Netflix-Dokuserie „Web of Make Believe“: Fische im weltweiten Netz

Hass, Gewalt, Tote: „Web of Make Believe“ spürt den Folgen digital verbreiteter Fehlinformationen nach – und fragt, wie man ihnen begegenen soll.

Filmszene aus der Dokuserie Web of Make Belive

Gefährlicher Streich-Trend in den USA, besonders wegen der dortigen Polizei: „Swatting“ Foto: Netflix

Zwei dämliche Stubenhocker aus der Gaming-Szene streiten sich um einen Betrag von 1,50 Dollar. Gamer eins will Gamer zwei einen bösen Streich spielen und beauftragt einen dritten, ebenfalls dämlichen, nach einem Gefängnisaufenthalt allerdings gerade obdachlosen Stubenhocker, Gamer zwei ein Swat-Team vorbeizuschicken. Er soll einen Notruf absetzen: Mord mit anschließender Geiselname. Die Adresse bekommt der Dritte sogar von Gamer zwei selbst gesagt.

Seit rund zehn Jahren ist das sogenannte „Swatting“ ein Trend in den USA, es ist ja auch zu einfach: Ein Anruf reicht, und die schwerbewaffneten Polizisten werden geschickt, um ein Haus zu stürmen. „Aber es gab nie Todesfälle. Wir warteten nur darauf. Wir wussten, es würde passieren“, sagt ein aufs Swatting spezialisierter Ermittler. Im Dezember 2017 war es dann so weit:

Das Swat-Team kommt, und wie das bei US-amerikanischen Polizisten manchmal eben so ist, sitzt bei einem von ihnen der Finger etwas locker am Abzug. Die Adresse, die Gamer zwei herausgegeben hat, war falsch. Der Mann, den der Polizist erschießt, war unschuldig, unbewaffnet und hatte mit dem Streit nichts zu tun. Die Nichte des Getöteten, die das alles miterleben musste, begeht Suizid, ihr Freund tut es ihr anschließend gleich. Die drei dämlichen Stubenhocker werden mit Gefängnisstrafen von bis zu 20 Jahren belangt, der Polizist nicht einmal angeklagt.

„Death by Swat“ ist die erste von sechs Folgen einer neuen Dokuserie auf Netflix, deren roter Faden die schlimmen, mitunter tödlichen Folgen von „alternativen Fakten“ sind, die über das Internet verbreitet werden.

Informationskrise

In „Murder in D. C.“ geht es etwa um den Mord an dem Wahlkämpfer für die Demokratische Partei Seth Rich im Juli 2016, um den rechte Aktivisten ein Geflecht an Verschwörungstheorien gesponnen haben, wohl auch, um abzulenken vom möglichen Anteil russischer Trolle an der folgenden Wahl Trumps zum Präsidenten.

In „I’m Not a Nazi“ erzählt eine Aussteigerin aus der Alt-Right-Szene, wie sie dort hineingeraten ist („Wie bei Alkohol. Je mehr man trinkt, desto mehr verträgt man, desto mehr trinkt man. Es eskalierte immer weiter.“) – und wie der Tod der Bürgerrechtlerin Heather Heyer während der rechtsextremen Demonstration „Unite the Right“ 2017 in Charlottesville sie zum Umdenken veranlasste. Aber auch wie in der Zwischenzeit selbst weiße „hate speech“ sich über das Internet verbreitete.

Expertinnen ordnen die Geschichten ein. „Ein Grund für das Onlinewachstum der Rechten ist die Möglichkeit, ihre Ideologie, ihre Videos und ihr Denken auf Netzwerken wie Youtube oder Facebook zu posten“, sagt die Tech-Journalistin April Glaser. Vor allem Youtube sei ein Ort, Gedanken zu äußern, die in traditionellen Medien verboten seien. Andrew Marantz, Journalist beim New Yorker, sieht darin große Gefahren: „Wenn man den schlimmsten Menschen der Welt erlaubt, die größten Plattformen der Welt uneingeschränkt zu übernehmen, wird das massive Konsequenzen haben.“

Marantz’ Urteil über das Internet und die mit seiner Verbreitung einhergehende Entgrenzung ist am Ende vernichtend. „Wir sind in einer Informationskrise, die uns zerstört. Sie löst unsere Demokratie auf. Sie macht normale Menschen unfähig, die Wahrheit zu ahnen. Sie macht Kommunikation unmöglich.“

Das klingt nun sehr viel alarmistischer als das der Serie vorangestellte Zitat des großen Säulenheiligen der Medientheorie Marshall McLuhan: „Wir leben in einer elektrischen Informationswelt, die für uns genauso unwahrnehmbar ist wie Wasser für Fische.“

Tatsächlich ist Marantz nur einer von vielen Talking Heads in „Web of Make Believe“. Regisseur Brian Knappenberger hat sich mit den Filmen „The Internet’s Own Boy“ und „We Are Legion: The Story of the Hacktivists“ bereits als Spezialist für Internetthemen empfohlen. Dank Knappenberger kommt die Serie nach hiesigem, von unserem vergleichsweise rührigen öffentlich-rechtlichen Rundfunk geprägten Verständnis durchaus weniger spekulativ und reißerisch daher als andere Netflix-Dokus.

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