Drittimpfung in Israel: AHA vor Drittimpfung

Die Zahl der Neuinfektionen steigt. Die Drittimpfungen nehmen Fahrt auf. An die Hygieneregeln hält sich kaum jemand.

Eine Frau mit schutzschirm testet einen kleinen Jungen, der den Mund aufreißt

Coronatestung in Tel Aviv Foto: Oded Balilty/ap

Erst Musterschüler in der Virusbekämpfung, dann Impfweltmeister: Kein Land der Welt hat seine Bevölkerung so schnell impfen lassen wie Israel. Trotzdem grassiert die Delta-Variante heftig im Land. Studien zeigen: die Wirkung der Impfung lässt mit der Zeit nach. Seit knapp zwei Monaten verzeichnet Israel, das sich im Sieg gegen das Virus lange Zeit sicher wähnte, einen Anstieg von Neuerkrankungen, schweren Verläufen und Todesfällen. Jeden Tag erkranken etwa 6000 Menschen.

Prognosen von Ge­sund­heits­ex­per:­tin­nen für die kommenden Wochen fallen düster aus. Trotzdem setzt die Regierung alles daran, einen Lockdown während der hohen jüdischen Feiertage Anfang September zu verhindern und das neuen Schuljahr nicht über Zoom starten zu lassen. Als Reaktion auf den Anstieg begann Israel vor zwei Wochen mit Boosterimpfungen für ältere Menschen.

Von 9,3 Millionen Israelis haben wurden bereits über eine Million eine dritte Impfung erhalten, schon will man die Drittimpfung für Impfwillige aller Gruppen zur Verfügung stellen. Israelischen For­sche­r:in­nen zufolge schütze diese zu beinahe 90% vor Erkrankung und Schwerverlauf. Das ist zwar erfreulich, wirft aber Legitimitätsfragen auf globaler Ebene auf. Die WHO rät von Boosterimpfungen vorerst ab und fordert Vorrang für Länder, in denen die Impfrate noch niedrig ist.

„Es ist kompliziert“, so der israelische Konsens auf Twitter. Dan Turner, stellvertretender Direktor eines führenden Krankenhauses in Jerusalem, verkündete, auf eine dritte Dosis zu verzichten. Seine Einstellung teilen hier nicht viele: der Schutz der eigenen Bevölkerung habe Priorität. Das Paradox ist: Im israelischen Alltag ist von Corona wenig zu spüren. In Nachtclubs kontrollieren Türsteher Impfpässe und bestehen beim Eintritt pro forma auf Maskenpflicht.

Kaum ist man drin, setzt man sie ab und tanzt eng aneinander gedrängt. Bei Theatervorführungen rutscht dem Publikum die Maske gerne aufs Kinn und bleibt dort. Keiner will so richtig wahrhaben, dass das Virus zurück ist. Statt Disziplin zu zeigen, genießen die Israelis ihren Sommer in vollen Zügen, zu groß ist die Angst vor einem weiteren Lockdown. Bevor sich die Regierung auf Drittimpfungen stürzt, sollte man zunächst dafür sorgen, Schutzmaßnahmen in der eigenen Bevölkerung durchzusetzen.

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