Clint Eastwoods „Cry Macho“ im Kino: Wenn Marmorblöcke weinen

Clint Eastwoods Film „Cry Macho“ ist ein ironisches Spätwerk – eine Meditation über die Sorte Mann, die er in seinen Rollen oft verkörpert hat.

Clint Eastwood im Cowboy-Look mit einem Pferd im Gehege.

Ein Gesicht, über dessen Falten auch Tränen laufen können: Clint Eastwood in „Cry Macho“ Foto: Warner Bros.

Der endlose Himmel über Mexiko, ein tiefschwarzer Wüstenboden, das Firmament eine Verwandlung von Rot- zu Blautönen, dann eine dunkle Silhouette. Die spitze Nase, das ungeordnete Haar und der breitkrempige Hut. Clint Eastwood bereitet sich ein Nachtlager im Freien, und als er sich zum Schlafen in den Sand legt, verbindet sein Profil für einen Moment lang oben und unten, Himmel und Erde, bis er zurücksinkt und in der Linie des Horizonts verschwindet.

Es ist eine der simpelsten und deswegen auch schönsten Einstellungen aus seinem großartigen Alterswerk „Cry Macho“. Sie fasst zusammen, was Eastwood in seiner mittlerweile fünfzigjährigen Regiekarriere wie kein Zweiter vermag.

Eine markante Gestalt zwischen leuchtendem Äther und tiefer Finsternis. Ein Umriss, dessen Charakterzeichnungen vom grundlegendsten Widerspruch filmischer Bilder angestoßen werden, wie schon Sergej Eisenstein wusste, vom Unterschied zwischen Hell und Dunkel, von Licht und Schatten. Der durch diese ambivalente Flächigkeit geradezu prädestiniert dafür ist, die Leinwände zu bewandern. Der als namenloser Fremder, als wortkarger Antiheld, allen Gegensätzen des modernen US-amerikanischen Kinos durch minimalen Aufwand eine Form zu geben weiß, durch das Zucken eines Mundwinkels, das Aufglimmen der Augen im Zwielicht, durch einen lakonischen Einzeiler.

Eine Silhouette, die zerfurcht und kristallklar zugleich ist, wie die Oberfläche des Kontinents, auf dem sie sich bewegt. Als sich Eastwood im mexikanischen Wüstensand ausstreckt, wirkt das einen Moment lang wie eine Sterbeszene und meint doch das Gegenteil: ein Beispiel, wie das Kino trotz seiner mediengeschichtlichen Bedrängnis unermüdlich mit der Gegenwart korrespondiert.

„Cry Macho“. Regie: Clint Eastwood. Mit Clint Eastwood, Dwight Yoakam u. a. USA 2020, 104 Min.

Denn „Cry Macho“ ist eine Meditation über jenen Typ Mann, den Eastwood so oft in seiner Karriere verkörpert hat, der ihm nicht selten den Vorwurf des Machismo eingebracht hat, das, was man heute toxische Männlichkeit nennt. Eastwoods Michael Milo ist ein gealterter Rodeoreiter, der seine Schulden bei einem Rancher damit begleichen soll, dessen mexikanischen Sohn ausfindig zu machen und über die Grenze nach Texas zu schaffen.

Unterschiedliche Männlichkeitsideale

Der Sohn ist ein Tunichtgut, der auf illegalen Hahnenkämpfen seinen Gockel „Macho“ in die Manege treibt und den er nicht zurücklässt. Fortan sitzt man also zu dritt im Wagen, der junge Mexikaner und der 91-jährige Gringo mit ihren unterschiedlichen Männlichkeitsidealen, Wünschen, Hoffnungen – und der zeternde Hahn. Die Dialoge im Originalton wissen sehr genau um den phallischen Subtext, der da als „cock“ namens „Macho“ zwischen den beiden Figuren umherflattert.

