Frau mit Mundschutz, Schal und Mütze auf der Straße

Protest mit Mundschutz Foto: Maxim Shipenkov/epa

Gruppe Memorial droht das Verbot:Vom Ende der Erinnerung

Eine Gruppe Menschenrechtler stört die historischen Legenden des russischen Präsidenten. Nun soll Memorial mundtot gemacht werden.

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13.12.2021, 18:48  Uhr

In Windeseile wird gehämmert und gebohrt. Bis zur Gerichtsverhandlung gegen Memorial in dieser Woche soll die Ausstellung fertig sein. Das hat einen einfachen Grund: Die Schau ist dem Prozess gegen die Menschenrechtsorganisation selbst gewidmet. Memorial droht die Auflösung. Am Donnerstag beginnt der Prozess gegen Memorials Menschenrechtsorganisation. Das Verfahren gegen Memorial International, ein Netzwerk, dessen Fäden weit über Russland hinausreichen, wird an diesem Dienstag fortgesetzt. Ein Urteil ist nicht ausgeschlossen.

Dutzende Künstler haben die Atmosphäre der vorangegangenen Verfahren gegen die beiden verschwisterten Organisationen eingefangen. „Euer Porträt, eure Ehren“, so heißt die Schau. Nur das Moskauer Stadtgericht, wo das Verfahren gegen die russische Menschenrechtsorganisation verbreitet wird, hat Beobachter zugelassen. Das oberste Gericht Russlands, das gegen Memorial International tagt, nicht. Die Künstler konnten nur auf der Straße vor dem Gebäude ihre Eindrücke sammeln.

Es sind allesamt Zeichnungen, keine Fotografien. Die Bilder zeigen Szenen der Verhandlungen, Reaktionen der Besucher und Richter. Das Hämmern und Bohren geht weiter, die Zeit drängt. Noch muss die Ausstellung zum hundertsten Geburtstag von Andrej Sacharow abgebaut und verpackt werden. Sacharow, der Friedensnobelpreisträger, Verbannter und Dissident war der erste Vorsitzende der Bewegung Memorial Ende der 1980er Jahre.

„Mit einem Sieg der Vernunft rechne ich nicht mehr“, sagt Irina Schtscherbakowa. Sie ist Mitbegründerin der Organisation. „Vielleicht werden die Verfahren vertagt, bis die Empörung abflaut. Und dann fällt das Urteil“, meint sie. Aufgeben möchte Schtscherbakowa deswegen aber nicht. Darin seien sich alle Mitarbeiter einig.

Die Stalin-Zeit aufarbeiten

Fast jede russische Familie hat in der Sowjet­zeit persönliches Leid erlebt. Als Memorial die Arbeit aufnahm, waren schon in allen größeren Städten des Riesenreichs eigene Organisationen gegründet worden, die dem Schicksal verhafteter und verschollener Angehöriger nachgingen. Auf der Gründungskonferenz im Haus der Kultur des Moskauer Luftfahrtinstituts nahmen im Januar 1989 462 Delegierte teil. Sie vertraten 250 Organisationen und Gruppen aus 103 Städten.

Dreißig Jahre sind seitdem vergangen. Memorials Haus im Karetnij Rjad steht im Moskauer Zentrum. Es ist ein imposantes Gebäude, das der Organisation seit 2011 gehört. Doch Memorial ist längst keine Massenbewegung mehr, so wie gegen Ende des Kommunismus. „Die Menschen fühlen sich heute ohne diese Themen wohl“, sagt Irina Golkowa, die das Museum im Keller leitet. Sie, die zur jüngeren Generation zählt, sagt das ohne Anklage. Nach Umfragen kennen nur noch etwa 5 Prozent der russischen Bevölkerung die Organisation.

Alexander Tscherkassow

Alexander Tscherkassow will weiter machen Foto: Dimitar Dilkoff/afp

Die Aufarbeitung der Stalinzeit wird ergänzt vom Menschenrechtszentrum, das sich um Rechte politischer Gefangener, der LGBTI-Gemeinde und ethnischer Minderheiten kümmert. Dessen Arbeit in Tschetschenien und im Nordkaukasus wurde vom Geheimdienst immer aufmerksam verfolgt.

