: Sie kennen aber doch ihre Pappenheimer
Im neuen virtuellen Haus des Jugendrechts in Bremerhaven wollen Polizei, Staatsanwaltschaft und Jugendgerichtshilfe besser zusammenarbeiten. Das Konzept ist weit verbreitet und wenig erforscht – die Datenlage ist dünn, auch in Städten, in denen die Institution ein echtes Haus hat
Von Lisa Bullerdiek
Die Strafe soll auf dem Fuße folgen: ein guter Vorschlag für Jugendrecht-Bingo. Gerade kann man den Satz auch in Bremerhaven viel hören.
Denn dort wurde am 12. Januar ein sogenanntes virtuelles Haus des Jugendrechts eröffnet. Eine Mitarbeiterin aus dem Justizressort Bremen soll in Zukunft zwischen Polizei, Staatsanwaltschaft, Jugendgerichtshilfe und dem Jugendamt vermitteln. Vielleicht sind später auch Schulen oder Jobcenter mit dabei. So kann sich zum Beispiel die Polizei an die Stelle wenden, wenn sie eine bestimmte Person mehrfach bei Straftaten erwischt hat. Dann kann das Jugendamt möglicherweise weiterhelfen, mit der Person sprechen und Schlimmeres in Zukunft verhindern. Polizei, Jugendgerichtshilfe und Staatsanwaltschaft ziehen aber nicht unter ein Dach wie zum Beispiel in Stuttgart. Das virtuelle Haus ist ein Büro.
„Community Courts“ aus den USA sind das Vorbild für Häuser des Jugendrechts in Deutschland. 1993 zum ersten Mal in New York am Times Square eröffnet, sollte es die Jugendkriminalität bekämpfen, vor allem Diebstähle und Drogendelikte. Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht arbeiteten in einem Gebäude mit Sozialarbeiter*innen zusammen. In Deutschland öffnete das erste „Haus des Jugendrechts“ 1999 in Stuttgart-Bad Cannstatt. Mittlerweile gibt es sie in zehn Bundesländern: über 40 reale Häuser und neun virtuelle. Diese Informationen haben die Kriminologen Leon Lohrmann und Marcus Schaerff von der Universität Münster in ihrem Artikel „Häuser des Jugendrechts – ein bundesweiter Überblick“ zusammengetragen.
Grund für das Haus oder eher Büro in Bremerhaven ist der Koalitionsvertrag von SPD, CDU und FDP in Bremerhaven, Seite 23: „Wir werden die Einrichtung eines ‚Haus des Jugendrechts‘ prüfen, in dem straffälligen Jugendlichen zeitnah die Konsequenzen ihres Handelns aufgezeigt werden“, steht dort. Zum Zeitpunkt der Unterzeichnung des Koalitionsvertrages hätte es auch eine Art Jugendbande in Leherheide gegeben, sagt Matthias Koch gegenüber der taz. Er ist der Pressesprecher der Bremer Justizsenatorin Claudia Schilling (SPD). Die seien jetzt aber weg, die Zahlen seit Jahren rückläufig. In etwa 1.700 bis 1.900 Fällen habe die Bremerhavener Polizei im letzten Jahr gegen Jugendliche ermittelt. Das sei auch im Vergleich zu gleich großen Städten nicht viel.
„Häuser des Jugendrechts sind oft politische Leuchtturmprojekte“, sagt Kriminologe Lohrmann gegenüber der taz. Häufig werde die Errichtung des Hauses nicht vom tatsächlichen Ausmaß der Jugendkriminalität abhängig gemacht. Ein Beispiel dafür, sagt er, sei Dresden. Dort sei die Stadt gegen den Aufbau eines Hauses gewesen, ebenso der Jugendhilfeausschuss. Es wurde trotzdem eröffnet. Ministerpräsident Michael Kretschmer (CDU) wollte es so.
