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Urteil über Alpaka mit RindertuberkuloseGeronimo muss sterben

Das Alpaka Geronimo hat das englische Sommerloch gut gefüllt – schon seit Jahren. Jetzt ist es der Vernunft zum Opfer gefallen.

Lässiges Kauen bis in den Tod: Geronimo Foto: Andrew Matthews/ap

Die Empörung ist groß: Das Alpaka Geronimo ist nach jahrelangem Streit am Dienstag vom britischen Agrarministerium unter Polizeischutz beschlagnahmt und kurz darauf eingeschläfert worden. Berichten zufolge wurde dabei eine Gegendemonstrantin festgenommen, die mit einer Wasserpistole einen Polizisten angespritzt hatte.

Das Schicksal des angeblich an Rindertuberkulose erkrankten Zucht-Alpakas beschäftigt seit Wochen die britische Öffentlichkeit. Boulevardpresse und BBC berichteten ausführlich über den Fall, fast 150.000 Menschen unterzeichneten eine Petition gegen die Tötung. Selbst der Vater von Premierminister Boris Johnson, Stanley Johnson, flehte Umweltminister George Eustice an, dem „mörderischen Treiben“ Einhalt zu gebieten. Ohne Erfolg, wie nun bekannt wurde.

Geboren wurde das Alpaka-Männchen wohl 2013 auf der Nevalea Alpacas Farm, dem größten Alpaka-Hof Neuseelands. 2017 kaufte ihn die britische Züchterin Helen Macdonald. Kurz vor der Abreise in die neue Heimat wurden routinemäßig mehrere Tests auf Rindertuberkulose gemacht – alle negativ. Nach der Ankunft der Schock: Geronimo wurde drei Mal positiv auf den Erreger getestet. Ein Todesurteil, denn zur Eindämmung der Seuche müssen alle positiv getesteten Tiere eingeschläfert werden. Seit seiner Ankunft auf Helen Macdonalds Hof in Gloucestershire befand sich Geronimo in Quarantäne. Die Umweltbehörde forderte die Züchterin auf, das Tier zu töten.

Macdonald aber weigerte sich und erklärte, sie halte die Tuberkulosetests der britischen Umweltbehörde für fehlerhaft. Geronimo sei kurz vor der Abreise aus Neuseeland das Medikament Tuberkulin verabreicht worden. Kein Wunder, dass der Antikörpertest danach positiv gewesen sei. Macdonald forderte weitere und in ihren Augen zuverlässigere Tests. Ein Wunsch, den ihr die Umweltbehörde nicht erfüllte.

Alpaca lives don't matter

Doch Macdonald tat alles, um Geronimo vor dem Tod zu bewahren. Bereits 2019 hatte sie der BBC zufolge mehr als 10.000 Pfund für den Rechtsstreit um das Alpaka gesammelt. Sie richtete eine Webcam ein, über die man dem Kleinkamel zusehen konnte, und wies immer wieder darauf hin, dass Geronimo längst gestorben wäre, wenn er wirklich infiziert gewesen wäre.

Anfang August entschied ein Gericht endgültig: Geronimo muss sterben, und zwar bis spätestens zum 4. September. Es folgten Demonstrationen im Londoner Regierungsviertel; in Gloucestershire formierte sich eine Bürgerwehr, die sich im Ernstfall mit Straßensperren dem „Tötungskommando“ entgegenstellen wollte. Am Ende verlief der Einsatz aber glimpflich. Ein Regierungssprecher sprach Helen Macdonald und „allen anderen, die von dieser schrecklichen Krankheit betroffen sind“, sein Mitgefühl aus. Doch Rindertuberkulose sei ein zu ernstes Problem für die britischen Landwirte, um Gnade walten zu lassen, ergänzte die Veterinärärztin Christine Middlemiss.