Die Arbeit Memorials war dem Staat unter Präsident Wladimir Putin seit seiner Amtsübernahme vor 21 Jahren schon immer ein Dorn im Auge. Sicherheitsapparat und Geheimdienst beherrschen Russland. Sie wollen sich zu keiner historischen Schuld bekennen, noch ihr Bild eintrüben lassen. Vielmehr begreifen sie sich in der Nachfolge Josef Stalins, auch wenn Wladimir Putin Stalin öffentlich nicht glorifiziert. Die staatliche Rhetorik habe sich unmerklich verschoben, sagt Irina Golkowa. Anfang der 2000er Jahre wäre eine solche Entwicklung nicht denkbar gewesen, meint sie.

Klassenkampf Die vermeintliche Verschärfung des Klassenkampfes unter Stalin war die Legitimation für die Säuberungen im Stalinismus. Deren Opfer wurden ermordet oder in Zwangsarbeits­lager gebracht. Die Zahl der Opfer ist unbekannt, Schätzungen bewegen sich zwischen einigen und bis zu 10 Millionen Menschen.

Die Opfer Etwa zwei Drittel derjenigen Parteigenossen, die 1934 als Delegierte am Parteitag teilgenommen hatten, wurden zum Tode verurteilt, darunter auch Funktionäre und Minister. Stalin allein entschied, welche Personen oder Personengruppen nicht hinter seiner Politik stünden, und überließ dem Chef der Geheimpolizei deren Beseitigung. In der Zeit des Großen Terrors wurden die betroffenen Personen verhaftet und meist erschossen. Die von der Geheimpolizei angewandten Straftatbestände wegen antisowjetischen Verhaltens oder Opposition gegen die KPdSU galten als Verstöße gegen den Artikel 58 des Strafgesetzbuchs, der die rechtliche Grund­lage für die Verfolgungen bildete. Von September 1936 bis Dezember 1938 wurden schätzungsweise 1,5 Millionen Menschen umgebracht.

Die Zahlen Die stalinistischen Repressionen reichten in der UdSSR vom Ende der 1920er bis zum Beginn der 1950er Jahre. Die Mehrheit der Opfer stammte aus Verwaltungsstrukturen und dem Geheimdienst NKWD. Überdies wurden 78 Prozent des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei in jener Zeit liquidiert. 4,5 bis 4,8 Millionen Menschen wurden aus politischen Gründen verurteilt, 1,1 Millionen erschossen, die anderen endeten im Gulagsystem. Arsenij Roginsky von Memorial geht davon aus, dass von 1918 bis 1987 7,1 Millionen Menschen in Russland verhaftet wurden. (taz)

Putin hält sich mit öffentlichen Äußerungen gegen Memorial zurück und überlässt dem Pressesprecher des Kremls die Bewertung: Memorial verstoße gegen das Gesetz, dem müsse ein Ende gesetzt werden, meinte Pressechef Dmitri Peskow. In den Medien wird von der Arbeit der Nichtregierungsorganisation nicht mehr berichtet. Memorial wird einfach totgeschwiegen.

Menschenrechtler als „ausländische Agenten“

Begründet werden die beiden Verfahren damit, dass auf älteren Papieren und Büchern von Memorial der Vermerk fehlt, nach dem es sich bei der Organisation um einen „ausländischen Agenten“ handele. Das „Agentengesetz“ existiert seit 2012, eine Verschärfung wurde später verfügt. Inzwischen stehen mehr als 145 Nichtregierungsorganiationen auf der Liste des russischen Justizministeriums für „ausländische Agenten“.

Um zu einem „Agenten“ gestempelt zu werden, ist der Erhalt ausländischer Gelder das entscheidende Kriterium. Aber auch russische Geldgeber sind nicht erwünscht, wenn sie den Bereich Menschenrechte, die Beschäftigung mit der totalitären Vergangenheit oder ökologische Fragen unterstützen. Kurzum: überall dort, wo sie in Widerspruch mit der staatlichen Politik geraten.