In Bremerhaven sei das anders, sagt Bruno Benthe, dortiger Abteilungsleiter des Jugendamts. Vor Unterzeichnung des Kooperationsvertrags habe er auch in seinem Haus nachgefragt, ob seine Kolleg*innen noch enger mit den anderen Stellen kooperieren möchten. „Uns als Jugendgerichtshilfe ist es wichtig, dass wir Abrutschen in die Kriminalität verhindern.“
Das bestätigt Knut Zimmer von der Polizei Bremerhaven: „Wir haben schon seit ungefähr 20 Jahren Sachbearbeiter mit ähnlichen Aufgaben. Die hatten seit jeher einen guten Draht zum Jugendamt, zur Jugendhilfe und zur Justiz. So ist es aber noch koordinierter und standardisierter.“ Auch die Polizei wolle natürlich Straftaten verhindern.
Aber hilft das wirklich? Marcus Schaerff, Kriminologe in Münster, kann das nicht bestätigen. „Die Datenlage ist sehr dünn. In den einzelnen Häusern werden teilweise nur wenige Daten gesammelt, die in manchen Fällen auch nur schwer für die Wissenschaft zugänglich sind.“ Deshalb könne man für die Jugendlichen gar nichts nachweisen, auch nicht, dass Häuser des Jugendrechts Straftaten verhindern. „Man könnte annehmen, dass die gemeinsame Unterbringung etwas zur Verfahrensbeschleunigung beitragen kann“, sagt Schaerff, „und auch möglicherweise die Kommunikation unter den Beteiligten verbessern könnte. Für die Mitarbeiter ändert sich dadurch vielleicht schon etwas.“ Bisher hat sich kaum ein Haus des Jugendrechts, ob virtuell oder nicht, einer wissenschaftlichen Analyse gestellt. Dabei gibt es sie in Deutschland seit über 20 Jahren.Auch in Bremen sei das nicht vorgesehen, sagt Bruno Benthe vom Jugendamt. Nach zwei Jahren evaluiere die Koordinationsstelle das Projekt.
Der Nutzen von Häusern des Jugendrechts ist also fraglich. „Man schafft eine Institution, in der die Leute die gleiche Arbeit machen wie vorher“, sagt Kriminologe Lohrmann, „allerdings mit möglicherweise zusätzlichen Risiken wie der Stigmatisierung von Jugendlichen und einer Belastung des Vertrauensverhältnisses zwischen Jugendhelfer und Jugendlichen.“ Besonders kritisch sei es, verschiedene Institutionen mit ganz unterschiedlichen Zielen zu vermischen. In realen Häusern des Jugendrechts könne das zu Problemen führen, weil Daten neben dem Kopierer oder beim Kaffee weitergetragen werden. Oder die Polizei könne Druck machen, etwas über eine jugendliche Person weiterzugeben. In wissenschaftlichen Untersuchungen, sagt Lohrmann, sehe man in solchen Fällen, dass die Strafverfolgungsbehörden oft sehr dominant sind.
Das zeige sich auch an Darstellungen in den Medien. „Da steht dann zum Beispiel: Das Haus des Jugendrechts nimmt die Ermittlungen auf“, sagt Lohrmann, „und das ist ein fragwürdiges Signal, da ein Haus des Jugendrechts keine Strafverfolgungsbehörde ist.“ Die Jugendlichen müssen den Sozialarbeiter*innen vertrauen können. Das sei die Grundlage ihrer Arbeit.
Einen gemeinsamen Kopierer oder zusammengelegte Weihnachtsfeiern gibt es im virtuellen Haus des Jugendrechts nicht. „Ein virtuelles Haus ist eine gute Lösung“, sagt Bruno Benthe. Aus anderen Städten habe er viel von guter Zusammenarbeit gehört, aber auch von den Risiken. „Wenn jemand erst mal durch die Polizeistation laufen muss, um zu uns zu kommen, ist das natürlich nicht so gut.“
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