Übersehener Rassismus: „Naja, aber er ist nicht PoC“

Wenn Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen nicht als PoC gelesen werden, spricht man ihnen ihre Rassismuserfahrungen ab.

Eine asiatisch gelesene Person hält ein Schild in der Hand mit der Aufschrift "Passive Asians my a*se!"

Von wegen zurückhaltend und gehorsam – Asia­t:in­nen haben die Schnauze voll Foto: dpa / May James

Das Wahltagebuch beleuchtet die Bundestagswahl aus Sicht des Wahl-Camps der taz Panter-Stiftung.

Wir sitzen mal wieder im Wahlcamp im Kreis und überlegen, welche spannenden Interviewpersonen als Nächstes in unsere Texte aufgenommen werden sollen, bevorzugt PoC, als der Name Quang Paasch fällt. Ein Blick auf seinen Instagramaccount verrät mir, dass er jung, aktivistisch und dynamisch ist. Ich will Zustimmung einbringen, als plötzlich in der Runde der Satz fällt: „Naja, aber er ist nicht PoC“.

Irgendwie überrascht mich dieser Satz nicht, trotzdem reagiere ich automatisch gereizt. Ein Blick auf Paaschs Foto genügt, um zu sehen, dass er asiatisch gelesen ist. Im Internet lese ich, dass seine Eltern aus Vietnam kommen. Daher ist mein erster Impuls, zu sagen: Natürlich ist Quang Paasch PoC.

Aber mein Impuls ist übergriffig. Denn PoC ist eine Eigenbezeichnung, und in der Abwesenheit von Paasch über seine Bezeichnung zu diskutieren, ignoriert seinen Willen, selbst bestimmen zu dürfen, wie er wahrgenommen und gelesen werden möchte. Nicht jede Person ist d'accord mit dem Term „PoC“.

Trotzdem möchte ich als Japanerin auch erklären, warum ich allergisch reagiere, wenn Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen nicht als PoC gesehen werden.

Vereint in unangenehmen Erfahrungen

Der Begriff PoC kommt aus dem Englischen und steht für die Abkürzung Person/People of Color. Wie viele andere auch, dachte ich lange Zeit, dass der Begriff PoC Schwarzen vorbehalten sei. Dem ist aber nicht so. Für spezifische Erfahrungen von schwarzen und indigenen Menschen gibt es den Begriff BIPoC. Als PoC hingegen kann sich jede Person bezeichnen, die in einer Mehrheitsgesellschaft Rassismus und Ausgrenzung erlebt hat.

Zunehmend häufiger werden in der westlichen medialen Berichterstattung Rassismus und rassistische Strukturen gegenüber Schwarzen thematisiert. Und das ist auch gut so. Medien und die Unterhaltungsbranche sorgen noch immer dafür, dass Schwarze, La­tein­ame­ri­ka­ne­r:in­nen und West­asia­t:in­nen als potenzielle Bedrohung und Gefahr dargestellt werden.

Demgegenüber werden Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen als brave Vorzeigebeispiele präsentiert. Ihnen wird häufig die elitäre, strebsame und akademische Charaktereigenschaft zugeschrieben. Die Herkunftsnationen gelten auch aufgrund von popkulturellem und kulinarischem Hype als exotische und aufregende Reiseziele. In den meisten Fällen sind es Positivbeispiele, die mit diesen Herkunftsländern und somit den Menschen verknüpft werden.

Diese in westlichen Nationen stark ausgeprägte Wahrnehmung gegenüber Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen wird in der englischen Sprache als Model Minority Myth bezeichnet. Dieser Mythos des strebsamen Musterschülers ist toxisch für Betroffene, da ihnen ein Image aufgedrückt wird, dem sie nicht entsprechen wollen oder können. Gleichzeitig weckt dieses Image von Asia­t:in­nen den Eindruck, dass sie weniger von Rassismus betroffen seien als andere, da es ihnen „gut ginge“. Dabei ist Rassismus auch für sie Alltag, er wird bloß übersehen.

