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Pandemie und PsycheUnterstützung notwendig

Psychische Erkrankungen nehmen in der Pandemie zu. Strenge Maßnahmen hätten damit aber nichts zu tun, sagt der Gesundheitsminister.

Home ­Schooling und Lockdown haben ihre Spuren bei Kindern und Jugendlichen hinterlassen Foto: Sven Döring/laif

Lauterbach hat mal wieder gesprochen: Am Montagabend war der Gesundheitsminister bei „hart aber fair“ zu Gast und verteidigte ein ums andere Mal die Coronamaßnahmen. Kritik, dass die verhältnismäßig strengen Maßnahmen in Deutschland zu einem Anstieg psychischer Störungen führten, wies er dabei zurück.

Der Anstieg psychischer Erkrankungen in den ver­gangenen zwei Jahren, den etliche Studien nachgewiesen haben, sei seiner Meinung nach nicht auf die Schutz­maßnahmen ­zurückzuführen, sondern auf die Coronalage insgesamt. So sei eine Verschlechterung der ­psychischen Gesundheit auch in Ländern zu beobachten, die weniger drastisch eingegriffen ­hätten, wie beispielsweise die USA.

Auslöser für die Diskussion in der Runde bei Frank Plasberg war eine von der Welt-Journalistin Claudia Kade erwähnte Studie, nach der die Suizidrate bei Kindern und Jugendlichen während des zweiten Lockdowns vor einem Jahr deutlich angestiegen sei. Diese noch nicht veröffentlichte Studie der Universitätsklinik Essen sorgte kürzlich für mediale Aufmerksamkeit, nachdem der Leiter der dortigen Kinderintensivstation, Professor Christian Dohna-Schwake, sie am 5. Januar in einem Podcast erwähnte.

Der Studie zufolge, an der Dohna-Schwake mitarbeitete, hat sich die Zahl der festgestellten Suizidversuche im Vergleich zum Vorjahr bundesweit vervierfacht. Waren es im Zeitraum vom ersten Lockdown noch 22 Kinder und Jugendliche, die einen Suizidversuch unternahmen, wurden von Mitte März bis Ende Mai 2021 93 Fälle von insgesamt 27 Kinder-Intensivstationen aus unterschiedlichen Re­gio­nen gemeldet. Da diese 27 Einrichtungen laut des Mediziners nur etwa 20 Prozent der Kinder-Intensivstationen in Deutschland ausmachen, aus den übrigen 80 Prozent also keinerlei Zahlen erhoben wurden, dürfte es hochgerechnet bundesweit zu sehr viel mehr Suizidversuchen gekommen sein.

Vielfältige Gründe

Ob die Pandemie und die bisher mit ihr einhergegangenen Lockdowns für die erhöhte Suizidrate verantwortlich sind, könne er nicht sagen, räumte Dohna-Schwake gegenüber Focus Online ein. Corona sei nie der einzige Grund für einen Suizidversuch. „Die Veränderungen im Leben von Familien und Jugendlichen haben aber aus meiner Sicht ganz wesentlich dazu beigetragen, dass die individuelle Lebenssituation bei einzelnen Jugendlichen häufiger so aussichtslos erschien, dass ein Suizidversuch als letzte Möglichkeit gesehen wurde“, sagte er weiter.

Eine Zunahme von Depressio­nen, Angst- und Essstörungen ist unumstritten – die Gründe dafür sind vielfältig. So könnte die vermehrte Nutzung sozialer Medien hier eine Rolle spielen. Dass diese einen schlechten Einfluss auf die psychische Gesundheit, besonders junger Menschen, haben, zeigte sogar eine interne Studie des Unternehmens Meta, vormals Facebook. Auch soziale Isolation in Folge von Schul- und Vereinsschließungen haben sicher zu einer Verschlechterung des psychischen Befindens geführt.

Dass die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen nicht nur in Deutschland gefährdet ist, zeigt auch eine neu erschienene Studie aus Italien, herausgegeben von der Stiftung Soleterre und der Abteilung für Traumaforschung der Katholischen Universität Mailand. Für die Studie wurden im Dezember vergangenen Jahres 150 Jugendliche zu ihren Gedanken und Gefühlen, die Pandemie betreffend, befragt. 17,3 Prozent der Befragten zwischen 14 und 19 Jahren gaben an, so überfordert zu sein, dass sie durch die Umstände keinen Sinn mehr im Leben sehen.

Abstreiten hilft nicht

Studien wie diese und die der Uniklinik Essen zeigen das Ausmaß der psychischen Belastung durch die Pandemie zwar nur im kleinen Rahmen, geben aber entscheidende Hinweise auf den Ernst der Lage. Ob und inwiefern die psychischen Auswirkungen auf die Einschränkungen durch Coronamaßnahmen oder aber die fehlenden Per­spektiven durch die pandemische Lage per se zurückzuführen sind, ist im Grunde genommen zweitrangig. Sich in Talkrunden darüber zu streiten, woran es liegen könnte, und dabei wie Lauterbach darauf zu pochen, dass die Eindämmungsmaßnahmen hierzulande keinen Einfluss auf die psychische Gesundheit hätten, hilft niemandem.

