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Über Existenz und MenschlichkeitEine Prise bewusste Sterblichkeit

In ihrer letzten Kolumne appelliert unser Autorin daran, sich bewusster mit dem Tod auseinanderzusetzen. Auch für eine bessere Gesellschaft.

Das nächste Mal, wenn Sie Cappuccino trinken, denken Sie dran: Sie werden sterben! Foto: Alberto Menendez/imago images

H eute lesen Sie hier meine letzte Kolumne. Nicht traurig sein. Ich gehe, doch der Tod bleibt. Denn wissen Sie was: Sie sterben. Der Kellner im Café, der Ihnen gerade Ihren Cappuccino gebracht hat, auch. Ihre beste Freundin, die Ihnen gegenübersitzt und von ihrem letzten Date erzählt. Die Busfahrerin auf Ihrem Nachhauseweg. Alle Menschen, die sie im Rückspiegel ein- und aussteigen sieht. Die Flaschensammlerin in Ihrer Straße. Die Nachbarin im Erdgeschoss, die den ganzen Tag nach draußen schaut, mit Häkelkissen auf dem Fensterbrett.

Und Ihre Katze auch. Das Beste, worauf Sie hoffen können, ist, dass es eine Handvoll Leute gibt, die noch eine Zeitlang freundlich an Sie denken, ein Bild oder zwei von Ihnen in ihr Wohnzimmer stellen. Ihre Kinder vielleicht, bis auch die sterben. Der Tod bleibt Ihnen erhalten als größtmögliche Kränkung, als ultimativer Super-GAU für Ihr Ego, das Ihnen jeden Tag einflüstern will, Ihr Leben hätte irgendeine Bedeutung. Klingt hart? Finde ich gar nicht.

Meine Rechnung geht so: Eine Prise bewusste Sterblichkeit minus eine Portion Ego ist gleich eine bessere Gesellschaft. Wenn wir aufhören würden, dermaßen angestrengt in eine andere Richtung zu schauen, wenn wir anfangen würden zu begreifen, dass der Tod eines der wenigen Dinge ist, die wir alle gemeinsam haben, könnte das zu echter existenzieller Solidarität führen.

Vielleicht wäre es dann keine Frage mehr, ob wir Menschen helfen, die in Lebensgefahr sind. Vielleicht würden wir verstehen, dass wir keine Kontrolle haben, dass unsere Welt brüchig und das Leben fragil ist, dass man es nun Glück oder Zufall nennen kann, wenn man nicht zu jenen gehört, die sich in Kabul an ein Flugzeug klammern oder in überfüllten Gummibooten übers Mittelmeer kommen. Weil Menschlichkeit die einzige Bedeutung ist, die wir unserer sinnlosen Existenz abringen können.

Wenn wir den großen, finalen Abschied im Blick hätten, könnten wir vielleicht auch gelassener auf all die kleinen Abschiede schauen. Wir könnten uns darin üben, Veränderung zuzulassen. Uns von einer Sprache verabschieden, die andere Menschen ausschließt. Von Urlaubsreisen, während einer Pandemie. Von Wachstumsgläubigkeit im Angesicht des Klimawandels. Von heteronormativen Familienmodellen.

Zugegeben, das ist groß gedacht. Ich will auch nicht sagen, dass der Tod alles besser macht. Im Gegenteil. Mir macht er genauso viel Angst wie Ihnen. Oder um es mit den Worten des von mir sehr verehrten Schorsch Kamerun zu sagen: Ich find Tod trotzdem scheiße. Doch ich bin mir sicher: Der Konfrontation mit der Vergänglichkeit wohnt eine politische Kraft inne, die wir nutzen sollten. Vielleicht denken Sie mal bei Ihrem nächsten Cappuccino an mich. Dann recken wir gemeinsam die Faust und schmettern unserer Todesfeigheit entgegen: Schluss jetzt!

