Söders Absage an die Pflege-Impfpflicht: Winkelzüge statt Konfrontation

Bayerns Landesregierung unter Markus Söder muss Bundesgesetze umsetzen, auch die Impfpflicht für die Pflege. Aber sie könnte tricksen.

Coronaleugner halten bei einer Demonstration am Abend Plakate hoch und drohen mit Arbeitslosigkeit ab 15. März

Dem Volk aufs Maul geschaut? Söder will die Pflege-Impfpflicht aussetzen Foto: Daniel Biskup

FREIBURG taz | Es gibt einen wichtigen Unterschied zwischen Markus Söder, Friedrich Merz und Tobias Hans. Zwar fordern sie alle eine Aussetzung der Impfpflicht für Pflege- und Gesundheitsbeschäftigte. Doch während CDU-Chef Merz und der saarländische Ministerpräsident Hans dabei an den Bund appellieren, will Bayerns Landeschef Markus Söder zur Selbsthilfe greifen. In Bayern soll der Vollzug der „einrichtungsbezogenen Impfpflicht“ de facto ausgesetzt werden, kündigte er am Montag an.

Seitdem ist die Aufregung groß. Denn natürlich muss auch Bayern die Bundesgesetze umsetzen. Und die Pflege-Impfpflicht ist in einem Bundesgesetz geregelt, im Infektionsschutzgesetz. Im Dezember 2021 wurde sie beschlossen.

Laut Gesetz müssen Mit­ar­bei­te­r:in­nen in der Pflege und im Gesundheitswesen bis zum 15. März nachweisen, dass sie vollständig geimpft oder genesen sind. Danach müssen die Einrichtungen alle Mit­ar­bei­te­r:in­nen, die diesen Nachweis nicht erbracht haben, dem Gesundheitsamt melden. Die Nachweis- und Meldepflichten kann die Bayerische Staatsregierung nicht einseitig aussetzen, denn sie sind bundesgesetzlich vorgegeben. Bayern würde hier seine verfassungsrechtlichen Pflichten verletzen.

Falls Bayern so weit ginge, hätte die Bundesregierung drei Hebel in der Hand. So könnte sie erstens vom Mittel der Bundesaufsicht in Artikel 84 des Grundgesetzes Gebrauch machen. Sie könnte „Beauftragte“ nach Bayern entsenden und eine Mängelrüge beschließen. Beides ist eher symbolisch. Zweitens könnte die Bundesregierung Bayern vor dem Bundesverfassungsgericht verklagen. Dies wäre dann ein eher seltener Bund-Länder-Streit, bei dem Karlsruhe über die Pflichten des Landes Bayern bei der Umsetzung eines Bundesgesetzes entscheiden müsste. Ein Karlsruher Richterspruch wäre für Bayern verbindlich.

Bayern spielt auf Zeit

Als dritte, noch schärfere Möglichkeit könnte die Bundesregierung auch den sogenannten Bundeszwang anwenden. Sie könnte dabei mit Zustimmung des Bundesrats dem Land Weisungen erteilen oder einen Staatskommissar einsetzen. In der Geschichte der Bundesrepublik hat es aber noch keinen einzigen Anwendungsfall des Bundeszwangs gegeben.

Vermutlich wird Söder bei der Pflege-Impfpflicht jedoch nicht auf volle Konfrontation setzen, sondern eher zu Tricks greifen. So müssen die Gesundheitsämter laut Gesetz den ungeimpften Pflegern und Ärzten eine „angemessene“ Frist setzen, um die Impfung nachzuholen. Denkbar ist, dass die Frist in Bayern dann eben sehr großzügig festgesetzt wird. Wenn bayerische Ämter hier noch einige Monate Aufschub gewähren, wird das Bundesgesetz zwar irgendwie beachtet, der Vollzug wäre aber dennoch faktisch ausgesetzt. Und die ungeimpften Pfle­ge­r:in­nen und Ärz­t:in­nen blieben bis auf Weiteres im Dienst.

Dass Bayern auf solche Winkelzüge setzt, machte der bayerische Gesundheitsminister Klaus Holetschek (CSU) am Dienstag deutlich. Er sagte, Bayern werde bei der Umsetzung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht „mit großem Augenmaß vorgehen“. Durch „angemessene Umsetzungszeiten“ solle den ungeimpften Personen „nochmals die Gelegenheit gegeben werden, sich intensiv fachlich beraten zu lassen – auch was den neuen proteinbasierten Impfstoff Novavax anbelangt“.

Bayern spielt also auf Zeit. Denn die bayerische Regierung geht davon aus, dass die einrichtungsbezogene Impfpflicht ohnehin bald abgeschafft oder abgeschwächt wird, wie Staatskanzleichef Florian Herrmann (CSU) am Dienstag sagte. Und zum Ende des Jahres läuft die Pflege-Impfpflicht sogar ganz aus. Das hatte die FDP durchgesetzt.

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