Insolvenz norddeutscher Werften: Sinkende Schiffe

Aus Anlass der jüngsten Werftkonkurse eine historische Reflexion über Nietenklopper, koreanische Werftkämpfe und das Dilemma einer U-Boot-Ingenieurin.

Blick über Blankenese in Hamburg

Die Elbchaussee und ihre Prachtvillen – für Werftarbeiter unerreichbar Foto: Samuel Zuder/laif

„Da wohnen frühere Nietenklopper von Blohm & Voss. Die haben ihren Lohn nicht in Alkohol investiert, sondern in Immobilien.“ Diesen ironischen Spruch brachte mein Großvater in den 1960er Jahren immer dann, wenn wir an Hamburgs Elbchaussee an den Villen derjenigen vorbeifuhren, die der norddeutsche Volksmund Pfeffersäcke nennt: Reeder und andere Angehörige der hanseatischen Oberschicht, deren Reichtum für die Werftarbeiter am anderen Ufer immer unerreichbar blieb, soviel Nieten sie auch klopften.

Mit Nieten aus glühendem Stahl wurden damals im Schiffbau die Stahlplatten der Rümpfe verbunden. Auf beiden Seiten hämmerten Arbeiter die Nieten platt, die beim Erkalten den Stahl wasserdicht aneinanderpressen. Ein Höllenjob.

Laut meinem Opa, einem linken Taxifahrer, soll ihn einmal eine Frau beim Passieren einer dieser Villen gefragt haben, wer denn in dem schönen Haus wohne. Für Großvater, der stets seine Fahrgäste gleichermaßen irritierte wie agitierte, konnte dort nur ein fleißiger Nietenklopper wohnen. Denn schließlich ist ja jeder seines Glückes Schmied, wie Kapitalisten nicht müde werden zu betonen. Nach dieser schrägen Logik sind die Arbeiter der Werften in Mecklenburg-Vorpommern und Bremen, die jetzt zum Jahresbeginn Konkurs anmeldeten, einfach nicht fleißig genug gewesen. Die Coronapandemie gibt es ja schließlich auch in China und Korea.

Vor dem Zweiten Weltkrieg war Großvater selbst zur See gefahren – als Heizer, was kaum besser war als der Höllenjob auf der Werft. Sein Schiff hatte sogar noch Masten und Segel, doch wurde nur mit Maschine gefahren. Für Großvater hieß das Kohlenschaufeln bis nach Texas. Immerhin gab es damals noch freie Hafentage.

Landgang nur selten

Seefahrergeschichten waren in meiner Kindheit an der Waterkant Teil der Kultur. Abends beim Einschlafen dröhnten die Schiffshörner vom Hafen herüber, tagsüber spielte ich in Bootswerften. Als ich im Jahr 1983 dann selbst auf einem Frachter arbeitete, der über den Großen Teich fuhr, wurde der Schiffsstahl längst geschweißt statt genietet und das Stückgut war Containern gewichen. Haushoch stapelten sich die Metallkisten an Deck des Schiffes, das mich nach New York brachte.

Der Frachter war sogar in Deutschland gebaut worden, hatte eine mehrheitlich deutsche Besatzung und fuhr unter deutscher Flagge. Das war alles schon damals eine große Seltenheit. Doch machte der Frachter für den Schiffbau seiner Heimat keine Werbung. Denn als das Schiff in die Weser einlief, fiel die Maschine aus. Das Schiff fuhr manövrierunfähig auf Grund, wo die Weser eine Kurve macht. Der erst acht Monate alte Frachter „Made in Germany“ war leck.

