kilometer lange Reise mit der Strömung eines Flusses überstehen würden. Bei einer mutierten Alge wäre das denkbar.

Eine weitere Theorie geht von einem „Giftcocktail“ aus, der durch intensive Bauarbeiten auf der polnischen Seite der Oder entstanden ist. Giftstoffe, die sich über Jahrzehnte im Sedimentgestein des Oder-Ufers festgesetzt hätten, seien durch Bagger über viele Kilometer hinweg gelöst und ins Flusswasser gespült worden. Bedingt durch Niedrigwasser und hohe Temperaturen hätte der „Giftcocktail“ seine verheerende Wirkung auf Fische, Krabben und Schnecken entfalten können, ohne dass die Labore in der Lage gewesen wären, einen oder zwei konkrete Giftstoffe zu identifizieren. So hatten deutsche Forschungen zwar Quecksilber in einer Wasserprobe entdeckt, allerdings in einer zu geringen Konzentration, als dass dies allein für das Massensterben der Fische hätte verantwortlich sein können.

Die Todeswelle – allein die polnische Feuerwehr holte in den vergangenen Tagen rund 100 Tonnen Fischkadaver aus der Oder – wird nun am Stettiner Haff und der Oder-Mündung in die Ostsee erwartet. Viele Anwohner hoffen, noch mal mit einem blauen Auge davonzukommen. Sogenannte Ölbarrieren, die quer durch den Fluss gezogen werden, sollen verhindern, dass tote Fische ins Haff treiben. Vielleicht kommt auch nur eine verdünnte und kaum noch schädliche Version der ursprünglichen Giftwelle in Stettin an. Das zumindest ist die große Hoffnung.

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12 Kommentare

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  • Hallo,



    nach den Daten der Wassermesstation in Frankfurt Oder ist klar, dass eine Algenblüte stattgefunden hat. Bereits am 6. August ist der Chlorophyll-Gehalt angestiegen, ein Zeichen für ein Algenwachstum bis Massenentwicklung. Der Sauerstoffgehalt steigt an, Algen produzieren Sauerstoff. Es kommt zur biogenen Entkalkung, wodurch der pH-Wert ansteigt. Nitrat nimmt ab etc. das stimmt alles, also Algenwachstum. Jetzt hätte man nur noch die Mikrocystine messen müssen oder ein Screening auf Algentoxine machen müssen, warum das nicht geschehen ist, keinen Ahnung.



    Das mit der Salzfracht halte ich ja für einen Flopp. Wer hat den tatsächlich die Ionen mal gemessen? Die Leitfähigkeit kann sich auch durch den Anstieg des pH-Wertes erklärt werden. Also erstmal möchte ich dann Messwerte für Chlorid und Sulfat sehen, denn Nitrat ist nicht angestiegen.



    Offene Fragen sind, woher kamen die Nähstoffe wie Phosphat oder war es eh in höherer Konzentration vorhanden wegen des Niedrigwasser?



    Die Einleitung von Salz hätte nach den Daten der MEsstation ja über 14 Tage andauern müssen, unwahrscheinlich.

  • Kurze Frage, die ich bisher noch nirgendwo beantwortet gefunden habe: sterben nur die fische? Oder auch Krebse, Insekten, Säugetiere, schnecken, Reptilien etc?



    Weiß das jemand?



    Danke

  • Wenn Abfallprodukte aus der Zementherstellung im Spiel sind, wo Calciumoxid (CaO₂ oder Callciumhydroxid Ca(OH)₂ eine Rolle spielt und giftproduzierendes Algenwachstum durch einen erhöhten pH-Wert angeregt wird, ist diese Ursachenkette durchaus denkbar, insbesondere, weil durch die Hitze die exotherme Reaktion der säurevernichtenden Salze noch einmal beschleunigt wird.

    Wer sich ein wenig mit Wasserchemie beschäftigt, weiß, wie vielfältig die unterschiedlichsten Parameter interagieren und wie schwer eine Ursachenanalyse ist.

