Biolandwirtschaft in Brandenburg: Woher Milch und Honig fließen
Die Regionalwert AG unterstützt Bauern mit Zuschüssen. Viele Landwirte konnten dadurch ihre Höfe modernisieren und behalten.
Der Raum ist frisch gekachelt, überall stehen hochglänzende Maschinen, Gerätschaften und Fässer herum. Aus großen Bienenwachsblöcken entströmt ein warmer Duft. Vor knapp einem Jahr hat der Imker Jasper Heilmann seinen Demeter-Betrieb nach Eggersdorf im Süden von Müncheberg, das wiederum im östlichen Brandenburg liegt, verlegt.
An dieser Stelle stand vorher ein Asbestflachbau, den die Hofgemeinschaft Apfeltraum für ihre Mülltonnen nutzte. Jetzt beherbergt das Backsteingebäude im Erdgeschoss zwei Betriebe, und obendrüber wohnt Heilmanns vierköpfige Familie. Rund 450.000 Euro hat der Umbau gekostet – bezahlt von der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg. Das Unternehmen sammelt Geld ein von Menschen, die die Agrar- und Ernährungswende vorantreiben wollen.
Sieben Regionalwert AGs arbeiten inzwischen deutschlandweit, in der Region Bremen-Weser-Ems wurde gerade eine weitere gegründet.
Ideengeber und Initiator ist der Demeter-Bauer Christian Hiß aus dem badischen Eichstätten. Er sah vor 20 Jahren seine Existenzgrundlage gefährdet, weil große Biobetriebe auf den Markt drängten. Sie setzten auf Masse und konnten billiger produzieren als er, der Dutzende Sorten Gemüse anbaute, selbst Saatgut machte und eine Kuhherde hielt, um natürlichen Dünger zu haben.Nach einem Fernstudium entwickelte Hiß die Idee einer Bürger-Aktiengesellschaft: Menschen aus der Umgebung geben Geld, das in Höfe, kleine Verarbeitungsbetriebe, Caterer und Läden investiert wird. Als Glieder einer Lieferkette stabilisieren sie sich gegenseitig und ermöglichen eine Landwirtschaft, die vielfältig, kleinteilig und regional angepasst arbeitet.
Die Regionalwert Impuls GmbH unterstützt heute als Dachorganisation neue Initiativen. (aje)
Jasper Heilmann hat Ökolandbau in Eberswalde studiert, 2016 fing er mit dem Imkern an. Seine Bienen produzieren neun verschiedene Honigsorten – von Fenchel über Buchweizen bis Kornblume. „Die Völker gezielt abzustellen ist mein Handwerk“, sagt der 34-Jährige. Im Sommer bedeutet das viel Nachtarbeit: Erst wenn die Bienen wieder im Stock sind, kann Heilmann die Kisten umsetzen. Akazien blühen nicht einmal zwei Wochen lang, die Bienenstöcke müssen rechtzeitig vor Ort sein.
Die Tiere in die Bäume mit den duftenden Rispen zu lenken ist kein Problem: Dieses Nektarangebot ist für sie unwiderstehlich. Schwieriger ist es bei anderen Blüten, vor allem wenn im Umkreis von drei bis vier Kilometern ein Rapsfeld liegt. Ist Heilmann unsicher, was seine Bienen eingesammelt haben, lässt er den Honig untersuchen. 150 bis 200 Völker muss er zwischen April und Oktober ständig im Blick haben.
Alle ein bis zwei Wochen erntet er die Waben, entfernt die Wachsdeckel und schleudert den Honig heraus. Als Demeter-Imker darf er ihn später nicht erhitzen, sondern muss ihn rasch in Gläser abfüllen. Die Sommermonate bedeuten für den jungen Familienvater eine Sechstagewoche, oft ist nicht einmal der Sonntag frei.
