: Eine unernste Debatte über das wichtigste Thema
Das Thema Klimaschutz wurde im Triell nur oberflächlich behandelt. Wie groß die Aufgabe ist und wie unzureichend die Lösungsvorschläge, wurde nicht ansatzweise sichtbar
Aus Berlin Ulrich Schulte
Die Welt brennt, die Lage ist todernst. Wir werden Kriege um Wasser erleben, Hungersnöte und ganz neue Flüchtlingsbewegungen. Deutschland wird anders aussehen, als wir es jetzt kennen. Der Wald wird verdorren, er vertrocknet jetzt schon im Harz, im Schwarzwald und anderswo. Stattdessen wird es mehr Steppen geben. Wir werden Flutkatastrophen wie die in NRW und Rheinland-Pfalz, bei der über 180 Menschen starben, öfter beobachten, als wir uns jetzt vorstellen können. Unterlassene Klimaschutzpolitik tötet.
Sind solche Sätze unsagbar?
Es scheint so. Beim TV-Triell, das am Sonntagabend in ARD und ZDF ausgestrahlt wurde, hat sich keiner der drei KandidatInnen getraut, die Tödlichkeit der Klimakrise angemessen zu beschreiben. Weder Armin Laschet noch Olaf Scholz, und auch die Grüne Annalena Baerbock, die dafür am ehesten infrage gekommen wäre, hat es nicht getan. Es war traurig anzuschauen, wie am Großthema des 21. Jahrhunderts vorbeigeredet wurde. Und die 95-minütige Nicht-Debatte steht Pars pro Toto für den ganzen Bundestagswahlkampf. Draußen tobt die Klimakrise, aber die Parteien in Deutschland diskutieren wie hinter einer Wand aus Milchglas.
Das liegt auch am Versagen mancher JournalistInnen, die daran scheitern, das Thema angemessen zu bearbeiten. ARD-Chefredakteur Oliver Köhr und die ZDF-Journalistin Maybrit Illner fielen sich so oft ins Wort, als hätten sie sich kurz vor der Sendung zum ersten Mal gesehen. Köhr startete den Punkt Klimaschutzpolitik mit der Feststellung, dass die Klimawende mindestens so teuer werde wie die deutsche Einheit. Braucht es einen Klima-Soli? In dem Stil ging es weiter. Wann sagen Sie den Deutschen, dass es richtig teuer wird? Wo ist die Grenze beim Spritpreis?
Wer zuhörte, konnte auf den Gedanken kommen, dass günstiges Benzin ein in der Verfassung verankertes Menschenrecht sei. Damit war das Framing gesetzt: Klimaschutz ist vor allem teuer. Schöner lässt sich das Dilemma der klimaschutzpolitischen Debatte in Deutschland kaum beschreiben. Ob es der Spin der Bild-Zeitung ist, man müsse sich die Pläne der Grünen leisten können, oder die von Baerbock Anfang Juni angestoßene Debatte über Spritpreiserhöhungen von 16 Cent, die führende Groko-Politiker skandalisierten, obwohl sie Ähnliches selbst beschlossen hatten: Stets wird der Eindruck erweckt, es gehe den Deutschen ans Portemonnaie. Diese Setzung ist gefährlich, weil sie auch bei ärmeren Menschen verfängt.
Dabei ist es genau andersherum. Es darf nicht mehr darum gehen, wie teuer Klimaschutz wird. Entscheidend ist, wie teuer kein Klimaschutz wird. Ein paar Fragen dazu hätten dem Ganzen die angemessene Ernsthaftigkeit gegeben. Die Kosten für unterlassenes Handeln in der Klimakrise sind immens, und sie werden steigen. Allein die Flutschäden dieses Jahres belaufen sich auf 30 Milliarden Euro. Nach dem Dürresommer 2018 zahlte der Bund 228 Millionen Euro staatliche Nothilfe an in ihrer Existenz bedrohte Bauern.