Eine Welle von Hass

Im Frühjahr 2020, als die ersten Coronafälle bekannt wurden, häuften sich Sätze von weißen Menschen wie „Keine WG-Besichtigung für Asiaten“. Europäische Zeitungen betitelten die Coronapandemie als „Gelbe Gefahr“, asiatisch gelesene Menschen wurden angegriffen, beschimpft und ihnen wurde die Aufnahmeprüfung zu einer Berliner Musikhochschule verweigert. Die Medien verstärkten den rassistischen Effekt, indem sie bei der Bildauswahl zu Berichterstattungen über das Coronavirus Bilder von Ost­asia­t:in­nen verwendeten.

Um diesem entgegenzuwirken, mussten Initiativen wie #IchBinKeinVirus ins Leben gerufen werden, die Hilfe für Betroffene und Aufklärungsarbeit leisteten. Die Grün­de­r:in­nen wiederum waren sehr viel Hass und Beleidigung im Netz ausgesetzt, weshalb die Initiative beschloss, das Projekt vorerst zu beenden.

Als sei der Rassismus, dem diese Menschen ausgesetzt sind, nicht problematisch genug, findet das Thema in der Mainstream-Medienlandschaft kaum Beachtung. Dabei hat der Hass gegenüber Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen nicht erst mit der Coronapandemie begonnen, sondern fand auch schon vorher statt. Die europäische Bezeichnung der „Gelben Gefahr“ gibt es seit Ende des 19. Jahrhunderts.

Der rassistische Angriff in Hamburg-Billbrook blieb lange Zeit unsichtbar und stand nie im Mittelpunkt, bis sich einzelne Jour­na­lis­t:in­nen diesem Thema annahmen, Podcasts und Artikel schrieben und darauf aufmerksam machten. Rostock-Lichtenhagen hingegen ist bekannter, aber nicht je­de:r weiß, gegen wen es sich gerichtet hat.

Die Rede ist von Angriffen auf Geflüchtetenheime, rassistische Polizeigewalt und Mord. Und selbst, wenn die Fälle nicht medial aufgegriffen werden, sind Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen stets Beleidigungen, Beschimpfungen und rassistischen Anfeindungen ausgesetzt, begonnen in der Schule.

Empörung bleibt aus

Trotzdem interessiert das alles kaum jemanden. Während Protestbewegungen zu Black Lives Matter auch hierzulande in Form von Demonstrationen und Plakaten Wellen schlugen, blieb im Frühjahr dieses Jahres die Empörung über den Vorfall von Atlanta aus. Das rassistische und stereotypisierende Motiv des Täters, also der gezielte Mord an asiatischen Frauen, wurde zunächst sogar in Frage gestellt.

Warum? All das ist darauf zurückzuführen, dass der Mythos hartnäckig erhalten bleibt, Asia­t:in­nen „ginge es ja gut“, ergo, sie „können nicht von Rassismus betroffen sein“. Aber dieser Umgang hat Konsequenzen.

Es führt dazu, dass Menschen mit ihren Rassismus- und Diskriminierungserfahrungen alleine bleiben und sich zum Beispiel auch nicht trauen, den Begriff PoC für sich zu beanspruchen. Oder dass weiße Menschen ankommen und Sätze fallen lassen können wie „Person XYZ ist keine PoC“ – weil mit PoC andere Diskriminierungserfahrungen verbunden werden und die Diskriminierungen von Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen nicht „ausreichend“ sind.

Möchten wir wirklich einen respektvollen Umgang miteinander pflegen, wird es Zeit, den Rassismus wahrzunehmen, den Ost- und Süd­ost­asia­t:in­nen erfahren. Es wird Zeit, dass Worte wie „Schl**auge“, „Chin***“ oder „Jap**“ nicht mehr in den Mund genommen und Witze über Augen, Penisse, andere Körperteile oder sprachliche Akzente scharf angegangen werden. Die hartnäckige Stereotypisierung der Geschlechter – Frauen als exotisch, erotisch und unterwürfig, Männer als nerdig, karrieregeil oder Kampfsportler – müssen aufgebrochen werden. Asia­t:in­nen müssen endlich mitgezählt und mitgedacht werden, wenn von PoC die Rede ist.

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In Tokyo und Hamburg aufgewachsen, Auslandsjahr in Shanghai. Studium in Berlin, Chongqing und Halle. Schreibt seit 2021 für die taz. Kolumnistin des feministischen Magazins an.schläge (Foto: Hella Wittenberg)

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