Das inszeniert Eastwood mit der für ihn seit ein paar Jahren typischen, feinen Selbstironie. Doch solche Doppelbödigkeit ist bei genauerer Betrachtung gar kein so großes Novum in seinem Werk. Auch in der schnörkellosesten, scheinbar einfachsten Form wird aus dem Gegensatz von Hell und Dunkel notwendigerweise ein Kaleidoskop aller Schattierungen, die dazwischen entstehen können.

Eastwoods Männerrollen, das waren im besten Falle niemals nur monolithische Felsen in der Brandung, sondern projizierte Erscheinungen an den Grenzbereichen von Gut und Böse, schemenhafte Heimsuchungen, die niemand so recht platzieren oder eigenen Zwecken dienstbar machen konnte. Das bestätigte auf eine Art auch seine entschiedenste Kritikerin.

Es bleibt zu hoffen, dass Clint Eastwood noch weiter drehen wird

Die große Pauline Kael, auf die zwar das Bonmot zurückgeht, gutes Kino solle sein Publikum niemals mit einem Gefühl der Tugendhaftigkeit aus dem Saal entlassen, hatte zeit ihres Lebens ein Hühnchen mit Eastwood zu rupfen – ob seines Schauspiels oder dessen, was Eastwood vermeintlich ideologisch zu vertreten schien.

Rüstung mit geschlossenem Visier

Sergio Leone, dessen sogenannte Dollar-Trilogie Eastwood in den Sechzigern den Weg zum Starruhm geebnet hatte, resümierte über seinen Hauptdarsteller, Eastwood beginne sein Schauspiel von einem „Marmorblock“ aus, von dem er in eine „Rüstung mit geschlossenem Visier“ übersteige. Kael griff diesen Punkt dankend auf. Ihre Spitzen gegen Eastwood offenbarten aber bisweilen, ob bewusst oder unbewusst, doch beinahe etwas wie ein Kompliment.

So schreibt sie 1985 im New Yorker, Eastwoods Idee von Männlichkeit sei etwas, das stets „vorgetäuscht sei“, also jenem Marmorblock erst künstlich abgearbeitet werden müsse. Die Männergesichter Eastwoods waren in diesem Sinne keine naturalisierten marmornen Massive, sondern marmorschimmernde Luftspiegelungen.

Sein erster Achtungserfolg als Regisseur war der phantasmagorische Spätwestern „High Plains Drifter“ aus dem Jahre 1973. Bei Eastwoods namenlosem Fremden handelt es sich offensichtlich um eine tyrannische Geistererscheinung, die das korrupte Establishment einer Kleinstadt terrorisiert, ihre Häuser über Nacht blutrot streicht und das Ortsschild gleich zu „Hell“ umtauft: der wilde Westen als Höllenvision.

Diese Affinität zur charakterlichen Ambiguität muss Eastwoods Mentoren und Förderern, Sergio Leone und Don Siegel, immer bewusst gewesen sein. Beide Filmemacher verorteten sich politisch eher links, beide übten stilistisch und in ihrer Arbeitsweise großen Einfluss auf Eastwoods eigene Regiearbeiten aus. Als „Unforgiven“ Clint Eastwood 1992 schließlich ernsthaftes Renommee als Filmkünstler einbrachte, dort verfällt er erst in den letzten Minuten des Films in eine grimmige Rächerrolle, widmete er den Film „Sergio und Don“.

Zynischer, amoralischer Ton

Siegel, der aus einer jüdischen Chicagoer Familie stammte, hatte sich in den Vierzigern über seine Schnitttätigkeit zum Regisseur gering budgetierter B-Pictures hochgearbeitet. Sie erforderten schnelle, effiziente Drehs und korrespondierten in ihrem zynischen, amoralischen Ton kongenial mit ihren bescheidenen Produktionsbedingungen.

