#MeToo bei der Linken

Parteichefin Wissler wehrt sich gegen Vorwürfe, auf Beschwerden wegen sexueller Belästigung nicht rechtzeitig reagiert zu haben. Am Mittwoch tagt der Bundesvorstand

Zunehmend unter Druck: die Co-Parteivorsitzende der Linken, Janine Wissler Foto: Bernd von Jutrczenka /dpa

Von Barbara Dribbusch

Nach den Vorwürfen sexueller Belästigung innerhalb der hessischen Linken haben sich weitere mutmaßlich Betroffene an die mit der Partei verbundene Linksjugend solid gewendet. Solid-Bundessprecherin Sarah Dubiel erklärte, es hätten sich 20 Personen aus mehreren Landesverbänden gemeldet, die von sexuellen Übergriffen berichteten. Die neuen Vorwürfe beträfen auch Bundespolitiker, so Dubiel. Der Bundesvorstand der Linken kommt am Mittwoch zu einer außerplanmäßigen Sitzung zusammen, um sich mit den Vorwürfen zu beschäftigen, sagte ein Parteisprecher der taz.

Der Spiegel hatte am Freitag über mutmaßliche Fälle von sexualisierter Gewalt in der hessischen Linkspartei berichtet. Man habe mit zehn Frauen und Männern gesprochen, die vor allem Vorwürfe gegen Mitglieder der hessischen Linken erheben, hieß es in dem Artikel. Es gebe „Chatverläufe, Fotos, E-Mails, eidesstattliche Versicherungen der Betroffenen und weitere Dokumente, die Hinweise auf mutmaßliche Grenzüberschreitungen, Machtmissbrauch und eine toxische Machokultur liefern“, schrieb das Magazin.

Janine Wissler, heute eine von zwei Bundesvorsitzenden der Linken, war zum Zeitpunkt der mutmaßlichen Übergriffe in den Jahren 2017 bis 2019 Fraktionsvorsitzende der Linken in Hessen. Sie wandte sich jetzt entschieden dagegen, „dass mir unterstellt wird, ich hätte irgendjemanden geschützt“.

Einer der Hauptvorwürfe kommt von einer heute 22-jährigen Betroffenen. Sie hatte als 17-Jährige mit einem damaligen Mitglied des hessischen Landesvorstandes und Wiesbadener Kreisverbands der Linken, dem heute 46-jährigen Adrian G., eine Affäre begonnen. Er habe sie beim Sex gegen ihren Willen mit einer Kamera gefilmt. Zudem sei er einmal über den Balkon unangekündigt in ihre Wohnung eingestiegen, sie habe dann „nachgegeben“, mit ihm zu schlafen. Die Beziehung zu G. ging danach noch ein halbes Jahr weiter.

Janine Wissler war damals die Lebenspartnerin von Adrian G., sie wurde von der Betroffenen 2018 darüber informiert, dass diese ein Verhältnis mit Wisslers Freund hatte. „Ich war darüber zutiefst bestürzt“, erklärte Wissler in einer Stellungnahme zu den Vorwürfen. Sie habe damals mit der Betroffenen telefoniert. In keinem der Kontakte mit der Betroffenen wurde von dieser der Vorwurf des sexuellen Missbrauchs oder der sexuellen Gewalt gegen G. erhoben, betont Wissler. Sie selbst beendete damals die Beziehung zu Adrian G.

Im Gespräch mit der taz erklärte Adrian G. am Montag, er arbeite an einer Gegendarstellung und werde „alles transparent machen“. Öffentlich äußern wollte er sich derzeit nicht. Er verwies dabei auf zwei laufende Ermittlungen. In einem Ermittlungsverfahren werde er als Geschädigter, im zweiten als Zeuge geführt, sagte G.

Im Spiegel werden weitere Fälle beschrieben. Unter anderem beschwert sich eine junge Frau über sexuelle Belästigung durch einen älteren Politiker. Außerdem schildert ein junger Mann Zudringlichkeiten eines 54-jährigen Bundestagsabgeordneten der Linken. Beide Betroffene waren damals Mitglieder der Linksjugend.

Wissler verwies nun auf die im Oktober 2021 gegründete „Vertrauensgruppe“ im Linken-Bundesvorstand, die Kontakt mit den Betroffenen aufnehmen solle. Die Vertrauensgruppe besteht aus fünf Frauen, die dem 44-köpfigen Bundesvorstand der Partei angehören.

Die stellvertretende Vorsitzende der Linkspartei, Martina Renner, kündigte an, die Linke werde einen „unabhängigen Expertinnenrat zur Aufarbeitung der Vorwürfe“ zusammenrufen. Dubiel sagte, nötig seien professionell geschulte Ansprechpartner. Die Partei müsse „Geld in die Hand nehmen“ sowohl zur Aufarbeitung als auch für Ansprechpersonen.