Es gibt eine Dringlichkeit, die vor allen anderen kommt, sagt Damiano Rizzi, Präsident der Soleterre und Psychotherapeut. Und zwar, „sich um die psychische Gesundheit von Kindern und Jugendlichen zu kümmern“. Vielleicht sollten wir also, wie schon zu Beginn der Pandemie, noch einmal nach Italien sehen.

Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie da­rüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/111 0 111 oder 08 00/111 0 222) oder www.telefonseelsorge.de besuchen.

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5 Kommentare

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  • Nun, im Grunde müssen wir uns eingestehen, dass eine Pandemie so oder so eine extrem belastende Sache ist.



    Nur, wenn man keine Einschränkungen gemacht hätte, dann hätten wir jetzt nicht 100.000 sondern hunderttausende Tote.



    Wie viele Menschen würden nun schwere Trauerfälle haben? Wie sehr würde eine wildgewordene Seuche uns traumatisieren?

  • "Eine Zunahme von Depressio­nen, Angst- und Essstörungen ist unumstritten." = falsch! Es gibt bis dato keine überzeugende Datenlage für eine Zunahme von Depressionen bzw. Angsterkrankungen i.e.S. (reaktive Befindlichkeitsstörungen haben sicherlich zugenommen, aber keine psych. Erkrankungen i.e.S.).

    "Ob und inwiefern die psychischen Auswirkungen auf die Einschränkungen durch Coronamaßnahmen oder aber die fehlenden Per­spektiven durch die pandemische Lage per se zurückzuführen sind, ist im Grunde genommen zweitrangig."



    Nein, ist es nicht. Die Fachgebiete der Psychologie/Psychiatrie werden seit Monaten instrumentalisiert, um gegen die i.d.R. sinnvollen Maßnahmen der Pandemiebekämpfung in Stellung gebracht.



    Der hier im Lande geführte Diskurs ist mitunter infantil. Corona ist sch... und die Einschränkungen durch die Pandemie-Bekämpfung sich durchaus z.T. belastend, das sei nicht in Abrede gestellt. Aber dieses Gejammer hier im Land über Masken, Einschränkungen im life style, reduzierte Sozialkontakte etc. ist im Grunde infantil und der Situation nicht angemessen. Wir waren wohl auf unserer Insel der egozentrischen Glückseligkeit über viele Jahre / Jahrzehnte zu sehr verwöhnt ...



    Nun zeigt sich auch, dass versch. asiatische Gesellschaften wesentlich kompetenter mit der Situation umgehen ... Rücksichtnahme, Solidarität und Verantwortung werden dort offensichtlich wesentlich selbstverständlicher praktiziert ... hier wird geheult und gejammert, dass man sich nun in seiner Freiheit eingeschränkt sieht.



    Wir sollten mal mehr nach Asien schauen ... und weniger jammern ...

    • @Ein wenig Vernunft, bitte!:

      Die Zahlen kommen erst noch. Die Zunahme ist schlecht meßbar, weil nur diejenigen gezählt werden können, die sich in Behandlung begeben oder begeben können. Da Psychiater, Therapeuten und Kliniken auch vorher gut ausgelastet waren, ist ein "Anstieg" der Zählfälle gar so einfach möglich.

      Aus dem Alltag kann ich Ihnen versichern, dass in den letzten Monaten die negativen Einflüsse der Lockdown-Massnahmen in der Psyche der Menschen sichtbar werden. Demgegenüber sind die Folgen der Covid-Erkrankung im seelischen Bereich sehr überschaubar, Einzelfälle im Sinne von Long-Covid gibt es natürlich, aber das ist nicht die Masse, wie die oben genannte Gruppe.

  • Was ist aus dem Mantra "auf die Wissenschaft hören" geworden?



    Herr Lauterbach scheint nur zu hören wenn es ihn in dem Kram passt. Der Artikel bringt es schön auf den Punkt, es hilft niemandem pauschal abzustreiten. Bei multifaktorielle Phänomenen wie Selbsttötungen wird es auch nie eine absolute Antworten geben können, ob nun Corona-Einschränkungen (in-) direkt verantwortlich waren.

  • Was Herr Lauterbach da Behauptet grenzt Hart an Verleugnung.



    Bei uns in der Schweiz haben Studien in kleinerem Umfang den Zusammenhang von Massnahmen und psychischen Erkrankungen belegt- trotz wesentlich milderer Regelungen als Deutschland.



    Gerade mit Blick auf die psychische Gesundheit wurde bei uns auf gewisse Massnahmen verzichtet.

    Hier Gegenteiliges zu Behaupten zeugt bestenfalls von fehlender Kenntnis, Schlimmstenfalls von Ignoranz.