So begann meine Reise in der Werft. Für die Mannschaft bedeutete dies immerhin den ersten Landgang seit Monaten. Denn Hafenliegezeiten von Containerschiffen betragen normalerweise nur wenige Stunden. Jetzt wurden mit dem Taxi von Bremen aus schnell alte Freunde im Ruhrgebiet überfallen oder das nächste Rotlichtviertel. Im Dock kam ich mir unter dem 200 Meter langen, wie ein Hochhaus aufragenden Rumpf winzig vor. Zugleich war das Leck groß genug, um in den Rumpf kriechen zu können. Die Atlantiküberquerung selbst war dann stürmisch und langwierig. Statt veranschlagter 10 Tage war ich 17 an Bord – gefühlt auf einem schwimmenden Gefängnis. Einige Seeleute wirkten, als seien sie für das Leben an Land nicht mehr geeignet.

Aufstand gegen Massenentlassungen

Mit dem deutschen Schiffbau ging es in den 1980er Jahren weiter bergab. Japanische Werften bauten für die Versorgung ihres Inselreiches mit Öl, das alles herangeschifft werden musste, inzwischen die weltgrößten Tanker. Und Südkorea holte in großem Tempo auf. Diktator Park Chung Hee, der das Land zum Industriestaat machen wollte, hatte Anfang der 1970er Jahre den ehrgeizigen Unternehmer Chung Ju Yung zum Schiffbauer bestimmt. Der ehemalige Bauernsohn aus Nordkorea und Gründer des Hyundai-Konzerns bekam Staatskredite und -aufträge und Schutz vor ausländischer Konkurrenz. Dabei hatte Hyundai zu Beginn weder eine Werft gehabt noch überhaupt je ein Schiff gebaut.

1998 besuchte ich die Hyundai-Werft in Ulsan. Dort im Süden der koreanischen Halbinsel war der Konzern in atemberaubendem Tempo expandiert und baute immer größere Schiffe. Stolz zeigten mir Manager ihre Werft und in einem Imagefilm Wachstumspläne zu einer Zeit, in der deutsche Werften sich immer mehr auf den Bau von Einzel- und Spezialschiffen konzentrierten, weil sie mit den Koreanern im Massengeschäft nicht mehr mithalten konnten. In Ulsan wurde mir stolz erklärt, wie Platten des Schiffsstahls computergesteuert mit Lasern geschnitten wurden. Mit einem Flüssiggasfrachter war auch schon ein Spezialschiff in Planung, und natürlich waren auch hier die Löhne der Werftarbeiter knapp.

Sie begehrten damals auf dem Höhepunkt der Asienkrise militant ­gegen anstehende Massenentlassungen auf. Die Atmosphäre war beim Werftbesuch auf beiden Seiten angespannt. Aus Termingründen hatte ich erst das Management getroffen und zum Feierabend die Gewerkschafter. Doch als sie jeweils erfuhren, dass ich als Journalist natürlich auch mit der anderen Seite spreche, wurde die Atmosphäre schnell frostig.

Aufruf zum Streik

Bald sind Südkoreas Werften weiter gewachsen und heute mit führend in der Welt. Doch gab es schon Rückschläge, die denen in Deutschland nicht unähnlich sind. So wollte die Werft Hanjin Heavy Industries & Construction in Busan 400 ihrer dort 1.400 Arbeiter entlassen, weil sie einen Teil der Produktion auf die Philippinen verlagern wollte. Dort sind die Löhne viel niedriger. Die Gewerkschaft rief zum Streik, doch nicht alle machten mit. Da besetzte die frühere Schweißerin Kim Jin Suk einen großen Werftkran. In dessen Führerhaus hatte sich 2003 der lokale Gewerkschaftschef erhängt, nachdem er vergeblich 129 Tage gegen 600 Entlassungen protestiert hatte. Kim knüpfte an die Aktion in 35 Meter Höhe an und konnte, wie sie später bei einer taz-Veranstaltung berichtete, nach 309 Tagen die Wiedereinstellung eines Teils der Entlassenen erreichen.

