Doku über Sängerin Billie Holiday: Magie und Masochismus

Der Dokumentarfilm „Billie – Legende des Jazz“ nähert sich der US-Sängerin Billie Holiday über Bande. Vieles an der Künstlerin bleibt rätselhaft.

Die Sängerin Billie Holiday am Mikrofon

Sang über Rassismus, wurde Opfer von Blackfacing: die Sängerin Billie Holiday Foto: Prokino

„Ich würde gern wissen, wieso alle Sängerinnen zugrunde gehen!“ Der weiße Entertainer Tony Bennett hat einen Punkt. Jedenfalls beim Blues: Die Misogynie und der strukturelle Rassismus, denen schwarze Bluesinterpretinnen jahrzehntelang ausgesetzt waren, sind legendär. In ihren Songs wie in ihrem Leben ging es darum viel um Leid, zugefügt von einem Mann, stellvertretend für eine Gesellschaft.

Eine US-amerikanische Journalistin namens Linda Lipnack Kuehl hatte es sich in den 70ern zur Mission gemacht, die Geschichte Billie Holidays zu erzählen. Die eigenwillige Musikerin starb 1959, ihr 44-jähriger Körper war durch Langzeit-Drogenkonsum zerstört. Lipnack Kuehl hatte stundenlange Interviews mit unzähligen Kol­le­g:in­nen (wie Tony Bennett, Count Basie, Jo Jones) und Freun­d:in­nen Holidays geführt, dabei kistenweise Kassetten gesammelt.

„Billie – Legende des Jazz“. Regie: James Erskine. Großbritannien, 97 Min.

Lipnack Kuehl starb jung im Jahr 1978, noch vor Vollendung ihres Buches. Ihre Gespräche und Manuskriptteile gerieten an den britischen Dokumentarregisseur James Erskine. Der von ihm mit zurückhaltend bebilderten Interviews, Originalmaterial und Fotos collagierte Dokumentarfilm „Billie“ kann also das Leben Holidays nur über Bande spielen – einerseits gespiegelt durch Lipnack Kuehl, der weißen Journalistin, und andererseits durch Erskine, den weißen britischen Regisseur.

Trotz dieser Ambivalenz ist „Billie“, dessen Material teilweise bereits in Biografien zitiert wurde, ein aufschlussreicher Film: Vor Lipnack Kuehls Mikrofon demonstriert ein Ex-Zuhälter Holidays seinen unfassbaren Frauenhass, wenn er sagt: „Na ja, man musste ihr eine runterhauen, damit sie gut arbeitet. Sie war stolz auf das Veilchen!“ „Warum“, hört man die Stimme der Feministin Lipnack Kuehl fragen. „Sie wollte hart angefasst werden“, erklärt der Pimp überzeugt.

Lipnack Kuehl, der ihre weiße Sprecherinnenhaltung bewusst war, thematisiert das Blackfacing, dem die hellhäutige Holiday nach einigen Angaben bei einer Tour durch die Südstaaten zum Opfer fiel. Ein langer Komplex behandelt den Song „Strange Fruit“, Holidays nach einem Text von Abel Meeropol erhobene Anklage gegen die Lynchjustiz. Und sämtliche In­ter­view­part­ne­r:in­nen bestätigen die damalige rassistische Stimmung, an der sich viel zu wenig geändert hat.

Frauenhass und Rassismus

Von Holiday selbst hört man ansonsten naturgemäß vor allem Musik. Anders als der 2021 gestartete Spielfilm „The United States vs Billie Holiday“, der eine fiktive, persönliche Annäherung versucht, bleibt die Künstlerin selbst im auf „Hearsay“ bauenden Dokumentarfilm zwar präsent, aber enigmatisch. Sie habe in ihrer vulgären Art philosophiert, erklärt ein Kollege, sie habe ihn immer „Motherfucker“ genannt, ein anderer.

Die Magie ihrer Stimme und der Hang zum Masochismus, beides von den Fans gepriesen, fasst jemand so zusammen: „Wenn Ella Fitzgerald singt ‚My man’s gone‘, denkt man, er geht nur ein Brot kaufen. Wenn Billie das singt, sieht man den Mann mit gepacktem Koffer die Straße hinunterlaufen.“

Dass Erskine sich entschlossen hat, auch Lipnack Kuehl sichtbar, ihre fragende Stimme hörbar zu machen, aktuelle Gespräche mit ihrer Schwester sowie Filmaufnahmen der vermutlich durch Selbstmord verstorbenen Lipnack Kuehl zu benutzen, ist konsequent: Erskine arbeitet mit fremdem Material. Es nur zu verwerten, wäre schlechter Stil.

Die Parallele, die er zwischen der Journalistin und der Bluesmusikerin knüpft, wenn er die Vermutung anklingen lässt, Linda habe sich mit Billie identifiziert, ist – vor allem durch kitschige Geigenuntermalung – allerdings reine Küchenpsychologie. Kurz vorher hatte ein Arzt behauptet, Billie sei eine „impulsgetriebene Psychopathin“ gewesen. Da kommt dann doch etwas zu viel männliche Ferndiagnose zusammen.

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