Abschiebungen aus Berlin: Die Polizei kommt weiter nachts

Die rot-grün-rote Landesregierung in Berlin hält an der umstrittenen Praxis nächtlicher Abschiebungen fest. Das belegen neue Zahlen.

Ein Mann wird durch eine Gangway in ein Flugzeug geführt

Nächtliche Abschiebungen wie hier vom Flughafen Leipzig-Halle gibt es in Berlin immer noch Foto: Michael Kappeler/dpa

BERLIN taz | Groß waren die Hoffnungen, als in Berlin das rot-rot-grüne Zeitalter begann. Auch in flüchtlingspolitischer Hinsicht würde sich doch wohl einiges ändern, mit grünen „Multikulti-Freunden“ und linken „Weltverbesserern“ auf den Beifahrersitzen der Hauptstadtmacht, erwarteten nicht wenige, als der CDU-SPD-Senat anno 2016 abgewählt wurde.

Tatsächlich versprach das Mitte-links-Bündnis im ersten Koalitionsvertrag einen „Paradigmenwechsel“ in der Abschiebepolitik. Das klang gut, hatte aber mit der Wirklichkeit wenig zu tun, wie der Berliner Flüchtlingsrat wiederholt feststellte: Es wurde weiter fleißig abgeschoben, sogar in der Pandemie, als in anderen Bundesländern die Zahlen bei den Abschiebungen runtergingen. Zudem wurden humanitäre Bleiberechtsmöglichkeiten – entgegen den Versprechungen – kaum beachtet. Unter anderem wurden regelmäßig Menschen nachts aus ihren Unterkünften geholt, um sie abzuschieben – was nicht einmal das von CSU-Bundesinnenminister Horst Seehofer 2019 verschärfte Aufenthaltsgesetz zulässt, das nächtliches Abholen zur Abschiebung nur in Ausnahmen (§ 58, Absatz 7) gestattet.

Dass sich an der Berliner Abschiebepraxis bis heute nichts geändert hat, belegen neue Zahlen, die die Berliner Innenverwaltung in dieser Woche veröffentlichte. Danach wurden vom 1. Januar 2021 bis 31. Januar 2022 insgesamt 1.126 Menschen abgeschoben – und mehr als die Hälfte von ihnen, genau 645, zwischen 0.00 und 6.00 Uhr morgens dafür festgenommen. Obwohl im neuen rot-grün-roten Koalitionsvertrag von Dezember 2021 explizit steht: „Auf nächtliche Abschiebungen, insbesondere bei Familien mit Kindern, alten Menschen und Menschen mit Behinderung oder schwerer Erkrankung, soll verzichtet werden.“ Ein „Armutszeugnis“ seien diese Zahlen, kritisiert daher der Berliner Grünen-Abgeordnete Jian Omar, der die Anfrage gestellt hat, gegenüber der taz. „Nächtliche Abholungen zum Zweck der Abschiebung sind äußerst belastend, insbesondere für Familien mit Kindern.“ Genau deswegen habe man vereinbart, darauf zu verzichten.

Die Berliner Innenverwaltung rechtfertigt die Praxis damit, dass sie „aufgrund von verbindlichen Vorgaben der Zielstaaten zu Abflug- und Ankunftszeiten“ erfolge. Allerdings ist die „Organisation der Abschiebung“ laut Aufenthaltsgesetz ausdrücklich kein Grund für nächtliche Festnahmen – und diese somit rechtswidrig, wie der Flüchtlingsrat feststellt.

Tatsächlich wurde im Koalitionsvertrag ein „Paradigmenwechsel“ in der Abschiebepolitik versprochen

Der SPD-Innenverwaltung ist das offenbar ebenso egal wie der eigene Koalitionsvertrag. Dort heißt es auch: „Im Winter soll auf Abschiebungen verzichtet werden, wenn Witterungsverhältnisse dies humanitär gebieten.“ Dennoch wurden im Dezember und Januar 141 Menschen nach Moldau abgeschoben, als im „Armenhaus Europas“, wo Rom*­nja systematisch diskriminiert werden, Temperaturen um den Gefrierpunkt herrschten.

Der Flüchtlingsrat weist auf weitere Punkte hin, die nicht mit den Versprechen des Koalitionsvertrags in Einklang zu bringen sind: „Regelmäßig“ komme es bei Abschiebungen zu Familientrennungen sowie zu Abschiebungen von kranken Menschen und Menschen mit Behinderung.

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