Coronamaßnahmen in Berlin: Der lange Weg zur Normalität

Berlins Amtsärztinnen wollten die Quarantäneregeln für Schulen lockern. Dem Senat ging das jedoch zu weit. Fällt das Auf- schwerer als das Zumachen?

Amts­ärz­t*in­nen und Gesundheitssenatorin sind uneins über Schulmaßnahmen Foto: dpa

Vermutlich gehört es zu einer Pandemie, dass man viele Schritte zum ersten Mal macht. Wie Lockdown geht, wissen wir inzwischen, dafür gibt es jetzt ein, zwei Blaupausen, auf die man bei Bedarf (hoffentlich nicht so schnell) wieder zurückgreifen kann. Was deutlicher schwerer fällt als das Zu- ist das Aufmachen. Da befinden wir uns immer noch auf dem langen Weg zurück zur Normalität.

Dass diese Normalität vermutlich noch lange eine mit Corona sein wird, hatten die zwölf AmtsärztInnen der Bezirke im Blick, als sie vergangenes Wochenende einen gemeinsamen Beschluss fassten: Sie wollten die Quarantäne für Schul- und Kita-Kinder abschaffen, die Kontakt zu Infizierten hatten. Im Klartext: Der Sitznachbar einer positiv getesteten Schülerin solle nicht mehr zu Hause bleiben müssen.

Die Gründe der AmtsärztInnen: Erstens könne man so Klassen und Kita-Gruppen offen halten und müsse die Schü­le­r*in­nen nicht ins (für viele Kinder und Familien belastende) Homeschooling schicken. Zweitens sei inzwischen klar, dass erstens Kinder in der Regel weniger schwere Krankheitsverläufe hätten und zweitens vulnerable Gruppen längst doppelt und bald dreifach geimpft seien.

Man müsse also nicht davon ausgehen, dass diese auf absehbare Zeit noch ungeimpfte junge Altersgruppe, mit deren „sicherer Ansteckung“ angesichts der Deltavariante ohnehin zu rechnen sei, das Gesundheitssystem überlaste.

Der Aufschrei war

erwartbar groß

Der Aufschrei war erwartbar groß: Die AmtsärztInnen wollten lieber die Durchseuchung der Kinder in Kauf nehmen, statt ordentlich Kontaktnachverfolgung zu betreiben, hieß es von Elternverbänden. Wieder würden die Folgen der Pandemie zulasten der Schwächsten gehen. Die wahlkämpfende Franziska Giffey (SPD) sprang ihnen bei, einen solchen Schritt könne man sich jetzt nicht leisten.

Am Ende habe man, sagte Gesundheitssenatorin Dilek Kalayci (SPD) mit dezenter Häme in Richtung der AmtsärztInnen, die Dinge im Senat „zurechtgerückt“. Die Quarantäne in Schulen und Kitas wurde nicht aufgehoben, aber von 14 auf 5 Tage verkürzt.

Die Argumentation der AmtsärztInnen war in sich durchaus logisch: Es stimmt, dass Kinder in aller Regel nicht im Krankenhaus landen. Und die Krankenhausauslastung ist, mit dem Inzidenzwert und der Intensivbettenbelegung, immerhin der zentrale Indikator, an dem Berlin künftig, wie ebenfalls am Dienstag im Senat beschlossen, sein Coronamanagement ausrichten will. Und es stimmt auch: Die vulnerablen Gruppen, die Omas zu Hause, sind mit hoher Wahrscheinlichkeit längst geimpft.

Und doch ist da natürlich, neben der Ratio, noch die emotionale Seite: Der Sitznachbar eines positiv getesteten Mitschülers soll einfach weiter neben meinem Kind in der Mensa sitzen – das dann zum kleinen, ebenfalls nicht geimpften Geschwisterkind nach Hause kommt? Die Überlegung der ÄrztInnen war logisch, aber der Schritt wäre vielleicht tatsächlich ein (zu) großer gewesen.

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Seit 2011 bei der taz. Leitet gemeinsam mit Sunny Riedel das Ressort taz.eins. Hier entstehen die ersten fünf Seiten der Tageszeitung, inklusive der Nahaufnahme - der täglichen Reportage-Doppelseite in der taz. Davor Ressortleiterin, CvD und Redakteurin in der Berliner Lokalredaktion. Themenschwerpunkte: Bildungs- und Familienpolitik.

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