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Machtkampf nach Wahldebakel in NRWAfD pinkelt sich selbst ans Bein

Mehrere Mitglieder des AfD-Bundesvorstands fordern den Abgang von Parteichef Tino Chrupalla. Der will aber nicht weichen.

Mann, der auf Niederlagen starrt: Seit Chrupalla Parteichef ist, hat die AfD in keiner Wahl gewonnen Foto: Wolfgang Kumm/dpa

Berlin taz | Nach dem Wahldebakel der AfD in NRW ist der offene Lagerkampf in der extrem rechten Partei ausgebrochen. 5,4 Prozent hat die AfD im vorläufigen Endergebnis erzielt, das sind 2 Prozentpunkte weniger als noch 2017, fast wäre die Partei aus dem Landtag geflogen. Es ist die zehnte AfD-Wahlniederlage in Folge, sowohl im Osten als auch im Westen – alle fallen in die Amtszeit des Parteivorsitzenden und Fraktionschefs Tino Chrupalla.

Genau das machen sich dessen parteiinterne Geg­ne­r*in­nen, insbesondere die hessische Bundestagsabgeordnete und Vorstandsmitglied Joana Cotar, am Tag nach der Niederlage nun zunutze. Cotar macht das wohl auch, um sich selbst als Kandidatin für den Parteivorsitz zu positionieren: „Mit Tino Chrupalla endet die Erfolgsgeschichte der AfD“, sagte Cotar in einer gemeinsamen Pressemitteilung mit weiteren Mitgliedern des Bundesvorstands. Der sächsische Politiker bilde weder die gesamte Partei ab, noch überzeuge er bei den Wähler*innen. Chrupalla dürfe als Bundessprecher beim Parteitag Mitte Juni in Riesa nicht noch einmal antreten, forderte sie.

Um maximalen Schaden anzurichten, veröffentlichte Cotar ihren Frontalangriff minutengenau zum Beginn der Pressekonferenz von Chrupalla, auf der dieser die Niederlage in Nordrhein-Westfalen erklären sollte. Chrupalla konterte, indem er seinerseits ankündigte, mit einem Team als Bundessprecher anzutreten, das alle Strömungen repräsentieren solle. Nach den Wahlschlappen stehe man jetzt vor der Aufgabe, mit einer inhaltlich noch vagen „Initiative West“ mehr Disziplin einzufordern und einen klar hierarchisierten Bundesvorstand ohne große Konflikte und bisherige „persönliche Animositäten“ zu schaffen, so Chrupalla.

Die offene Kritik versuchte Chrupalla mit einem leicht verhaspelten Scherz zu kontern: „Diese Kakofonie erzeugen immer wieder dieselben Personen. Wie früher beim Camping: Es haben sich immer diejenigen beschwert darüber, dass es nass im Zelt ist, die selbst ins Zelt hinein gepinkelt haben.“ Er sei früher regelmäßig mit der Jungen Union zelten gewesen, so Chrupalla auf die Rückfrage, wo er denn campen gehe.

Höcke-Kandidatur weiter in der Diskussion

Inhaltlich sprach Chrupalla auf der Pressekonferenz erneut von fehlender „Unterscheidbarkeit“, wie er es auch schon nach dem verpassten Wiedereinzug in Schleswig-Holstein tat. Also mehr Ost-Kurs. Dort ist die Partei völkisch dominiert, aber damit überwiegend auch erfolgreich in Regionen, wo rassistische Positionen normalisierter sind als im Westen und die AfD nicht systematisch ausgegrenzt wird.

Ob dieses Konzept tatsächlich auf den Westen übertragbar ist, stellen jedoch viele in der AfD infrage. Zuletzt etwa am Sonntagabend der NRW-Landeschef Martin Vincentz, der davon sprach, dass der mit der Parteispitze liebäugelnde Rechtsextremist Björn Höcke kurz vor den Wahlen nicht unbedingt zum Erfolg beigetragen hätte. Die Frage, ob Höcke Teil seines Teams sein könne, ließ Chrupalla offen. Er wolle keine öffentlichen Personaldiskussionen. Unterordnen aber wollte Chrupalla sich keinesfalls, sagte er: „Wenn Herr Höcke meint, als Parteichef antreten zu müssen, so muss er gegen Tino Chrupalla antreten.“

