125 Jahre Bildgießerei Noack in Berlin: Von Bullen, Bären und Fohlen

Die Geschichte der Skulptur ist eng mit der Bildgießerei Noack verbunden. Seit 125 Jahren gießt das Unternehmen Kunst in Bronze in Berlin.

Blick in die Jubiläumsschau: Vorne eine Skulptur von Anna Bogouchevskaia; hinten Elmgreen & Dragset Foto: Copyright: Bildarchiv Hermann NOACK; Courtesy: Werkstattgalerie Hermann NOACK, Foto: Roman März

Den Bronzeguss gibt es in Europa seit über viertausend Jahren. Ein ganzes Zeitalter wurde nach dem Material benannt, das seine Waffen und Werkzeuge, aber auch seine Kunst aus dieser Legierung aus Kupfer und Zinn herstellte. Und heute wird die Bronze noch immer benutzt.

Dass die altehrwürdige Tradition des Bronzegusses nicht abreißt, dafür sorgen immer wieder neue Künstler, die sich in dem Material ausdrücken wollen. Doch alle diese Künstler wären wohl aufgeschmissen, gäbe es nicht Fachleute mit Wissen, Können und Einfühlungsvermögen, die plastische Ideen in ein handfestes Gebilde umsetzen könnten.

Noack, Am Spreebord 9, 10589 Berlin-Charlottenburg, Jubiläumsausstellung bis 3. Februar 2023, Mo. bis Fr. 12–17 Uhr. Eintritt frei. Katalog im Distanz Verlag

In Berlin macht das nun seit 125 Jahren die Bildgießerei Hermann Noack mit großem Renommee. Noack zählt sich selbst zu den fünf führenden Betrieben auf der Welt. Mit einiger Berechtigung, wenn man weiß, welche Künstler hier haben gießen lassen und wer immer noch auf Noack vertraut: Von A wie Arp bis Z wie Zipp, von Traditionalisten wie Klimsch oder Kolbe über Abstrakte wie Mack oder Heiliger bis zu Avantgardisten wie Beuys oder den gegenwärtigen Größen wie Meese, Kwade, Bonvicini, Cragg und vielen anderen. Man könnte auch fragen, wer von den wichtigen und großen Künstlern der letzten 125 Jahre nicht bei Noack war.

Die Firma Noack hat seit ihrer Gründung 1897 in einem schlecht belüfteten Keller in Berlin-Wilmersdorf an der Kunstgeschichte mitgeschrieben. Das kann man jetzt in einer zum Jubiläum eingerichteten Retrospektive mit 50 Bronzewerken am jetzigen Firmensitz neben dem alten Kraftwerk Charlottenburg nachverfolgen.

Vier Generationen

Zur Eröffnung am 11. November waren 800 Gäste geladen, darunter viele Künstler sowie Freunde und Bewunderer. Man konnte an diesem Abend sehen, wie Noacks Metier und Renommee die unterschiedlichsten Generationen und wohl auch Weltanschauungen zusammenbringt.

Genau das ist wohl auch Teil der von Christoph Stölzl, Laudator des Abends, beschriebenen „Noack-Formel“ für den andauernden Erfolg der Firma (Jahresumsatz 2021 3,2 Millionen Euro). Das eigentliche Erfolgsrezept: Freundschaften mit den Künstlern und ein „symbiotisches Zusammenwirken von handwerklicher Meisterschaft und künstlerischem Genie“, so Stölzl.

Der derzeitige Chef des in vierter Generation unter gleichem Vornamen geleiteten Familienunternehmens, Hermann Noack IV., begründet den Erfolg prosaischer: „Wir können den Stücken Individualität und Persönlichkeit verleihen. Das ist unsere Handschrift. Daran scheitern die allermeisten.“

Das meint Noacks Spezialität, die Patinierung oder Veredelung der Oberflächen. Denn mit dem Gießen allein ist es nicht getan. Von der Idee zur fertigen Bronze braucht es fünf Schritte, die alle ihre Tücken haben, ob bei der Herstellung der Modelle und Gussformen, beim Guss selbst, bei der Montage und Ziselierung (womit etwa Nähte und Fehlstellen beseitigt werden) und schließlich der Patinierung.

