Atommüll in Schweden: Gefährliches Endlager

Die schwedische Regierung stimmt einem Atommüll-Endlager zu. Viele Wis­sen­schaft­le­r aber warnen vor einer Korrosion der Kapseln nach 100 Jahren.

Übersicht eines AKWs

Modell des Atommüll-Endlagers in Forsmark, Schweden Foto: Lasse Modin/imago

STOCKHOLM taz | Die schwedische Regierung hat das Konzept der AKW-Betreiber zur Endlagerung der abgebrannten Brennelemente aus den schwedischen Reaktoren genehmigt. Die im Eigentum der Betreibergesellschaften Vattenfall, Fortum und Uniper stehende Atommüllgesellschaft „Svensk Kärnbränslehantering“ (SKB) dürfe ein entsprechendes Endlager in der Nähe des 140 km nördlich von Stockholm gelegenen AKW Forsmark errichten und betreiben, teilte Umwelt- und Klimaministerin Annika Strandhäll am Donnerstagnachmittag vor der Presse in Stockholm mit. Sie war „stolz“ darüber, dass Schweden damit eines der weltweit ersten Länder mit Atomkraftwerken sei, die bei der „Lösung“ des Atommüllproblems nun so weit gekommen seien.

Das Konzept sieht vor, dass rund 12.000 Tonnen hochradioaktiven Atommülls in 6.000 Kupferkapseln in einem System von 500 Tunneln, die 500 m tief in den Fels gesprengt werden, deponiert werden sollen. Jede dieser Kapseln hat eine Länge von 5 Metern und einen Durchmesser von einem Meter, wiegt 2 Tonnen und soll in ein Bett aus Betonit eingelagert werden. Diese Kapseln sollen laut SKB Erdbeben und künftige Eiszeiten unbeschädigt überstehen können. Der Zeitraum, für den dieser Atommüll in einem solchen Endlager – laut der gesetzlichen Vorgaben – „strahlensicher“ gelagert sein soll, umschreibt die Strahlenschutzbehörde mit „Hunderttausenden Jahren“.

Während die Regierung diese Voraussetzungen mit dem Konzept nun als erfüllt ansieht und Strandhäll betonte, dass man nach jahrzehntelangen Forschungsarbeiten nun ausreichend Informationen habe, um so einen Beschluss auch tatsächlich fassen zu können, warfen KritikerInnen dieses Atommüllkonzepts der sozialdemokratischen Regierung vor, sie treffe mit dieser Genehmigung eine unverantwortliche Entscheidung. Tatsächlich gibt noch viele ungelöste Fragen und große grundsätzliche Zweifel an dieser Endlagerungsmethode.

Innerhalb der Wissenschaft gibt es viel Unsicherheit. Das konstatierte auch die Umweltorganisation Greenpeace, die am Donnerstag eine Protestaktion vor dem Regierungssitz in Stockholm veranstaltete. Greenpeace sagt: Die Atomlobby wolle das ungelöste Atommüllproblem so schnell wie möglich „aus der Welt haben“, „um weiterhin lebensgefährlichen Müll produzieren zu können“. Die schwedische Regierung lasse sich nun dafür einspannen ohne Rücksicht auf die Folgen, „die ihre Entscheidung Tausende Jahre lang für Menschen und Natur haben werde“.

Wie dicht halten die Kapseln wirklich?

Unter Wis­sen­schaft­le­r:in­nen gibt es seit Jahren vor allem eine kontroverse Debatte über die Frage der Korrosionsbeständigkeit der Kupferkapseln. Die Reaktorbetreiber standen mit ihrem Atommüllkonzept unter Zeitdruck, weil ein 1977 in Kraft getretenes Gesetz den Betrieb der schwedischen Atomreaktoren von der Vorlage eines solchen Konzepts für die sichere Handhabung der abgebrannten Brennelemente abhängig gemacht hatte. Schon 1978 präsentierte SKB deshalb einen ersten und 1983 einen ausgearbeiteten Entwurf für die Lagerung in Kupferkapseln. Aus Kostengründen schrumpfte deren Wandstärke erst von 20 auf 10 cm, dann auf 6 und nunmehr auf nur noch 5 cm. Und obwohl man in den vergangenen 40 Jahren keine Versuche unter realistischen Bedingungen vorgenommen hat, behauptet SKB, das Kupfer werde unter den geplanten Lagerverhältnissen so gut wie nicht korrodieren. Man müsse allenfalls mit einer theoretischen Korrosion von 0,5 nm (Nanometer) pro Jahr rechnen.

Doch selbst bei einzelnen SKB-Laborversuchen waren Korrosionsgeschwindigkeiten zwischen 1000 und 10.000 nm pro Jahr gemessen worden. Es gab Ausreißer von bis zu 15 Millionen nm und von der Atomwirtschaft unabhängige Korrosionsforscher kamen auf noch wesentlich höhere Werte. Während SKB behauptet, die Kapseln würden eine Million Jahre halten, kamen ForscherInnen der Technischen Hochschule in Stockholm zum Ergebnis, diese könnten schon nach 100 Jahren kollabieren. Eine Korrosion von 10 Prozent würde die Stabilität der Kupferkapseln so schwächen, dass schon nach mehreren Hundert Jahren die Verstrahlung des Grundwassers und der restlichen Umwelt drohe.

Verantwortungslose Entscheidung

Die Genehmigung ihres Endlagerkonzepts hatte SKB bereits 2011 beantragt. 2018 gab das zuständige Umweltgericht den Kri­ti­ke­r:in­nen recht: Es gebe „bedeutende Unsicherheiten“, inwieweit die vorgesehene Technik den Strahlenmüll auf längere Sicht sicher einschließen könne. Die gesetzliche Forderung nach einer „sicheren Endlagermethode“ sei damit nicht erfüllt.

Die endgültige Entscheidung landete damit auf dem Tisch der Regierung. Die Grünen blockierten bis zu ihrem Ausscheiden aus der rot-grünen Koalition im November 2021 eine Genehmigung. Ohne diesen „Bremsklotz“ hatte es die sozialdemokratische Regierung nun plötzlich sehr eilig. Man will das Thema vor den Parlamentswahlen im September vom Tisch zu haben. Per Bolund, ehemaliger grüner Umweltminister warf der Regierung deshalb „verantwortungsloses Handeln“ vor. Angesichts der jetzigen Faktenlage hätte sie „Nein“ sagen müssen: „Es reicht nicht, wenn wir eine Sicherheit nur für 50 oder 100 Jahre haben.“ Von einer „Schande“ spricht auch die linke Tageszeitung „ETC“: Bei einem Beschluss, bei dem es um die Sicherheit von Menschen in Tausenden von Jahren gehe, reiche die Perspektive der Regierung nur bis zum nächsten Wahltermin.

Nach der grundsätzlichen Genehmigung seitens der Regierung wird mit einem Beginn der Arbeiten am unterirdischen Lager Mitte des Jahrzehnts gerechnet. In den 2030er Jahren will SKB mit der Einlagerung der ersten abgebrannten Brennelemente beginnen. Und sollte es bis dahin neue Forschungsergebnisse oder eine andere und bessere Methode geben, wurde Ministerin Strandhäll in der Pressekonferenz gefragt. Dann könne die Regierung darauf natürlich immer noch reagieren, versprach die Ministerin.

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