Es war damit zu rechnen, dass nach der NRW-Wahl unmittelbar vor dem richtungsweisenden Parteitag in Riesa der Lagerkampf zwischen völkisch geprägten Ost-Vertretern und vermeintlich Gemäßigten, mit Schwerpunkt im Westen, weiter an Fahrt aufnimmt. Gleichwohl traf die Kritik einen wunden Punkt: Alexander Wolf, ebenfalls im Bundesvorstand sowie Vizechef der AfD Hamburg, nutzte Chrupallas derzeit offene Flanke – dessen gute Verbindungen nach Russland inklusive Besuch bei Lawrow vor anderthalb Jahren. Wolf sagte: „Ein allzu großes Verständnis für die russische Position im Ukrainekrieg wird nirgendwo mehrheitlich akzeptiert.“ Der Kurs von Chrupalla sei ein Irrweg, der die Partei nach dem Rausfliegen aus dem Landtag in Schleswig-Holstein fast eine weitere Landtagsfraktion gekostet hätte, so Wolf: „‚Frieden schaffen ohne Waffen‘ ist eine Kirchentagsparole, nicht die Position der AfD.“

Plausibel kann in der AfD allerdings derzeit niemand erklären, wie die AfD künftig Wahlpleiten verhindern will. Chrupallas Vorstoß einer „Initiative West“ ist bisher ebenso unkonkret wie die Forderung nach einer „Offensive West“ seiner parteipolitischen Gegner*innen, die aber immerhin neues Spitzenpersonal fordern können.

Allerdings fehlt es der Partei derzeit an durchdringenden Inhalten und strahlkräftigem Spitzenpersonal: Prominentere Mitglieder kündigten bisher keine Kandidatur an. Alexander Gauland ist zu alt. Alice Weidel will nach allem, was man hört, nicht als Parteichefin kandidieren. Beatrix von Storch ist nach einer Affäre um Wahlbetrug auf einem Berliner Delegiertenparteitag ihrerseits angezählt. Und eine Kandidatur von Höcke würde die Partei wohl vollends zu einer östlichen Regionalpartei degradieren. Die übrigen gehandelten Namen wie Peter Boehringer oder Rüdiger Lucassen sind in der Breite der Bevölkerung eher unbekannt.

Kurzum: Die AfD findet keine Mittel gegen ihren fortschreitenden Bedeutungsverlust. Während zuletzt im Saarland und Schleswig-Holstein noch die heftig zerstrittenen Landesverbände als Erklärung für die schlechten Ergebnisse herhalten konnten, ist die Gesamtkrise der AfD nach der Wahl im bevölkerungsreichsten Bundesland NRW nicht zu übersehen. Die Verluste zeigen: Die AfD dringt trotz Krisenlage nicht durch. Die unentschlossene AfD-Haltung in der Russlandfrage schadet, ebenso wenig kann die AfD keine Nicht-Wähler*innen motivieren. Dass nun das offene Hauen und Stechen innerhalb der Partei wieder losgeht, wird wohl ebenfalls nicht gerade helfen.

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10 Kommentare

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  • Soso, westliche Nazis gehen in den Osten (siehe Höcke) ... und dass Nkunku bester Bundesligaspieler ist, hilft den Braunen auch nicht.

  • Also genau wie bei der Linkspartei. Scheint, als ob es da doch die ein oder andere Gemeinsamkeit gibt.

  • Es gibt eine "Migrationsbewegung" des rechten Wählerpotentials in Deutschland von West nach Ost und umgekehrt, des linken Potentials nach West. In der Konsequenz führt das dazu, dass sich die alten Ost-West Lager neu bilden, nur in umgekehrter Ausprägung. Bei genauer Betrachtung sieht man das auch EU weit an Polen, Ungarn, Tschechien, etc, die heute viel konservativer sind, als sie es zu Zeiten des Sowjetblocks waren, während die westlichen EU Länder heute viel linker daherkommen, als zu Zeiten des Eisernen Vorhangs. Während der alte Westen immer mehr nach links driftet, rutscht der alte Osten immer mehr nach rechts. Das ist kein Problem der AfD. Die AfD spiegelt das Phänomen nur wider. Wer ein bisschen älter ist, wird das vermutlich nachvollziehen können. Ein Helmut Kohl war im damaligen Westen von seiner Politik her gar nicht so viel anders, als es heute ein Höcke im Osten ist. Und ja, das ist wirklich so. Kohl war nur nicht ganz so frontal. In der praktischen Politik tut sich da aber nicht viel. Umgekehrt wäre es in der damaligen West BRD undenkbar gewesen, linke Spitzen wie Habeck oder Baerbock in entscheidenden Bundesministerien zu platzieren. In der DDR hingegen schon. Man achte einfach mal darauf, wie stark die Zugewinne der Grünen im Westen sind und wie wenig sie im Osten punkten. Bei der AfD ist es genau umgekehrt. Die Rechten flüchten eben nach Osten, die Linken nach Westen. Was dann zu entsprechenden Ergebnissen führt. Migrationsbewegungen auch innerhalb eines Landes führen unweigerlich zu wechselnden politischen Mehrheiten. Mehr ist da nicht hinter. Natürlich muss man sich als Partei aber lokal an diese geänderten Mehrheiten anpassen. In einer Demokratie bestimmt letztlich der Wähler, was er oder sie will. Und die Wähler im Westen sind eben andere, als die im Osten.