Wand der Muster und Materialproben

An einer der Wände des 5.000 Quadratmeter großen Werkstadtkomplexes bei Noack hängen dazu rund hundert Materialproben, die zeigen, wie verschieden die Oberfläche der Bronze aussehen kann, wenn sie mit Säure und Hitze behandelt wird. Vom blitzenden Goldton bis Tiefschwarz reicht die Skala, aber auch Grün‑ und Rottöne sind möglich.

In der Jubiläumsausstellung kann man die Wirkung der Patinierung anhand zweier kauernder Frauenfiguren in eher kleinem Format vergleichen. Die weiblichen Gestalten – von Georg Kolbe und Richard Scheibe – changieren von rotschimmernd bei Kolbe bis eher gelblich und im Ausdruck zurückhaltender bei Scheibe.

Isabella Mannozzi, Kuratorin und Leiterin der Werkstattgalerie auf dem insgesamt 10.000 Quadratmeter großen Gelände der Firma, hat die Retrospektive zum Jubiläum eingerichtet. Die Möglichkeit zu solch großzügigen Kunstpräsentationen ergab sich erst durch den Umzug 2010 aus den beengten Räumlichkeiten in Friedenau nach Charlottenburg.

Beim Abtransport der teils monumentalen Plastiken mussten in Friedenau noch ganze Straßenzüge abgesperrt werden. Ein Mammutauftrag, eine Herde von 14 bronzenen Bullen mit dem Gewicht von 80 Tonnen des heute 95-jährigen österreichischen Bildhauers Jos Pirkner, angefertigt in den Jahren 2009 bis 2014 für das Red-Bull-Headquarter in Fuschl am See (Österreich) erzwang gleichsam technisch, nach neuen räumlichen Möglichkeiten zu suchen. Und der Riesenauftrag ermöglichte erst finanziell das Wagnis eines Umzugs.

Heute lautet das Konzept bei Noack: Werkstatt, Galerie, Restaurant und Künstlerateliers unter einem Dach

Heute lautet das Konzept für den Standort Am Spreebord: Werkstatt, Galerie, Restaurant und Künstlerateliers unter einem Dach. Es geht nicht mehr allein um Produktion, sondern ebenso um Vermarktung, Kunstgenuss und Kundenbindung. Das Gießerhandwerk – sowohl Wachsausschmelzverfahren als auch Sandguss – ist heute nur Teil eines Ganzen. Dazu gehören inzwischen auch kostenlose Führungen durch die Werkstätten für Schulklassen und Studierende. Erst beim Blick in die Werkstatt wird wirklich klar, womit es die 40 Mitarbeiter hier zu tun haben.

Neben der Produktion kommen als Geschäftsbereiche noch Beratung, Restaurierung und Skulpturenpflege hinzu. Im weitesten Sinne könnte man unter Letzterem auch den Ersatz von gestohlenen Plastiken zählen. Denn die Fälle, in denen bronzene Kunstwerke im öffentlichen Raum allein wegen ihres Materialwertes geklaut werden, häufen sich – auch in Berlin. Im letzten Jahr traf es ein „Fohlen“ von Renée Sintenis, das Wahrzeichen der Renée-Sintenis-Schule in Frohnau.

Sintenis (1888–1965) war eine Stammkundin bei Noack und beschäftigt die Firma Noack immer noch. Nicht nur deshalb, weil das Bronze-Fohlen nachgegossen werden konnte. Denn Sintenis’ Berliner Bär, die Trophäe des Filmfestivals Berlinale, wird bei Noack gegossen. Der Materialwert der Plastik ist natürlich im Vergleich zum ideellen Wert oder den Preisen am Kunstmarkt verschwindend gering. Etwa 10 Euro kostet ein Kilo Bronze, das Doppelte muss man allein als Energiekosten für die Schmelze des Metalls und die Trocknung der Gussformen rechnen. Noack bemüht sich auch hier, mit der Zeit zu gehen. Bei den Gussöfen wurde bereits von Gas auf Elektrizität umgestellt. Die Bronze braucht immerhin etwa 1.200 Grad beim Guss.

Von Renée Sintenis gibt es in der Jubiläumsschau übrigens nicht das Fohlen, wohl aber einen Esel zu sehen. Sintenis war als Frau lange Zeit eine absolute Ausnahme unter den Noack-Kunden. Inzwischen ist der Anteil von Künstlerinnen auf rund die Hälfte gewachsen. Und wie Isabella Mannozzi prophezeit: Die Zukunft bei Noack wird weiblich sein. Die fünfte Generation, die Ururenkel des Gründers, stehen schon bereit: zwei Mädchen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.