Grüne gewinnen erstmals Direktmandate: Stich in die rote Herzkammer

Bei der Landtagswahl in Schleswig-Holstein gewann die CDU am Sonntag fast alle Wahlkreise. Die SPD verlor sogar ihre Hochburgen in Kiel und Lübeck.

Auf einem Laster wird ein Wahlplakat von Losse-Müller abtransportiert

Bloß weg damit: Die SPD hat ihr Wahlziel in Schleswig-Holstein weit verfehlt Foto: Daniel Bockwoldt/dpa

RENDSBURG taz | Dass der SPD-Spitzenkandidat seinen Wahlkreis nicht gewinnen kann – geschenkt. Thomas Losse-Müller trat in Eckernförde ausgerechnet gegen den CDU-Ministerpräsidenten Daniel Günther an. Der ist nicht nur landesweit beliebt, sondern stammt zudem noch aus der Stadt an der Ostsee und hatte damit gegenüber dem zugezogenen Losse-Müller einen Heimvorteil. Mit Losse-Müllers Direkteinzug in den Landtag hatte also vermutlich nicht einmal er selbst gerechnet.

Aber dass auch die Landesparteichefin Serpil Midyatlı im Wahlkreis Kiel-Ost verliert – das ist ein herber Schlag für die SPD und Midyatlı persönlich. Der Blick auf die früheren SPD-Hochburgen zeigt das Desaster der So­zi­al­demo­kra­t*in­nen in Schleswig-Holstein und die neue Wirklichkeit im Land. Die ist Schwarz-Grün.

Die Schleswig-Holstein-Karte, die das Statistische Landesamt am Tag nach der Wahl auf seiner Homepage veröffentlichte, sieht düster aus. Das liegt daran, dass fast alle der landesweit 35 Wahlkreise schwarz gefärbt sind. Hier hat die CDU direkt gewonnen – so wie die Partei es sich als Ziel gesetzt hatte. In einigen ländlichen Regionen, besonders an der Westküste, erreicht die CDU bei den Zweitstimmen die 50-Prozent-Marke.

Nur drei kleine grüne Flecken tauchen auf der Karte auf, sie markieren die Regionen, in denen die Grünen sich direkt gegen die CDU durchsetzen konnten. Generell haben die Grünen landesweit an Stimmen gewonnen – auch in CDU-Hochburgen. So stimmten im Wahlkreis Eckernförde 58 Prozent für Daniel Günther direkt, aber nur 39,6 Prozent, also weniger als im Landesschnitt, für seine CDU. Dafür wurden dort die Grünen mit knapp 20 Prozent zweitstärkste Kraft.

Die Grünen ziehen an der SPD vorbei

SPD-Rot gibt es auf der Karte des Statistikamtes gar nicht. Dabei hatte die SPD noch bei der Bundestagswahl im vergangenen Herbst die CDU weit abgeschlagen und die Mehrheit der Wahlkreise direkt gewonnen. Darunter war der „Kanzlerwahlkreis“ Pinneberg, der von Einheimischen und Medien als Orakel betrachtet wird: Die Partei, die in Pinneberg gewinnt, stellt den Kanzler – so geschah es im vergangenen Jahr.

Von Feierstimmung war am Sonntag nichts zu spüren, als sich SPD-Mitglieder und Abgeordnete in einem Saal im Obergeschoss des Landeshauses trafen. Nicht einmal in ihren Hochburgen in den größeren Städten wie Kiel, Lübeck und Flensburg lag die Partei vorn, erst recht nicht in den ländlicheren Wahlkreisen. Dafür zogen in zwei Kieler und in einem Lübecker Bezirk die Grünen an allen anderen vorbei.

Rund 27.000 SPD-Anhänger*innen haben diesmal nicht gewählt

Lasse Pettersdotter, der bereits dem Landtag angehört, und Anna Langsch, bisher im Kieler Kreisverband und als Sprecherin der Landesarbeitsgemeinschaft „Queer SH“ aktiv, siegten in Kiel Nord und West, beide Wahlkreise hatte vor fünf Jahren die SPD gewonnen.

In Lübeck-Süd, eigentlich ebenfalls ein „sicherer“ SPD-Wahlkreis, siegte der Medizinstudent Jasper Balke mit 34 Prozent gegen die CDU-Kandidatin Anette Röttger mit 27 Prozent. Die SPD-Bewerberin landete bei nur 23 Prozent – 2017 hatte hier der Sozialpolitiker Wolfgang Baasch rund 35 Prozent geholt. Verluste für die SPD von über zehn Prozentpunkten sind auch in den anderen städtischen Wahlkreisen zu verzeichnen.

Besonders krass fällt das Ergebnis in Kiel-Ost aus. Denn der Wahlkreis hat eine besondere Bedeutung für die Partei: „Für mich ist das Kieler Ostufer die Herzkammer der Sozialdemokratie in Schleswig-Holstein“, so Serpil Midyatlı in einem Schreiben an die Genoss*innen, mit dem sie sich 2021 um die Direktkandidatur bewarb. Kiel-Ost mit seinen Fabriken und Werften war ein klassisches Arbeiterviertel, heute leben hier viele Menschen mit Migrationshintergrund – auch Midyatlı selbst wohnte und arbeitete in dem Viertel, in dem früher unter anderem Heide Simonis antrat.

SPD-Wähler wandern weg

Nun ist die Herzkammer schwarz geworden: Die Christdemokratin Seyran Papo, selbstständige Dolmetscherin und erst seit 2020 im Kreisvorstand der Kieler CDU aktiv, holte auf Anhieb 29,4 Prozent der Stimmen. Midyatlı, die als Landesparteichefin und stellvertretende Bundesparteivorsitzende den weitaus größeren Bekanntheitsgrad hat, kam auf 26,2 Prozent.

Bei den Zweitstimmen verlor die SPD hier fast zwölf Prozent, während CDU, Grüne und die Minderheitenpartei SSW zulegten. Insgesamt war die Wahlbeteiligung in diesem Kieler Stadtteil mit rund 49 Prozent noch weit geringer als im ganzen Land.

Landesweit sollen laut Analysen und Befragungen von Infratest Dimap rund 27.000 SPD-Anhänger*innen diesmal nicht gewählt haben. Vor allem aber sorgte die Zufriedenheit mit der amtierenden Koalition dafür, dass diejenigen, die 2017 die SPD gewählt hatten, nun für CDU und Grüne stimmten. Auch der SSW als solide Alternative profitierte und erhielt rund 14.000 Stimmen von früheren SPD-Wähler*innen.

Dazu kam die mangelnde Bekanntheit des SPD-Kandidaten Losse-Müller. Bei der tristen Wahlparty im Landeshaus berichtet ein ehemaliger Landtagsabgeordneter, der immer noch lokalpolitisch aktiv ist, selbst er habe den Bewerber erst vor wenigen Wochen kennengelernt.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Wir würden Ihnen hier gerne einen externen Inhalt zeigen. Sie entscheiden, ob sie dieses Element auch sehen wollen.

Ich bin damit einverstanden, dass mir externe Inhalte angezeigt werden. Damit können personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr dazu in unserer Datenschutzerklärung.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.