Fachkräftemangel in Deutschland: Abwehrhaltung bremst Einwanderung

Deutschland fehlen Fachkräfte, deshalb fordern Ex­per­t:in­nen vereinfachte Zuwanderung. Wer derzeit herkommen will, braucht viel Geduld.

Ein Krankenpfleger pflegt einen Mann in einem Badezimmer

Dringend gesucht: PflegerInnen in der Altenpflege Foto: Imago

BERLIN taz | In Deutschland fehlen Arbeitskräfte. Das liegt nicht nur daran, dass die Gesellschaft immer älter wird. Am Donnerstag haben Ex­per­t:in­nen den deutschen Behörden in einer Gesprächsrunde des Mediendienstes Integration eine „Abwehrmentalität“ bei der Einwanderung von Arbeitskräften vorgeworfen. Die Ver­tre­te­r:in­nen aus Wissenschaft und Wirtschaft fordern eine vereinfachte Zuwanderung aus Ländern außerhalb der Europäischen Union.

„Wir befinden uns in einer dramatischen Situation, die wir schon lange prognostiziert haben“, sagt Herbert Brücker, Direktor des Berliner Instituts für empirische Integrations- und Migrationsforschung. In Deutschland gibt es etwa 1,8 Millionen unbesetzte Stellen. Um diese Lücke zu schließen, müssten jährlich mindestens 400.000 Arbeitskräfte nach Deutschland kommen. Mit der momentanen Grundhaltung in den Ausländerbehörden und Auslandsvertretungen sei das aber nur schwer vorstellbar, sagt Brücker. Im vergangenen wurden rund 37.000 Visa für Fachkräfte erteilt.

Die Ansicht von Brückner teilt auch Bettina Offer. Die Rechtsanwältin berät Unternehmen, die Fachkräfte aus dem Ausland anwerben. Sie sagt: Die zuständigen Stellen in der Verwaltung sind zu schlecht ausgestattet. Wer eine abgeschlossene Ausbildung plus Sprachkenntnisse mitbringt und somit per Definition als Fachkraft gilt, warte oft monatelang auf einen freien Termin.

Offer fordert deshalb Sanktionen für Behörden, die Fristen nicht einhalten. Einzelne Auslandsvertretungen würden für Ablehnungen zudem „erfundene Zustände“ heranziehen. Das Auswärtige Amt dementierte die Vorwürfe auf Nachfrage.

„Motivierte Leute, die anpacken können“

Missstände bei der Einwanderung von Arbeitskräften sind der Ampel durchaus bekannt. SPD-Innenministerin Nancy Faeser und ihr Parteikollege, Arbeitsminister Hubertus Heil, nannten das derzeitige System in einem Handelsblatt-Gastbeitrag am Mittwoch „zu schleppend, zu bürokratisch, zu abweisend.“

Nachdem die Regierung Anfang Juli ein Migrationspaket präsentiert hatte, kündigten Faeser und Heil nun ein zweites Maßnahmenbündel an. Arbeitskräfte mit Berufserfahrung und der Zusage für eine Stelle sollen demnach in Deutschland arbeiten dürfen, während das Verfahren zu Anerkennung ihres Abschlusses noch läuft.

Das seien „gute Ansätze“, sagt Martin Winter, Geschäftsführer eines Industriedienstleisters in Baden-Württemberg. Winter, Mitglied der Unternehmerini­tiative „Bleiberecht durch Arbeit“, ärgert sich aber vor allem über die Priorisierung von Fachkräften bei der Zuwanderung: „Wir brauchen nicht nur Fachkräfte, sondern Arbeitskräfte. Motivierte Leute, die anpacken können.“

Im Jahr 2016 hatte die Bundesregierung schon einmal einen Beschluss gefasst, mit dem Staatsangehörige der Westbalkanregion ohne Deutschkenntnisse und berufliche Qualifikation ein Visum beantragen können – sofern sie einen Arbeitsvertrag vorweisen.

Susanne Ferschl, stellvertretende Linken-Faktionsvorsitzende im Bundestag, sieht auch Verbesserungsbedarf bei den Arbeitsbedingungen und warnt vor einem System der Ausbeutung: „Zuwanderung darf nicht dazu dienen, Branchen mit miesen Arbeitsbedingungen billige Arbeitskräfte zuzuführen.“

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