    Die unglückliche Kommunikation der polnischen Behörden ist das eine, auf der anderen Seite ist eine Vorverurteilung auch nicht angebracht.

    Sollten die polnischen Behörden (oder die deutschen) etwas (mutwillig) übersehen haben, wird es herauskommen. Für die Lebensmittelproduzenten am Fluss bitter ist, dass jeder vergeudete Tag aufs Schadenskontor einzahlt. Auf der anderen Seite geht hier Genauigkeit vor - die Öffentlichkeit muss sich einfach mal gedulden.

  • Prymnesium parvum muss nicht mutieren, um in der Oder leben zu können. Normalerweise kommt die Art in Flussmündungen vor.

  • Am Ende wird es wohl eine Interaktion sein, zu der eben auch der Klimawandel beigetragen hat, gegen den wir uns so partout nicht stemme, weil wir lieber ans Gas als ans Überleben denken.

  • Zu Tränen rührende Hilflosigkeit. (Ironie off)

  • 1G
    17900 (Profil gelöscht)

    Zuerst dachte ich, zu blöd um ein paar Analysen durchzuführen. Weit gefehlt. Man sucht offenbar die Nadel im Heuhaufen.



    Allerdings passt die frühere Meldung von stark erhöhten Quecksilberwerten nicht so ins Bild. Was war da los? Will man es vertuschen, wer da versagt hat?

    • @17900 (Profil gelöscht):

      Das Quecksilber ist ziemlich zwanglos dadurch zu erklären, dass der Schiffsverkehr bei den niedrigen Wasserständen (Pegel Frankfurt aktuell 88 cm, d.h. anderthalb Meter über dem langjährigen Mittel und 7 cm über dem Rekordtiefstand) Sedimente aus der Zeit, als quecksilberhaltige Verbindungen noch recht sorglos in die Umwelt verklappt wurden, aufwirbelt.

      Anfang vergangener Woche mussten die Tiefenmessungen der Fahrrinne eingestellt werden; die Schiffahrt auf der Oder erfolgt zur Zeit auf Eigenrisiko; bei einer Havarie auf einer Sandbank wären Bergungsarbeiten nicht möglich. Die Oderschiffe haben sozusagen kein Wasser mehr unterm Kiel, sondern eine Suspension aus dem gesammelten Dreck des letzten halben Jahrhunderts.

      Das würde auch die Uneinheitlichkeit der gefundenen Quecksilberbelastung erklären, und dass sie in den meisten Fällen in der Nähe des Grenzwerts lag, und nur in einer(?) Probe deutlich darüber (aber immer noch nicht im akuttoxischen Bereich): man findet generell erhöhte Quecksilberbelastung, und wenn zufällig gerade ein größeres Schiff vorbeigefahren war, als die Probe gezogen wurde, einen massiv erhöhten Wert.

      Die Prymnesium-Hypothese ist bislang die einzige, die die Befunde (vor allem den auffällig hohen Sauerstoffgehalt) umfassend erklären kann. Nur ist sie selbst lediglich proximat, denn Prymnesium kann selbst bei Niedrigwasser so weit oderaufwärts nur leben, wenn aus irgendeinem Grund die Belastung mit Mineralsalzen ins Brackige erhöht ist.

      Aber woher kommen die Salze?

      Wenn wir Pech haben, kommen sie aus dem Sediment, und der Scheiß passiert jetzt alle paar Jahre. In der Ostsee ist Prymnesium jedenfalls seit Ende der 1980er etabliert, und P.parvum ist trotz des Namens eine der größeren Arten der Gattung, welche nach den Ergebnissen von Hajdu et al (2015, doi:10.3354/meps11242) von der Erderwärmung profitieren. Und im Gegensatz zu den "red tide"-Verursachern gehen Prymnesium eben auch die Flüsse rauf.