Menschen vor Gerichtsgebäude

Eintritt verboten: Menschen vor dem Obersten Gerichtshof bei der Memorial-Verhandlung Foto: Dmitry Serebryakov/ap

Seit dem Jahr 2019 ist Memorial zwanzigmal verklagt worden. Rund 6 Millionen Rubel – umgerechnet 70.000 Euro – Strafe mussten in den Verfahren gezahlt werden. Der Großteil der Gelder stammt aus privaten Spenden. „Die moralische Unterstützung ist wichtig. Die Menschen halten unsere Arbeit für wichtig, sie spenden, damit wir weitermachen können“, sagt Irina Golkowa.

Das ohrenbetäubende Klopfen, Hämmern und Bohren, das von den Ausstellungsräumen bis zum Flur hallt, klingt fast wie ein Protest. Von Niedergeschlagenheit, Ergebenheit gar kann tatsächlich keine Rede sein. „Wir geben nicht auf, wir lassen uns nicht einschüchtern“, sagt Irina Golkowa leise.

Irina Golkowa, Leiterin des Museum bei der Organisation Memorial

„Wir geben nicht auf, wir lassen uns nicht einschüchtern“

„Wir dürfen uns nicht einschüchtern und einfach beerdigen lassen“, meint auch Alexander Tscherkassow, der das Menschenrechtszentrum und die Arbeit mit den politischen Gefangenen leitet. Tscherkassow ist müde, er hat gerade westliche Botschafter getroffen. Der Versammlungsort sei die ganze Zeit von Sicherheitskräften in Zivil überwacht worden, berichtet er. „Wir geben nicht auf“, wiederholt er, aber es klingt ein wenig so, als müsse er sich selbst Mut machen. Die Vorwürfe gegen das Menschenrechtszentrum wiegen schwerer als nur der Spionagevorwurf: Es soll „terroristische und extremistische“ Gruppierungen unterstützt haben.

Tscherkassow erzählt von einem Verfahren gegen Angehörige der berüchtigten russischen Söldnergruppe namens Wagner. Sie sollen im Syrienkrieg einen Gegner verstümmelt und anschließend verbrannt haben. Der Prozess sei nicht zustande gekommen, berichtet Tscherkassow. Eine andere Geschichte dreht sich um einen bedrohten Turkmenen, der sich inzwischen in der Türkei in Sicherheit befindet. Memorial kostete der Fall 300.000 Rubel, umgerechnet 3.800 Euro, denn in einem Schreiben fehlte der verpflichtende Vermerk des „ausländischen Agenten“. Immerhin konnte der Geflüchtete gerettet werden.

Solche Nadelstiche kosten eine Menge Geld, klagt Alexander Tscherkassow. Besonders ärgerlich sei die Auflage, viermal im Jahr einen umfangreichen Rechenschaftsbericht einreichen zu müssen.

In Tscherkassows Büro hängt ein großes Porträt Natalja Estimirowas. Sie war die Leiterin des Memorial-Büros in Grosny, als sie im Juli 2009 von Häschern des tschetschenischen Republikchefs in der Nachbarrepublik ermordet wurde. Estemirowas Nachfolger wurde Ujub Titijew, der wegen vermeintlichen Marihuanabesitzes vor ein tschetschenisches Gericht kam. Das Verfahren war eine Farce. Kurz nach dem Urteil konnte Titijew die Republik jedoch verlassen.

Alexander Tscherkassow, Memorial

„Alle Widerspenstigen sollen restlos eingeschüchtert und verängstigt werden“

„Für die Zivilgesellschaft bedeutet das Vorgehen zurzeit einen riesigen Verlust. Alle Widerspenstigen sollen restlos eingeschüchtert und verängstigt werden“, meint Tscherkassow. Selbst die Klageschriften seien fehlerhaft und schlecht vorbereitet. Offensichtlich wolle man damit deutlich machen: Man gibt sich keine Mühe. Das Verbot Memorials käme ohnehin, sagt Tscherkassow.

Tschetschenien und der Nordkaukasus spielten für die Menschenrechtler von Beginn an eine wichtige Rolle. Beim Ausbruch des ersten Tschetschenienkriegs im Dezember 1994 schickte Memorial seine Leute in den Kaukasus. Unter ihnen war auch Sergej Kowaljow, der in der Duma als Abgeordneter saß. Er verbrachte mehrere Tage mit Tschetschenen in Kellern der Stadt. Ein Foto zeigt ihn vor dem zerschossenen Palast im Stadtzentrum Grosnys, wo sich die tschetschenische Führung verschanzt hatte. Sergej Kowaljow war Dissident, im August ist er gestorben.