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6 Kommentare

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  • ÄrztInnen heilen Krankheiten und nicht Laborwerte, die Tests auf Tuberkulose sind nicht so 100prozentig zuverlässig, wie man unterstellen mag. In meiner Kindheit gab es BCG-Tests und Impfungen, eine Diagnose war dann aber komplexer als ein Hauttest oder, wie heute, ein Titer. Das weiss ich aus eigener Erfahrung mit Impfungen. Tatsächlich "haben die Götter vor die Therapie die Diagnose gestellt", eine klinische Untersuchung gehört nach wie vor zum Standard. Cave administrative Weisungen auf vermeintlicher Gewissheit von Zahlen und Fakten aus der Wissenschaft. Medizin verkauft nicht die Wahrheit, aber sie hilft methodisch und praktisch auf dem Weg dorthin. Ein "zu ernstes Problem" scheint mir der Umgang der Behörden mit dem Problem Seuchengefahr: Millionen gekeulte Tiere, prophylaktisch jährlich geopfert - auch bei uns. Pathozentrisch statt anthropozentrisch gedacht: Eine zentrale Herausforderung für TierrechtlerInnen. "Wer heilt hat recht." Gab es hier etwas zu heilen durch das Töten des Tieres? Eine "rechtsmedizinisch intendierte" Obduktion wurde hoffentlich angeordnet, mit anschließender Publikation der Ergebnisse*, speziell der histologischen Organbefunde. Das ist Standard einer transparenten wissenschaftlichen Medizin. Auch das kann ich von der Seite des Mikroskopes aus eigener Erfahrung als Pathologe sicher beurteilen. Seit wann ist Mitgeschöpfe töten Therapie und nicht Ultima Ratio? Aufklärung ist notwendig, bald.



    *wegen des internationalen öffentlichen Interesses

  • Warum hat Macdonald nicht die weiteren und in ihren Augen zuverlässigeren (Blut-) Tests durchführen lassen?

  • Sie gibt 10.000 Pfund für den Rechtsstreit aus, hat aber nicht eigenständig einen anderen Test machen lassen? Tut mir Leid, aber da hat sie sich verrannt…

  • Na super! So viel zur These, der deutsche Untertanengeist sei ein nationales Alleinstellungsmerkmal!

    Welche weiteren Qualifikationen ein Regierungssprecher mitbringen muss für seinen Job, lässt sich womöglich der entsprechenden Stellenausschreibungen entnehmen. Eins aber muss er/sie/es ganz gewiss haben: eine entschiedene Gleichgültigkeit Worten, der Sprache gegenüber. Er muss reden können ohne zu denken und ohne zu fühlen.

    Diesem Boten britischer Staatsräson, jedenfalls, kann unmöglich entgangen sein, dass die „schreckliche Krankheit“ womöglich gar keine war im Fall des Alpakas Geronimo, dass also dessen Besitzer eher unter der Ignoranz und Borniertheit der Behörden zu leiden haben als unter der Rindertuberkulose.

    Sein „Mitgefühl“ kann sich der Herold sparen, finde ich. Es klingt wie Hohn. Er kann ja nicht mal mit-denken, der Gute. Aber vielleicht hat er ja auch nur einen WV-Text aufgesagt. Einen, den er wiederverwendet hat. Zum Beispiel, als in Massentierhaltung gequälte aber immerhin halbwegs gesunde Kühe vorsorglich getötet wurden, weil eine ihrer Leidensgenossinnen als infiziert gegolten hat. Von Regierungsseite heißt es schließlich nie: „Die armen Rinder!“ Es heißt immer: „Die armen Bauern!“ Als hätten die Rinder entschieden und nicht die Landwirte. Aber schon klar: Rinder dürfen nicht wählen. Schade eigentlich.

    Und was die Veterinärärztin Christine Middlemiss betrifft, so müsste sie, wenn sie die Rindertuberkulose (und ihren Job) tatsächlich ernst nehmen würde, nicht nur über Impfungen Bescheid wissen und die propagieren. Sie müsste auch Gnade vor Recht walten lassen, nicht umgekehrt. Ärzte, schließlich, haben die Aufgabe, Leben zu schützen. Auch präventiv. Zu töten, damit aus Geld mehr Geld und geltendem Recht Genüge getan wird, auch wenn es Mist ist, ist eher ein Job für Soldaten und Polizisten.

    • @mowgli:

      Kurz dachte ich beim Lesen Ihres Kommentares, Sie würden tatsächlich von selbst darauf kommen, für wen ein Regierungssprecher spricht.