Kredit wäre zu riskant
Im vergangenen Jahr haben die fleißigen Bienen und der fleißige Imker zwischen fünf und sechs Tonnen Honig zusammengetragen. Heilmann liebt, was er tut. Er ist froh, endlich einen professionell ausgestatteten Betrieb zu haben und die Räume von der Regionalwert AG mieten zu können. Dafür einen Kredit aufzunehmen, hätte er sich nicht getraut: „Die Imkerei ist zu unsicher, um das individuell zu stemmen.“
In Ostbrandenburg wird es außerdem immer trockener, die ganze Branche klagt über Ertragsrückgänge. „Wenn die Pflanzen Stress haben, honigt es nicht mehr“, erklärt Heilmann. Nun aber trägt er dazu bei, die Hofgemeinschaft Apfeltraum voranzubringen – genau wie sein Nachbar Florian Reverey. Der 40-Jährige hat früher als Wissenschaftler über die Folgen der Erderhitzung für Flüsse und Seen geforscht, jetzt betreibt er in der gemieteten Küche eine Nudelmanufaktur und stellt Raviolikreationen her. „Ein kleiner Betrieb, der nicht wachsen muss und möglichst regionale und saisonale Zutaten verwendet“, fasst er sein Credo zusammen.
Die Umsetzung ist jedoch gar nicht so einfach: Heute gibt es in ganz Deutschland nur noch wenige Mühlen. Demnächst soll im Neubau bei Apfeltraum auch noch ein Hofladen entstehen, wo es neben Honig und Gemüse auch Fleisch, Brot und Milch von einem anderen Betrieb aus der Nähe zu kaufen gibt. Übernehmen wird ihn Heilmanns Lebenspartnerin. Die Ursprungsidee, hier eine Bäckerei einzurichten, hat sich zerschlagen: Trotz intensiver Suche fand sich niemand, der sie betreiben wollte.
Vieles entwickelt sich bei der Regionalwert AG Berlin-Brandenburg organisch. In intensiven Gesprächen erarbeiten die Beteiligten gemeinsam gewünschte und tragfähige Konzepte. „Wir investieren nicht in Unternehmen, sondern in Menschen“, sagt Jochen Fritz, einer der beiden Vorstände.
Ziel ist, ein wachsendes Netzwerk von produzierenden, verarbeitenden und verkaufenden Lebensmittelbetrieben zu schaffen, in dem die Partner sich gegenseitig beliefern und auch anderweitig unterstützen. Seit der Gründung 2018 haben schon 791 Menschen Aktien gezeichnet. Investiert wurde das Geld in elf Unternehmen – zum Teil als Beteiligung, zum Teil in anderer Form. Darüber hinaus haben sich drei Lizenzpartner angeschlossen.
Die AG ist so konstruiert, dass niemand dominant werden und die Ausrichtung bestimmen kann. Die Rendite besteht vor allem in gesamtgesellschaftlichen Gewinnen einer guten Landwirtschaft und Lebensmittelversorgung. Gegenwärtig sammelt die Regionalwert AG Berlin-Brandenburg wieder Geld ein. Bis Mitte Februar können Neulinge einsteigen: Ab 575 Euro sind sie dabei.
Bauer Johann Gerdes
Wenige Kilometer südlich vom Apfeltraum ackert Bauer Johann Gerdes. Im vorletzten Jahr hat er den Beerfelder Hof übernommen. Ein paar zusammenbrechende Stallanlagen zeugen davon, dass hier zu DDR-Zeiten eine LPG für Milchvieh stand. Doch seit mehr als zwei Jahrzehnten wird hier schon biologisch gearbeitet. Das Gelände ist riesig: 100 Hektar Grünland und fast 650 Hektar Ackerflächen bewirtschaften der 38-Jährige und seine sechs Angestellten sowie einige Aushilfskräfte. Sie bauen fast zwei Dutzend verschiedene Arten Getreide, Hülsenfrüchte, Ölsaaten und Kartoffeln an. Auch eine Mutterkuhherde samt Nachwuchs gehört zum Hoforganismus.
Die Zuschuss war bitter nötig
Ohne finanzielle Unterstützung hätte Gerdes hier nicht einsteigen können. „Landwirtschaftliche Arbeitsplätze gehören ja zu den teuersten überhaupt“, benennt er ein zentrales Problem seiner Branche. Bei der Übernahme hat sich die Regionalwert AG mit 100.000 Euro beteiligt und außerdem ein Darlehen gegeben, damit Gerdes eine Lagerhalle für seine Kartoffeln bauen konnte. Die wurden früher per Lkw nach Sachsen-Anhalt geschafft – um dann ein paar Monate später wieder zurück nach Berlin zu reisen. „Nicht sehr ökologisch“, kommentiert er trocken.