So setzte 1954 sein „Riot in Cell Block 11“ maßgebliche Impulse für den Gefängnisfilm, während „Invasion of the Body Snatchers“ von 1956 die in den USA grassierende Paranoia vor kommunistischer Unterwanderung als bizarre Farce kenntlich machte. Don Siegel war es auch, der die bis heute kontroversesten Filme aus Eastwoods Schauspielerkarriere inszenierte, „Dirty Harry“ und „The Beguiled“, beide aus dem Jahr 1971.

Mit „Dirty Harry“ gelang Eastwood der Sprung zum Superstar, seine Darstellung des Detective Harry Callahan mit Hang zur Selbstjustiz zog aber auch den Verdacht auf sich, eine reaktionäre Fantasie zu sein. Am prominentesten äußerte sich hier wiederum Pauline Kael. Callahan, der im in satten Farben fotografierten San Francisco einen als psychotischen Hippie gezeichneten, an den Zodiac-Killer angelehnten Antagonisten jagt, schien die perfekte Allegorie eines konservativen Backlash gegen die liberalen Spätsechziger abzugeben. Eine naheliegende Interpretation, die doch zu kurz greift.

Dienstmarke im Wasserloch

Die Gegenkultur der Sechziger war mittlerweile von sich aus in ein Klima der Gewalt abgerutscht, man denke an die Manson-Morde oder auch den Tod eines Schwarzen Konzertgängers bei der Tragödie des Altamont Free Concert. Die Figur des Harry Callahan hingegen schwört am Ende von Siegels Film dem Polizeidienst ab, versenkt ihre Dienstmarke in einem Wasserloch.

Nicht minder gespalten wurde seinerzeit „The Beguiled“ aufgenommen. Eastwoods verletzter Unionssoldat, dem Unterschlupf in einem abgelegenen Mädchenpensionat der Konföderierten gewährt wird, katalysiert sehr schnell eine Konkurrenz des Begehrens unter den Bewohnerinnen und zuletzt einen Kampf der Geschlechter.

Der vermeintlich progressive Unionist entpuppt sich dabei nicht nur als sexuell übergriffiger Rassist, Eastwood geht atypisch für einen actionversierten leading man der Zeit den gesamten Film über auf Krücken – und irgendwann nur noch auf einem Bein. Sofia Coppolas entpolitisiertes Remake von 2017 unterschlägt sowohl den Rassismus der Hauptfigur und tilgt im Unterschied zu Siegels Version auch die einzige Schwarze aus der Erzählung.

Himmel, Landschaft, ein Auto

In „Cry Macho“ rupft Eastwood nun schließlich selbst ein Hühnchen mit dem Vermächtnis seiner Macho-Rollen. Es ist aber auch ein Film, mit dem Eastwood erneut beweist, dass sich die Überschaubarkeit der Mittel – Himmel, Landschaft, ein Auto, ein ungleiches Paar – in einen viel größeren Reichtum ästhetischer Erfahrung verwandeln lässt. Don Siegel wäre stolz auf seinen Schüler gewesen.

Die Perspektive auf Mexiko in Eastwoods Film erinnert in Momenten auch an Luis Buñuel und Sam Peckinpah, für die beide das Land an spezifischen Punkten ihrer Karriere zum filmischen Sehnsuchtsort wurde.

Es bleibt zu hoffen, dass Eastwood noch weiter drehen wird, ganz gleich, ob nördlich oder südlich der mexikanischen Grenze. Sollte er es nicht tun, so ließe sich mit „Cry Macho“ gebührend an den Filmemacher und Schauspieler Clint Eastwood erinnern. Als markante, dunkle Silhouette vor dem leuchtenden Abendhimmel.

Oder, das ist eine der anderen großartigen Einstellungen des Films, als verschüchtert Verliebter, aller Machismo scheint von ihm abgefallen, der in einem mexikanischen Barraum mit seiner Partnerin vor der Jukebox tanzt. Ob da womöglich eine Träne im Augenwinkel ist, lässt sich im Zwielicht nicht ausmachen.

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