Die Liste ließe sich verlängern, und das ist nur der Anfang. Die Klimakrise ist ja keine Krise, die irgendwann wieder in die alte Normalität mündet. Sie wird immer schlimmer, und es geht nur noch darum, das Ausmaß des Schlimmen so zu begrenzen, dass die Menschheit sich anpassen kann. Diese dauerhafte, nicht mehr zu stoppende Eskalation wird von CDU, CSU und SPD noch nicht ausreichend verstanden. Armin Laschets entscheidender Satz mit Blick auf die Autoindustrie und andere Firmen war: „Wir müssen die jetzt auch mal machen lassen.“
Darin steckt der naive Kinderglaube, dass marktgetriebene Innovation uns alle rettet – sich der Kapitalismus also von selbst heilt und klimaneutral macht. Wenn es nicht so traurig wäre, man müsste darüber lachen. Auch Olaf Scholz sagte einen Schlüsselsatz vor einem Millionenpublikum, nämlich den, dass der richtige Weg „der moderate Weg“ sei. Dieses Narrativ ist taktisch klug, weil es ein Grundgefühl der Deutschen bedient. Bitte nicht radikal werden, immer schön in der Mitte bleiben. Merkel verkörperte diese Sehnsucht par excellence, Scholz empfiehlt sich erfolgreich als ihr Erbverwalter.
Aber auch das bundesdeutsche Modell der ewigen Moderation, das Austarieren aller Interessen auf der Suche nach einer Balance, wird der Klimakrise nicht gerecht. Die Physik verhandelt nicht, sie funktioniert nicht wie eine Tarifverhandlung zwischen ArbeitgeberInnen und Gewerkschaften. Sie erfordert schnelle, entschiedene Aktionen, und weder Laschet noch Scholz scheinen dazu bereit zu sein. Der „moderate Weg“, den die Groko einschlug, hat hinten und vorne nicht gereicht. So blieb nach diesem Triell die ernüchternde Erkenntnis, dass das wichtigste Thema dieser Zeit mit einem seltsamen Unernst behandelt wurde.
Millionen BürgerInnen sind nicht nur nicht wirklich klüger geworden, sie dürften erst gar nicht verstanden haben, worum es in Wirklichkeit geht. Daran konnte auch Baerbock nichts ändern, die in der knapp bemessenen Zeit am ehrlichsten argumentierte. Während sich die Herren von CDU und SPD beharkten, blieb sie ruhig, antwortete präzise und übernahm dann noch den Job der überforderten ModeratorInnen, indem sie fragte, ob Laschet und Scholz denn früher aus der Kohle aussteigen würden. Für Antworten blieb leider keine Zeit, denn da war schon der Mietendeckel dran.
Keine Partei hat zur Bundestagswahl ein Programm vorgelegt, mit dem die deutschen Klimaschutzziele für 2030 sicher erreicht werden können. Das hat das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung kürzlich ermittelt – und selbst dieses Ziel reicht nicht aus, um einen fairen Anteil Deutschlands für das Einhalten der 1,5-Grad-Grenze zu leisten. Das heißt: Eigentlich müssten Medien erbarmungslos auf diesen Skandal hinweisen. Man müsste Olaf Scholz fragen, was er dagegen zu tun gedenkt, dass Hamburg im Jahr 2070 überflutet ist.
Und das Triell? Vielleicht muss man grundsätzlich neu über dieses Fernsehformat nachdenken, das zu jedem Wahlkampf gehört – und dem in der politmedialen Öffentlichkeit eine absurde Wichtigkeit beigemessen wird. Aber ein Parforceritt, bei dem die ModeratorInnen von Thema zu Thema hetzen, hat kaum aufklärerischen Charakter. Nichts wird vertieft, alles bleibt an der Oberfläche – und ZuschauerInnen, die sich selten mit Politik beschäftigen, dürften hilflos vor dem Fernsehschirm sitzen, verloren in der Schlagwort-Hölle.
Links lesen, Rechts bekämpfen
Gerade jetzt, wo der Rechtsextremismus weiter erstarkt, braucht es Zusammenhalt und Solidarität. Auch und vor allem mit den Menschen, die sich vor Ort für eine starke Zivilgesellschaft einsetzen. Die taz kooperiert deshalb mit Polylux. Das Netzwerk engagiert sich seit 2018 gegen den Rechtsruck in Ostdeutschland und unterstützt Projekte, die sich für Demokratie und Toleranz einsetzen. Eine offene Gesellschaft braucht guten, frei zugänglichen Journalismus – und zivilgesellschaftliches Engagement. Finden Sie auch? Dann machen Sie mit und unterstützen Sie unsere Aktion. Noch bis zum 31. Oktober gehen 50 Prozent aller Einnahmen aus den Anmeldungen bei taz zahl ich an das Netzwerk gegen Rechts. In Zeiten wie diesen brauchen alle, die für eine offene Gesellschaft eintreten, unsere Unterstützung. Sind Sie dabei? Jetzt unterstützen