In Deutschland ist die Abfederung sozialer Härten bei Entlassungen größer als in Korea. Doch dauert der Schrumpfungsprozess der Werftindustrie hier auch schon Jahrzehnte. Der Spezial-, Luxus- und Marineschiffbau als Nische hat jahrelang etwa bei Kreuzfahrtschiffen und Fähren funktio­niert. Das zeigt das Beispiel der Meyer Werft in Papenburg. Doch musste für die immer größeren Schiffe dort die Ems immer stärker ausgebaggert werden. Wahnsinn. Und mit dem jetzigen Konkurs der MV-Werften zeigt sich, dass auch der Bau gigantischer Kreuzfahrtschiffe nicht mehr funktioniert, wenn ihre ganze Branche abstürzt.

Inzwischen ist China von der Gesamttonnage her der Weltmarkt­führer der Werften

Vor einigen Jahren kam ich bei einer Veranstaltung in Kiel mit einer Betriebsrätin der dortigen U-Boot-Werft ins Gespräch. Anlass war eine Diskussion über Spannungen zwischen Indien und Pakistan nach einem Terroranschlag. Die Ingenieurin hatte einige Zeit in Indien gearbeitet und war hervorragend informiert. Doch fühlte sie sich sichtlich unwohl, als sie berichtete, dass ein Vertrag ihrer Werft über die Lieferung von drei U-Booten an Pakistan kurz vor dem Abschluss stand. Sie war hin- und hergerissen zwischen der Sorge um die Sicherheit der Jobs, dem Stolz auf die Leistung der Werft, U-Boote von Weltklasse zu bauen, aber eben auch der Angst, damit womöglich zu einen militärischen Konflikt bis hin zum potenziellen Atomkrieg beizutragen. Die Sorgen konnte ich ihr nicht nehmen. Das Geschäft scheiterte später letztlich daran, dass Islamabad die U-Boote aus strategischen Gründen lieber in China bestellte.

Nicht mehr konkurrenzfähig

Inzwischen ist China von der Gesamttonnage her der Weltmarktführer der Werften. Dort wird bereits der vierte Flugzeugträger gebaut, wozu das Land vor 15 Jahren noch nicht fähig war. Doch zum Bau luxuriöser und rekordverdächtiger Kreuzfahrtschiffe reicht es offenbar noch nicht. Das zeigt sich daran, dass die jetzt pleitegegangenen MV-Werften einer Hongkonger Reederei gehören, deren Hauptbesitzer ein malaysischer chinesischstämmiger Tycoon aus dem Casino- und Tourismusbusiness ist.

Im Standard- und Massengeschäft sind die deutschen wie europäischen Werften gegen die Konkurrenz aus Fernost nicht mehr konkurrenzfähig. Doch liegt das wie früher bei den Nietenkloppern, die sich nie eine Villa leisten konnten, nicht am Fleiß. Na­tio­nale Schiffbauindustrien sind stark reguliert, werden mit Staatsaufträgen und -krediten genährt und vor Konkurrenz geschützt, mal mehr oder, wie jetzt in Norddeutschland offenbar, zu wenig. Darin unterscheiden sich Werften nicht von Flugzeug- oder Autofabriken. Alle drei sind im Sinne traditioneller Wirtschafts- und Entwicklungspolitik strategische Industrien eines Landes.

Am Elbufer kontrastieren heute zwei Welten. Auf der einen Seite tobt die Globalisierung, wo an Containerterminals dicke Pötte aus Asien entladen werden. Am anderen Ufer, an der Elbchaussee, sitzen und spazieren Menschen am Strand. Doch weil immer größere Schiffe aus China kommen, aber nur noch bei Hochwasser einlaufen können, drängt Peking auf weitere Vertiefung der Elbe.

In der ursprünglichen Fassung des Textes hatte es fälschlicherweise geheißen, dass in der Kieler Werft laut der Betriebsrätin ein U-Boot für Pakistan kurz vor der Auslieferung stand. Stattdessen stand erst der Vertrag kurz vor Abschluss. Auch fehlte der Hinweis, dass die U-Boote letztlich in China bestellt wurden.

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