1. Mai in Berlin: Wut gilt Ausbeutung und Rassismus

Zwei Jahre Pandemie haben die sozialen Ungerechtigkeiten noch verschärft. Mehr als der Nahostkonflikt stand daher am 1. Mai die Klassenfrage im Fokus.

„Die Reichen sollen zahlen“ steht auf dem Plakat, während Müll an der Kottbusser Straße herumliegt, wo am 1. Mai die 18-Uhr-Demonstration vorbei lief.

In der Krise haben sich die Klassengegensätze noch verschärft, wie am 1. Mai deutlich wurde Foto: Annette Riedl/dpa

Die Klassenfrage ist zurück – das hat sich bei den diesjährigen 1.-Mai-Demonstrationen in Berlin eindrücklich gezeigt. Zwei Jahre Pandemie haben die sozialen Ungerechtigkeiten in der kapitalistischen Gesellschaftsordnung mehr als deutlich zutage treten lassen. Sei es die patriarchale Gewalt gegen Frauen*, gegen die in der Walpurgisnacht rund 3.000 FLINTA lautstark auf die Straße gegangen sind, der Mietenwahnsinn, gegen den mehrere tausend Menschen im Villenviertel Grunewald angeradelt sind, oder die alltäglichen ausbeuterischen Arbeitsverhältnisse.

Ausbeutung und Klassenkampf standen sowohl bei der Kundgebung des DGB am Brandenburger Tor als auch bei der abendlichen Revolutionären 1. Mai-Demonstration im Mittelpunkt. Dass beim DGB die Regierende Bürgermeisterin und ausgewiesene Enteignungsgegnerin Franziska Giffey (SPD) ausgebuht und mit einem Ei beworfen wurde, überrascht nicht.

Bereits im Vorfeld hatte es von Teilen der Gewerkschaften und von sozialen Bewegungen Kritik daran gehagelt, mit ihr die Chefin des öffentlichen Dienstes und damit die Verantwortliche für millionenschwere Kürzungen im Personalbereich einzuladen. Den überlasteten Beschäftigten der landeseigenen Krankenhäuser, Kitas oder Schulen dürfte das am Tag der Ar­bei­te­r*in­nen­klas­se wie purer Hohn vorgekommen sein – ganz zu schweigen von den mehr als eine Million Berliner*innen, die angesichts explodierender Mietpreise für die Enteignung großer Immobilienkonzerne gestimmt haben.

Auf der 18-Uhr-Demo trugen dann 20.000 Ber­li­ne­r*in­nen ihre Wut über Unterdrückung und Ausbeutung auf die Straße. Dass nicht noch weitaus mehr Menschen gekommen sind, dürfte auch daran liegen, dass viele Linke mit dem von palästinensischen Fahnen dominierten Frontblock und seinen antiisraelischen Parolen nicht einverstanden sind. Dieser sollte jedoch nicht davon ablenken, dass es die Revolutionäre 1. Mai-Demonstration mittlerweile geschafft hat, aus der weißen linken Bubble auszubrechen und große Teile der migrantischen Ar­bei­te­r*in­nen­klas­se einzubinden.

20.000 Ber­li­ne­r*in­nen gegen Kapitalismus auf der Straße

So stand dann auch trotz gegenteiliger Außenwirkung keinesfalls der Nahost-Konflikt im Vordergrund, sondern die schlechten Arbeitsbedingungen der überwiegend migrantischen Ar­bei­te­r*in­nen bei Lebensmittellieferdiensten wie Gorillas, genauso wie Kritik an rassistischen Polizeikontrollen.

Es steht zu befürchten, dass diese durch die geplante Polizeiwache am Kotti noch zunehmen werden. Denn noch etwas hat sich an diesem 1. Mai gezeigt, der laut Berliner Polizei der friedlichste seit Langem war: Solange sich die Polizei zurückhielt, blieb die Demo weitgehend friedlich, erst als die Einsatzkräfte ab dem Kottbusser Tor, spätestens jedoch am Endpunkt am Oranienplatz massiv Präsenz zeigten und die Teil­neh­me­r*in­nen bedrängten, eskalierte die Lage.

Das zeigt: Gesellschaftliche Probleme lassen sich grundsätzlich nicht mit polizeilichen Mitteln lösen, im Gegenteil. Oder anders gesagt: Weniger Polizei = weniger Probleme.

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Leiterin taz Berlin und Redakteurin für soziale Bewegungen, Migration und soziale Gerechtigkeit. Schreibt in ihrer Kolumne "Pöbelmanie" über Klassenkampf aus der Perspektive eines Kindes der Arbeiter*innenklasse. Hat politische Theorie studiert, ist aber mehr an der Praxis interessiert.

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