Gesperrter hessischer Bericht: Neuer Streit um NSU-Akte

Hessen ließ eine NSU-Akte zunächst für 120 Jahre sperren. Nun fordert Innenministerin Faeser die Offenlegung – aber Schwarz-Grün weigert sich.

Porträt von Bundesinnenministerin Nancy Faeser im März 2022.

Will die NSU-Aufarbeitung im Bund wieder forcieren: Innenministerin Nancy Faeser Foto: Christophe Gateau/dpa

BERLIN taz | Es bleibt ein Makel der schwarz-grünen Regierung in Hessen. Für 120 Jahre hatte der Verfassungsschutz dort zunächst eine Akte zum NSU-Terror eingestuft, später noch für 30 Jahre. In einer Petition forderten gut 130.000 Unterzeichnende die Offenlegung. Schwarz-Grün aber verweigert das bis heute. Nun jedoch kommt Druck von ganz oben, von Bundesinnenministerin Nancy Faeser.

Die Sozialdemokratin plädierte schon zu ihrer Zeit als hessische Innenpolitikerin für die Offenlegung der Akte. Jetzt als Innenministerin unterstrich Faeser jüngst bei der Vorstellung ihres Aktionsplans Rechtsextremismus: „Ich bin nach wie vor der Meinung, dass man diesen Bericht veröffentlichen kann und Zugang ermöglichen sollte.“ In diesem Punkt sei „Transparenz und Offenheit sehr wichtig“. Und Faeser verwies auf den Koalitionsvertrag der Ampel, in dem eine „energische“ Aufarbeitung des NSU-Terrors festgeschrieben ist. „Dazu stehe ich auch.“

Hessen weigert sich weiterhin

Es war eine klare Ansage – die man so von ihrem Vorgänger Horst Seehofer nicht hörte. Schwarz-Grün in Hessen reagiert indes reserviert. „Eine Veröffentlichung ist nach wie vor rechtlich nicht möglich“, erklärte ein Sprecher von Innenminister Peter Beuth (CDU) auf taz-Nachfrage. Er verwies, ebenso wie Grünen-Fraktionschef Mathias Wagner, nur auf den zuletzt gemachten Vorschlag, einen Sonderermittler einzusetzen, der die Akte auswertet. Damit, so Wagner, wolle man das berechtigte Interesse der Öffentlichkeit und die rechtlichen Regeln „in Einklang“ bringen.

Tatsächlich hat Faeser kein Durchgriffsrecht. Mit ihrer Positionierung isoliert sich Schwarz-Grün in Hessen aber immer mehr. Die dortige Opposition lobt Faesers Vorstoß. „Wir unterstützen die Aussage der Bundesinnenministerin voll und ganz“, sagte Linken-Innenexperte Hermann Schaus der taz. „Die Freigabe entspricht dem, was wir und einige zivilrechtliche Organisationen schon immer gefordert haben.“

Sanfter Druck von den Bundes-Grünen

Und auch von den Bundes-Grünen kommt sanfter Druck auf die hessischen Parteikolleg:innen. Um Defizite im Kampf gegen den Rechtsextremismus abstellen zu können, müsse man „zwingend auch aus den Fehlern der Vergangenheit lernen“, betont Konstantin von Notz, Grünen-Fraktionsvize im Bundestag. „Daher ist es gut, dass die Innenministerin auch die Aufarbeitung zurückliegender Taten noch einmal anspricht. Viele Fragen im NSU-Komplex sind bis heute unbeantwortet.“ Von Notz' Appell: „Entscheidend ist, dass wir es gemeinsam angehen.“

In Hessen bleibt Schwarz-Grün aber bei seinem Sonderermittler. Der frühere Justizstaatssekretär Rudolf Kriszeleit (FDP) soll die NSU-Akte noch einmal sichten und die Öffentlichkeit darüber „in geeigneter Form“ unterrichten. Der Linke Schaus nennt das eine „Placebo-Pille“, um die Öffentlichkeit zu beruhigen. Und auch Faesers hessischer SPD-Kollege Günter Rudolph spricht von einem „durchschaubaren Spiel auf Zeit“, um sich „so lange wie möglich vor einer Entscheidung über die Offenlegung der NSU-Berichte zu drücken“.

Die Akte prüfte NSU-Bezüge nach Hessen

Die taz hatte die NSU-Akte, die aus zwei Berichten des Landesamtes für Verfassungsschutz zu hessischen Bezügen zum Terrortrio besteht, bereits einsehen können. Darin heißt es, Hinweise auf solche NSU-Bezüge gebe es nicht. Da aber 541 Aktenstücke fehlten, gebe es darüber „keine abschließende Sicherheit“.

Die NSU-Aufarbeitung muss nun der Bund forcieren. In Faesers Aktionsplan steht dazu nichts, aber im Koalitionsvertrag ist neben dem Aufklärungsversprechen auch ein Archiv zu Rechtsterrorismus und ein Dokumentationszentrum für die NSU-Opfer vereinbart. Faeser hatte zuletzt Betroffenen von rechtem Terror versprochen: der Staat schulde ihnen „eine transparente und lückenlose Aufarbeitung“.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Mit der taz Bewegung bleibst Du auf dem Laufenden über Demos, Diskussionen und Aktionen gegen rechts.

Hier erfährst du mehr

Rechtsextreme Terroranschläge haben Tradition in Deutschland.

■ Beim Oktoberfest-Attentat im Jahr 1980 starben 13 Menschen in München.

■ Der Nationalsozialistische Untergrund (NSU) um Beate Zschäpe verübte bis 2011 zehn Morde und drei Anschläge.

■ Als Rechtsterroristen verurteilt wurde zuletzt die sächsische „Gruppe Freital“, ebenso die „Oldschool Society“ und die Gruppe „Revolution Chemnitz“.

■ Gegen den Bundeswehrsoldaten Franco A. wird wegen Rechtsterrorverdachts ermittelt.

■ Ein Attentäter erschoss in München im Jahr 2016 auch aus rassistischen Gründen neun Menschen.

■ Der CDU-Politiker Walter Lübcke wurde 2019 getötet. Der Rechtsextremist Stephan Ernst gilt als dringend tatverdächtig.

■ In die Synagoge in Halle versuchte Stephan B. am 9. Oktober 2019 zu stürmen und ermordete zwei Menschen.

■ In Hanau erschoss ein Mann am 19. Februar 2020 in Shisha-Bars neun Menschen und dann seine Mutter und sich selbst. Er hinterließ rassistische Pamphlete.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.