Gegenüber von Tscherkassows Büro erinnert eine Pinnwand an die Rolle des Gründungs- und Vorstandsmitglieds von Memorial. Ein SchwarzWeiß-Foto zeigt den Biologen vor dem umkämpften Gerippe des Präsidentenpalasts.

Auf der Buchmesse schräg gegenüber dem Kreml ist der Stand Memorials in der letzten Woche sehr gut besucht. Eine Traube junger Leute drängt sich um Bücher über stalinistische Repressionen und Zeichnungen aus dem Lagerwesen des Gulags. Auf einem Schild steht zur Erklärung des „ausländischen Spions“, Memorial sei eine „russische juristische Person, die die Funktion eines Agenten erfüllt“. Es wirkt hier wie eine Mischung aus Farce und Ironie.

Irina Schtscherbakowa

Irina Schtscherbakowa: „Mit einem Sieg der Vernunft rechne ich nicht mehr.“ Foto: Mike Wolff/TSP/imago

Auch im Hauptquartier von Memorial, im Karetny Rjad, tauchen in den letzten Tagen viele Besucher auf. Sie sprechen den Mitarbeitern Mut zu. Im Internet kann eine Petition für die Menschenrechtsorganisation unterschrieben werden. Mehr als 120.000 Menschen haben sie bisher mit ihrem Namen unterzeichnet.

Die Geschichte retten – trotz des drohenden Verbots

Viele Menschen haben sich dazu entschlossen, Unterlagen und Erinnerungsstücke aus dem Gulag an Memorial zu übergeben. Sie vertrauen darauf, dass die Gruppe trotz ihrer Verfolgung einen Weg finden wird, um die Geschichte zu retten, meint eine Archivarin der Organisation.

Darauf hofft auch die ältere Dame in brauner Pelzjacke mit passender Kopfbedeckung, die sich im Keller unter die Besucher einer Ausstellung über Frauen im Gulag mischt. Auch sie hat ein kleines Album mitgebracht, das sie aus einer Plastiktüte hervorholt und herumzeigt. Ihr Vater saß im Lager, erzählt sie, 70 Jahre müsste das her sein. So lange haben viele Familien dazu geschwiegen und erdrückende Erinnerung mit sich herumgetragen. Die Übergabe des Albums an das Archiv ist auch eine Befreiung. Die ältere Frau möchte jedoch ihren Namen nicht nennen. Die Söhne seien Ärzte, meint sie. Alle wissen, was sie damit sagen will. Die Angst ist wieder zurück.

Viele Menschen reagieren ähnlich. Sie fragen hastig, als gäbe es sonst keine Gelegenheit mehr, um die Wahrheit zu erfahren.

Mitarbeiter gehen davon aus, dass Erinnerungsarbeit auch nach einem Verbot weiterlaufen kann. Nur schwieriger, komplizierter, unbequemer und vor allem langsamer könnte es werden, fürchten die meisten.

„Die Staatsmacht hat immer Recht“, fasste Arsenij Roginsky, ehemaliger Vorsitzender Memorials, die Erfahrungen mit dem Sowjetstaat zusammen. Auch er hat einige Jahre in einem Lager gesessen. An dem fragilen Verhältnis von Staat und Recht, daran hat sich auch nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion nichts wirklich verändert. Wie sollte es auch, wenn Geheimdienste und Sicherheitskräfte die Geschäfte bestimmen.

Im Oktober führte Memorial in Moskau den Film „Red Secrets – Im Fadenkreuz Stalins“ von Agnieszka Holland vor. Es geht darin um die verordnete Hungersnot in der Ukraine in den 1930er Jahren, Holodomor genannt. Maskierte Männer drangen in den Saal vor und verhinderten die Filmvorführung. Es waren Vertreter der NOD, der Nationalen Befreiungsbewegung, eines faschistoiden Haufens, der sich häufig vor den Karren der Staatsmacht spannen lässt. Als Provokateure, die dem Oppositionellen Alexej Nawalny eine ätzende Tinktur in die Augen kippten, machten sie vor einigen Jahren auf sich aufmerksam.