    • @Ralf Pöhling:

      Die Theorie was den ehem. Ostblock und Westeuropa betrifft, würde ich ja noch folgen.



      Aber Höcke und Kohl vergleichen? Auf der einen Seite war Helmut Kohl wertkonservativ, hat aber gleichzeitig Dinge wie den Euro und das Zusammenwachsen der EU gefördert. (oder wars damals noch die EG, bin zu jung um mich an die Bonner Republik zu erinnern)



      Bernd-Björn Höcke hingegen, polemisiert und stellt Dinge wissentlich falsch dar.



      „Dafür sind wir damals nicht auf die Straße gegangen, damit wir heute in einer DDR 2.0 leben!“



      Beim Mauerfall, war der Kerl 17 Jahre alt und lebte in Ost-Westphalen, der ist für einen Schei… auf die Straße gegangen und macht nun einen auf DDR-Bürgerrechtler 2.0.



      Auch Annalena Baerbock und Robert Habeck als „links“ zu bezeichnen, ist inhaltlich schon falsch. Denn erstens, gehören die beiden dem Realo-Flügel ihrer Partei an, (soweit ist das linke Erbe der Grünen noch intakt, dass es bei ihnen keinen rechten Parteiflügel gibt) und zweitens stehen die Grünen heute programmatisch sehr viel weiter in der „Mitte der Gesellschat“, als noch in den 1980ern, sind also ordentlich nach rechts gerutscht.



      Oder polemischer, gestern grün, heute gelb und übermorgen schwarz.

    • @Ralf Pöhling:

      Eine sehr abenteuerliche Erklärung mit schlicht falschen Behauptungen. Kohls Politik war nicht anders als die von Höcke heute? Kohl war derjenige, der auf zunehmende europäische Integration gedrängt hat, unter ihm wurde die Einführung des Euro beschlossen. Alles Dinge gegen die Höcke und die AfD polemisieren.

  • Die AfD ist von einem "Zerbrechen" noch weit entfernt ... ich bin sehr skeptisch, ob sie auch im Osten an Stimmen verliert.

    Im Übrigen: Wahlbeteiligung in NRW: 55 %, 10 % weniger als bei der letzten Wahl. Wahlen "gewinnt" die Partei, die es schafft, ihre potenziellen Wähler an die Wahlurne zu bringen. Und davon gibt es in der BRD für die AfD noch mehr als genug.

  • Man kann es auch deutlich kürzer schreiben. Nachdem die alternativlose Kanzlerin weg ist, ist die Alternative nicht ganz, aber schon deutlich weniger wichtig geworden. Merkel hat die AfD erst so richtig groß gemacht. Und, es gibt jetzt richtig gute Politik, wenn auch längst nicht von allen, so doch von einigen, was sich im Wahlergebnis wiederspiegelt. Das letzte Merkelkabinett war zumindest unionsseitig eine Farce, geboren aus der Maxime: Machterhalt bis ins Rentenalter: SCHEUER, wird uns noch ne Stange Geld kosten, UvdL, auch teuer und AKK, Totalversagen, wie jetzt deutlich sichtbar, ALTMEIER, Bremser bei den Erneuerbaren, KLÖCKNER, Lobbyfrau in Reinkultur, SPAHN, Kaufmann, also Amateur im Gesundheits-Ministerium mit maßlosem Selbstbewusstsein, SEEHOFER, na ja, und zwei weitere, an die sich sicher niemand mehr erinnern kann.

  • Es freut mich, dass die Partei den Weg von NPD, DVU und Reps zu gehen scheint. Es ist eben so, dass in solchen Parteien häufig Leute sitzen, die galuben, sie selbst hätten die größte Ahnung und das Recht sich durchzusetzen - Querulaten, Egomanen, Radikale, aber keine kompromisbereiten Team-Player. Und daran zerbrechen dann glücklicherweise die rechten Parteien.

    • @flipmar:

      Naja, links der Mitte herr-scht auch nicht immer Teamplayer-Harmonie - aber der Effekt ist der Gleiche: Bedeutungslosigkeit.

  • Der Republikaner-Effekt.



    Ich wünsche mir so sehr, dass die AfD auch von Republikaner-Effekt erfasst werden, und in die Bedeutungslosigkeit verschwinden. Dort war es auch der parteiinterne Streit, welcher die Wähler vergraulte.