Jetzt gibt es eine renovierte Halle mit mehreren Räumen, in denen ein Computer Temperatur und Luftzirkulation regelt. Die Ernte lagert in gestapelten Holzkisten bei vier Grad, einmal täglich muss hier Sauerstoff rein. Nebenan werden die Knollen etwas angewärmt, damit ihre Schalen fürs Verpacken nicht spröde sind und nicht so leicht aufplatzen.
Ein knallgrüner Scheinwerfer erhellt den Raum und verhindert zugleich, dass die Kartoffeln grüne Stellen bekommen. In der Haupthalle sortieren zwei Männer auf einem Podest mit Fließband schlechte und zu kleine Kartoffeln aus, ein dritter steht am Trichter und verpackt die guten Belinda-, Linda- und Talent-Knollen in handliche Säcke. Den Ausschuss bekommen später die Kühe.
Ortswechsel: Ein paar Kilometer Luftlinie entfernt riecht es intensiv nach Ingwer und Kreuzkümmel: In der Küche des verganen Biosuppenherstellers Wünsch Dir Mahl (WDM) füllen Mitarbeiterinnen Süßkartoffeleintopf ab. Die Metalldeckel scheppern in der Maschine, es ist laut, warm und eng. Doch seit sich die Regionalwert AG mit 170.000 Euro am Unternehmen beteiligt hat, verfügt WDM über moderne Technik. „Wir haben jetzt praktisch keinen Ausschuss mehr“, sagt Betriebsleiter Jan Heinemann.
In zwei Schichten werden hier jeden Tag sechs verschiedene Rezepte gekocht, mehr als 8.000 Portionen. 15 Menschen arbeiten bei WDM – nicht wenig für einen Ort wie Müncheberg. Vor allem Demeter-Tiefkühlware kommt in die großen Suppenwannen, für die Verarbeitung von frischen Produkten reicht der Platz nicht. Probeweise wurden aber auch schon Möhren und Kartoffeln vom Beerfelder Hof verarbeitet.
Mit dem ebenfalls zum Regionalwert-Kosmos zählenden Hafermilchhersteller Havelmi war WDM ebenfalls mal im Gespräch. Nicht unwahrscheinlich, dass der Suppenhersteller weiterwächst und bald neue Räume braucht – und damit könnten sich auch neue Kooperationsmöglichkeiten ergeben.
Noch weiter hinten in der Lieferkette hat Jakob Noack sein Business. Er betreibt zwei Regionalläden nördlich von Müncheberg. Das Gemüse bezieht er überwiegend von Bauern aus der Umgebung, ein Großteil der Eier stammt von seinen eigenen Hühnern. Auch die Ravioli aus Eggersdorf und die Suppen aus Müncheberg sind in Waldsieversdorf im Angebot, ebenso wie Barnimer Bier, Eberswalder Konserven und in Görlsdorf gerösteter Kaffee.
Als Verkaufsraum für sein zweites Geschäft nutzt er ein Klassenzimmer der ehemaligen Schule Reichenberg, die das DRK zum Lebenszentrum mit Kita, Arztpraxen und einer Alterstagespflege umgebaut hat. „Die Leute dort haben sich sehr einen Dorfladen gewünscht“, berichtet Noack. Mit 25.000 Euro beteiligte sich die Regionalwert AG am Kauf von Kühlschränken, Regalen und der übrigen Einrichtung. Inzwischen hat sich der Laden zum Treffpunkt und Herz des kleinen Ortes entwickelt, denn auch ein Kaffeeausschank und eine Terrasse gehören zum Konzept. Am Ladeneingang hängt ein Schild der Regionalwert AG. „Manche Leute fragen, was das ist“, so Noack. Das Netzwerk wächst langsam – aber stetig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Israel demoliert beduinisches Dorf
Das Ende von Umm al-Hiran
Lang geplantes Ende der Ampelkoalition
Seine feuchten Augen
Altersgrenze für Führerschein
Testosteron und PS
Etgar Keret über Boykotte und Literatur
„Wir erleben gerade Dummheit, durch die Bank“
Telefonat mit Putin
Falsche Nummer
Rentner beleidigt Habeck
Beleidigung hat Grenzen