Die Täter bei der Filmvorführung waren bekannt, strafrechtlich belangt wurden sie jedoch nicht. Es wiederholt sich ein immer gleiches Schema: die Störer können unbehelligt abziehen, stattdessen werden die Zuschauer von der Polizei stundenlang verhört. Auch später werden die Eindringlinge nicht verfolgt, obwohl Memorials Anwälte Anzeige erstattet haben. Für solche Fälle hat die Organisation nun eine massive rote Metallsperre im Treppenhaus einbauen lassen.

Memorial hat in der Endphase des kommunistischen Regimes mit der Aufarbeitung der Terror­erfahrungen begonnen. Millionen Menschen hatten Jahre im Lager verbracht oder wurden von den Henkern des Systems hingerichtet. Versuche von Historikern, Namen willfähriger Scharfrichter offenzulegen, scheitern in den meisten Fällen bis heute. Der Geheimdienst deckt Täter aus den eigenen Reihen. Ihre Namen ruhen weiterhin unzugänglich in den Archiven. Der ehemalige KGB, heute FSB, ist eine riesige Korporation, die alles verschluckt, auch millionenfaches Unrecht.

Wie Geschichte frisiert wird

Die ideologische Gegenoffensive läuft seit Jahren. Die Gedenkstätte Perm-36 Gulag im Ural wurde schon 2014 geschleift. Vorher war es um die Erinnerung in der erst 1987 geschlossenen Anstalt gegangen. Perm-36 ist ein Lehrstück, wie das System Putin Gesetz und Recht instrumentalisiert. Das Lager ist als einzige „Besserungsanstalt“ des Gulags erhalten geblieben. Die alte Direktorin wurde gegen einen flammenden Putin-Anhänger ausgetauscht. Geschichte wird nicht mehr nur geschönt, sie wird einfach neu erfunden. Den ehemaligen Ausstellungsmachern wurde eine Verherrlichung von Faschisten unterstellt.

Einer der prominentesten Insassen dieses Lagers war der Menschenrechtler Sergei Kowaljow. Wer sich dem totalitären System widersetzte, sei damals pauschal zum „Faschisten“ erklärt worden, sagte er. Und wieder sei Faschist, wer sich dem Kreml nicht beuge, meinte Kowaljow beim Ausbruch des Ukrainekriegs.

Inzwischen können Opfer zwar auf ihr Schicksal aufmerksam machen. Sie bleiben aber Opfer ohne Täter. Die Erinnerung an den Stalinismus spielt in Russland kaum noch eine Rolle. „Vielleicht noch in Kreisen der Intelligenzija“, vermuten ehemalige Dissidenten.

Auffälligstes Charakteristikum des Stalinismus war der Terror als universales Mittel zur Lösung politischer und sozialer Aufgaben. In abgeschwächter Form erfährt dieser Terror in der Auseinandersetzung mit kritischen oppositionellen Stimmen eine Wiederbelebung. Die Gesellschaft wirkt zunehmend gleichgeschaltet.

Der sowjetische Terror fiel durch eine Besonderheit auf: Opfer und Täter ließen sich nur schwer voneinander trennen. Vorsitzende der Parteikomitees waren im Sommer 1937 meist Mitglieder der „Troikas“, die Todesurteile am Fließband unterschrieben. Knapp ein Jahr später war die Hälfte von ihnen selbst schon Erschießungen zum Opfer gefallen. Die Trennung von Opfern und Tätern fällt in Polen oder der Ukraine leichter.

„In der Erinnerung an den Terror fällt die Verteilung der Hauptrollen schwer, wir können nicht entscheiden, wer,wir' und,die anderen' sind“, schreibt Arsenij Roginskij in seinen Erinnerungen. Wichtigstes Hindernis für eine funktionierende Erinnerung an den Terror sei die Unmöglichkeit, das Böse einfach abzuspalten, meint der Historiker.

„Wir sind Memorial“, steht auf der schwarzen Coronamaske der Menschenrechtler.

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