  • Die "Berichterstattung" der deutschen Presse zu dem Thema bestand ja bisher nur aus dem Vermelden von Gerüchten, Vermutungen und jeder Menge ungerechtfertigter Kritik an der polnischen Regierung und den polnischen Verantwortlichen vor Ort.



    Die Belehrungen vom Deutschen Oberlehrer kommen in Polen nicht gut an. Ich hoffe, dass die deutsche Seite jetzt endlich ihre unerträgliche Arroganz zur Seite legt und gemeinsam mit Polen und Tschechin konstruktiv an einer Lösung arbeitet und das endlich die Schuldigen gefunden werden und die ganze Härte des Gesetzes zu spüren bekommt.

    • @V M:

      Mehrere Wochen war das in Polen bekannt, bevor D betroffen war. Über hundert Tonnen tute Fische. Und die PIS glänzte durch Verschweigen. Ganz wie zu alten Sowjetzeiten war das.



      Und es kommt in Polen nicht gut an, wenn D das nicht toll findet? Die Polen sollten endlich ihre Hausaufgaben machen! Der oder die Schuldigen sitzen nämlich aller Wahrscheinlichkeit nach in POLEN, und es ist Sache der POLNISCHEN Behörden, den / die Schuldigen zu finden

  • Hier noch eine Recherche und Theorie dazu: www.heise.de/tp/fe...etenz-7222810.html

    Im Artikel wird als Ursache ein Unfall im Kohlekraftwerk in Opole vermutet.

  • Bevor wieder Verschwörungsgläubige, BILD- Welt-Leser und vom "Realo-Flügel" der Oliv-Grünen, in Schnappatmung, Angstattacken verfallen, bitte das "Resthirn" einschalten!



    Vielleicht die Untersuchungen echter Fachleute abwarten, nach dem aus politischen, anderen Gründen das Fischsterben wochenlang, weitgehend vertuscht, verdrängt, klein geredet wurde.



    Haben wir es mit den ersten krassen Auswirkungen des real existierenden Klimawandels zu tun, welcher entgegen jeglicher populistischer Parolen, tatsächlich unser Land erreicht hat.



    Sinkende Flusspegel, rasante Wassererwärmung, dementsprechend fehlender Sauerstoff, welchen auch Fische brauchen, andererseits sinnflutartige Unwetter, Chaos, Tote.



    In den mittleren und östlichen Gebieten Deutschland, Westpolens ständig steigende Trockenheit, Bodenerrosion, durch fehlenden Regen, Intensivlandwirtschaft mit Monokulturen, Massentierhaltung.



    Seit diese Großwetterlage 2018 sich in Sachsen, Brandenburg, Mecklenburg-Vorpommern, den westlichen Wojewodschaften Polens jedes Jahr weiter verschärft.



    Neben der Austrocknung der Fließgewässer, Seen natürlich auch die Fische und anderen Wasserlebewesen betroffen sind.



    Und vergessen wir nicht, das es flächenddeckend in Deutschland für den Nadelwaldbestand, die tradionelle Landwirtschaft, Nutztierhaltung sprichwörtlich "Fünf nach Zwölf" ist.



    Die Populisten unter uns, die regierenden Populisten panisch, ohne Wissen, hektische "Rettungspläne" zu Lasten der Bürger, Land- , Forstwirte mediengeil verkünden, sollten wir uns mit den Fachleuten auf langfristige machbare Alternativen, die Zukunft der Natur/Landwirtschaft, verständigen. Die Natur weiter ungehemmt ausbeuten, kaputt machen, ist unwiederbringlich vorbei.



    Anscheinend ist das aber bei unseren "scheinökologischen" Regierungsdarstellern, auch aufgrund mangelnden Wissens und Wollens, noch nicht angekommen. Ihre Verbundenheit mit der "Wirtschaft" hat sie verkrüppeln lassen.



    Was bleibt....? Die Hoffnung, der laute Widerstand der Mehrheit.