Weihnachten und Neujahr: Keine Ferien für die Psyche
Für viele ist die Weihnachtszeit ermüdend und anstregend. Doch gerade für Menschen mit psychischen Erkrankungen kann sie besonders schwierig sein.
W eihnachten ist die schönste Zeit des Jahres, heißt es. Die Realität sieht oft anders aus: Statt Besinnlichkeit stehen bei vielen Stress und Hektik oben auf der Liste. Geschenke kaufen, Kekse backen, Essen kochen, Baum und Bude schmücken – die Erwartungen rund um die Feiertage sind hoch, die Wahrscheinlichkeit einer Enttäuschung ist es dementsprechend auch.
Schon 2015 veröffentlichten Wissenschaftler*innen der Universität Göttingen eine Studie, die zeigte, dass eine Mehrzahl der Menschen um die Weihnachtszeit herum niedergeschlagener und unzufriedener sind als sonst. Die Daten zeigten, dass dies vermutlich an der stetig wachsenden Ausrichtung auf materiellen Konsum liege. Neben den sozialen Verpflichtungen erhöht die monetäre Belastung bei vielen den Stress.
Besonders schwierig kann die Weihnachtszeit für Menschen mit Depressionen sein. Da ist es dann egal, ob vorweihnachtlich, während der Festtage oder danach: Psychische Erkrankungen machen schließlich keine Ferien. Wer in einer depressiven Episode steckt, fühlt sich um das Jahresende schnell unter Druck: All die vermeintliche Heiterkeit kumuliert sich auf wenige Tage, wer diese nicht bedienen kann, wird schnell mal zur*zum Spielverderber*in.
Der Vorwurf, nicht mal jetzt könne man sich zusammenreißen, schwingt oft unterschwellig mit oder platzt im schlimmsten Fall bei Gans und Rotkohl aus einem Unverständigen heraus. Da sind Scham und Schuldgefühle vorprogrammiert und stürzen Betroffene nur noch tiefer in das Loch der Erschöpfung.
Wenn Sie Suizidgedanken haben, sprechen Sie darüber mit jemandem. Sie können sich rund um die Uhr an die Telefonseelsorge wenden (08 00/1 11 01 11 oder 08 00/1 11 02 22) oder www.telefonseelsorge.de besuchen. Dort gibt es auch die Möglichkeit, mit Seelsorger*innen zu chatten.
Ermüdung nach Weihnachten
Aber auch Menschen, die sonst nicht zwingend zu depressiven Episoden neigen, ereilt zuweilen ein Gefühl der Ermüdung um und besonders nach Weihnachten. „Entlastungsdepression“ wird dieses Phänomen genannt, das sich mit der Vorbereitung auf eine wichtige Prüfung vergleichen lässt. „Man arbeitet wie verrückt auf ein Ziel hin“, so erklärt es der Kölner Psychologe und Universitätsprofessor Egon Stephan, doch statt dass sich nach dem erfolgreichen Abschluss Zufriedenheit einstelle, fühle man sich abgeschlagen. Frauen seien hierfür besonders anfällig. Grund dafür ist, dass ein Großteil der Vorbereitungen, ergo auch mehr Sorge und Stress, in heteronormativen Familienkonstellationen immer noch an ihnen hängenbleibt.
Anders als oft angenommen steigt die Suizidrate nicht während, sondern nach den Feiertagen und zu Beginn des neuen Jahres. Expert*innen nehmen an, dass dies mit der plötzlichen Entlastung zusammenhängt. Wer dieser Tage bei sich selbst oder Menschen im Umfeld eine starke Veränderung der Stimmung wahrnimmt, sollte sich bitte Hilfe suchen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Nan Goldin in Neuer Nationalgalerie
Claudia Roth entsetzt über Proteste
Politikwissenschaftlerin über Ukraine
„Land gegen Frieden funktioniert nicht“
Scholz und Pistorius
Journalismus oder Pferdewette?
Krieg in der Ukraine
Kein Frieden mit Putin
Krieg in der Ukraine
Geschenk mit Eskalation
taz-Recherche zu Gewalt gegen Frauen
Weil sie weiblich sind