Weg frei für Abriss

Das Bezirksamt Mitte beschließt eine Vereinbarungüber den Abriss der Habersaathstraße 40–48.Die Mie­te­r*in­nen sprechen von Erpressung. Kritikkommt auch vomMieterverein

Mist, daraus wird wohl nun nichts mehr   Foto: Stefanie Loos

Von Marie Frank

Der Bezirk Mitte hat den Weg frei gemacht für einen Abriss der Habersaathstraße 40–47. So beschloss das Bezirks­amt am Dienstag eine Vereinbarung mit dem Eigentümer, um den langjährigen Rechtsstreit um den Abriss des Hauses, den der Bezirk bislang verweigert hatte, beizulegen.

Demnach wird der Abriss des ehemaligen Schwesternwohnheims mit seinen 120 Wohnungen genehmigt, im Gegenzug erklärt sich der Eigentümer zu Zugeständnissen bereit. „Das Bezirks­amt ist überzeugt, dass seine heutige Entscheidung die beste aller schwierigen Handlungsalternativen ist“, teilte Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel (Grüne) am Dienstagnachmittag mit. „Sie ermöglicht die schnelle Schaffung von neuen Wohnungen, geht fair mit den verbliebenen Mie­te­r*in­nen um und bietet den Menschen eine Zukunftsperspektive, die dort seit Januar eine neue Heimat gefunden haben.“

Bereits am späten Montagnachmittag hatte von Dassel die verbliebenen 9 Mietparteien zu einem Gespräch geladen, um ihnen die Vereinbarung darzulegen. Anwesend bei dem zweieinhalbstündigen Treffen, das Teil­neh­me­r*in­nen als „relativ hitzig“ beschreiben, waren auch Bezirksstadtrat Ephraim Gothe (SPD), 5 Alt­mie­te­r*in­nen sowie Ver­tre­te­r*in­nen des Berliner Mietervereins und der rund 60 Obdachlosen, die seit Anfang des Jahres in dem Gebäude wohnen.

Der Vergleichsvorschlag, der der taz in Auszügen vorliegt, sieht vor, dass die Alt­mie­te­r*in­nen nach dem Abriss und der Fertigstellung des Neubaus in neue und gleichartige Wohnungen einziehen können. Ihre derzeitige – sehr niedrige – Miete soll für zehn Jahre nur moderat erhöht werden können –, bis maximal 7,50 pro Quadratmeter, wobei die Miete nicht mehr als 30 Prozent der Einkommen betragen darf. Alternativ können sie eine Abfindung in Höhe von 1.000 Euro pro Quadratmeter erhalten.

Die Arcadia Estates verpflichtet sich, „wesentlich mehr Wohnraum“ zu errichten als bisher und 91 Ersatzwohnungen für im Durchschnitt 7,92 Euro netto kalt zu vermieten – so wie es im Zweckentfremdungsverbotsgesetz vorgesehen ist. Sollte diese Regelung entfallen, will die Arcadia 30 Prozent der neuen Wohnungen (91 Ersatzwohnungen plus zwischen 40 und 50 zusätzlich zu bauende Wohnungen) je zur Hälfte für 6,50 Euro und 8,20 Euro pro Quadratmeter zu vermieten. Das Bezirksamt bekommt für zehn Jahre ein Vorschlags­recht für die Auswahl der Mieter*innen.

Da der Eigentümer damit alle Anforderungen des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes einhalte, sehe sich der Bezirk gezwungen, die Abrissgenehmigung zu erteilen, heißt es. „Um den Abriss von schützenswertem Wohnraum in Fällen wie der Habersaathstraße zukünftig zu verhindern, müsste das geltende Zweckentfremdungsgesetz geändert werden. Hier besteht dringender Handlungsbedarf durch den Landesgesetzgeber“, so Bezirksbürgermeister von Dassel.

Für den stellvertretenden Geschäftsführer des Berliner Mietervereins, Sebastian Bartels, ist die Vereinbarung eine „wohnungspolitische Katastrophe“. Die Abfindung sei angesichts der hohen Mietpreise zu niedrig, die 10-Jahres-Garantie zu kurz und 30 Prozent günstige Wohnungen zu wenig. Hier zeige sich, dass das Zweckentfremdungsverbot „ein relativ schlechtes Gesetz“ sei. „Das muss so schnell wie möglich nachgeschärft werden“, sagt Bartels zur taz.

Bartels fordert unter anderem eine Quote für mietpreisgebundene Wohnungen. Die müsste bei mindestens 50 bis 60 Prozent liegen, wie es etwa in München der Fall sei. Auch müssten Bezirke den Abriss von Gebäuden im Interesse des Klimaschutzes verhindern können. Ähnlich äußert sich am Dienstag auf Twitter die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Katrin Schmidberger, die eine Reform des Zweckentfremdungsverbotsgesetzes inklusive Abrissverbot fordert.

Der Vergleich kommt allerdings nur zustande, wenn mindestens fünf Mietparteien zustimmen. Ob es dazu kommt, ist unklar. „Wir werden die Vereinbarung wohlwollend prüfen“, sagt Daniel Diekmann, der Vorsitzende des Mieterrats, zur taz. Ihn ärgert insbesondere, dass der Eigentümer die ehemaligen obdachlosen neuen Be­woh­ne­r*in­nen nur dann bis zum Abriss in dem Haus dulden will, wenn die Einigung zustande kommt. „Wir sollen unsere unbefristeten Werksmietverträge verschenken, damit die Obdachlosen hier bleiben können. Das ist Nötigung und Erpressung“, findet der 54-Jährige. „Wir lassen uns nicht gegeneinander ausspielen“, stellt er klar.

Bis 15. Juli haben die Alt­mie­te­r*in­nen nun Zeit, über den Vergleichsvorschlag zu entscheiden. Kommt der Vergleich nicht zustande, erhält der Eigentümer trotzdem die Abrissgenehmigung – nur eben ohne Zugeständnisse. Abreißen kann er dann aber trotzdem nicht, vorher müsste er die Alt­mie­te­r*in­nen rausklagen – was Jahre dauern kann. „Wir werden das jetzt besprechen, uns vom Mieterverein beraten lassen und ein Rechtsgutachten erstellen“, kündigt Diekmann an. Dem Bezirk wirft er vor, Investoren den roten Teppich auszurollen, ohne sich um die Rechte der Mie­te­r*in­nen zu kümmern. „Das kann so nicht weitergehen mit dem Ausverkauf der Stadt.“

Das sieht die Initiative „Leerstand hab ich Saath“ ähnlich. Mit einer Kundgebung protestierte sie am Montag gegen den Abriss des Gebäudes. Mit der Genehmigung des Abrisses lasse Stephan von Dassel die Menschen im Stich, die in der Habersaathstraße ein neues Zuhause gefunden haben und belohne den Eigentümer für seine Spekulation mit Leerstand mit Profiten, kritisiert Sprecherin Valentina Hauser. Auch aus Umwelt- und Klimaschutzgründen sei der unnötige Abriss „Wahnsinn“. Die Initiative sieht nun den Senat in der Pflicht: „Wir fordern, dass das Land den Abriss verhindert, die Gebäude in der Habersaathstraße beschlagnahmt und rekommunalisiert.“