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Caroline Kraft
Caroline Kraft schreibt als freie Autorin u.a. für Zeit Online und das Missy Magazine. Ihre Kolumne "Schluss jetzt" erscheint alle drei Wochen in der taz. Sie ist ehrenamtliche Sterbebegleiterin und chronische Bestatterpraktikantin. Zusammen mit Susann Brückner betreibt sie den Podcast "endlich. Wir reden über den Tod". Ihr gemeinsames Buch “endlich. Über Trauer reden" ist 2022 im Goldmann Verlag erschienen.
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7 Kommentare

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  • Letzte Fahrt

    An meinem Todestag – ich werd ihn nicht erleben –



    da soll es mittags Rote Grütze geben,



    mit einer fetten, weißen Sahneschicht



    Von wegen: Leibgericht.

    Mein Kind, der Ludolf, bohrt sich kleine Dinger



    aus seiner Nase – niemand haut ihm auf die Finger.



    Er strahlt, als einziger, im Trauerhaus.



    Und ich lieg da und denk: »Ach, polk dich aus!«

    Dann tragen Männer mich vors Haus hinunter.



    Nun faßt der Karlchen die Blondine unter,



    die mir zuletzt noch dies und jenes lieh …



    Sie findet: Trauer kleidet sie.

    Der Zug ruckt an. Und alle Damen,



    die jemals, wenn was fehlte, zu mir kamen:



    vollzählig sind sie heut noch einmal da …



    Und vorne rollt Papa.

    Da fährt die erste, die ich damals ohne



    die leiseste Erfahrung küßte – die Matrone



    sitzt schlicht im Fond, mit kleinem Trauerhut.



    Altmodisch war sie – aber sie war gut.

    Und Lotte! Lottchen mit dem kleinen Jungen!



    Briefträger jetzt! Wie ist mir der gelungen?



    Ich sah ihn nie. Doch wo er immer schritt:



    mein Postscheck ging durch sechzehn Jahre mit.

    Auf rotem samtnen Kissen, im Spaliere,



    da tragen feierlich zwei Reichswehroffiziere



    die Orden durch die ganze Stadt



    die mir mein Kaiser einst verliehen hat.

    Und hinterm Sarg mit seinen Silberputten,



    da schreiten zwoundzwonzig Nutten –



    sie schluchzen innig und mit viel System.



    Ich war zuletzt als Kunde sehr bequem.

    Das Ganze halt! Jetzt wird es dionysisch!



    Nun singt ein Chor: Ich lächle metaphysisch.



    Wie wird die schwarzgestrichne Kiste groß!



    Ich schweige tief.



    Und bin mich endlich los.

    Kurt Tucholsky

  • 9G
    95820 (Profil gelöscht)

    "Das nächste Mal, wenn Sie Cappuccino trinken, denken Sie dran: Sie werden sterben!"



    Darum trinke ich schon lange keinen Cappucino mehr. Und ich fürchte mich vor Menschen, die den Tod nicht fürchten. Besonders wenn die glauben, dass es ja irgendwie weitergeht.



    www.spiegel.de/kul...-ae0e-5d34c39d596b

    • @95820 (Profil gelöscht):

      anschließe mich - danke für den link

  • Wie jetzt? Freuen Sie sich, dass diese Kolumne die letzte sein soll, oder freuen Sie sich über den Appell? 🤔

    Mir persönlich gefällt die Idee, dass der Tod etwas ist, was alle Menschen gemeinsam haben. Er nimmt der „größtmögliche Kränkung“ viel von ihrem Gift, dem „ultimative[n] Super-GAU“ viel von seinem Schrecken. Aber ich habe natürlich auch ziemlich leicht reden. Ich bin nicht darauf abgerichtet worden, mein Ego in die Welt zu rotzen als einzige große Herausforderung an den Rest der Menschheit (oder doch wenigstens an meine unmittelbare Umgebung). Und wenn sie mich trotzdem als solche empfindet, dann ist das nicht mein Problem, sondern ihrs.

    Für mich ist es gut wenn ich weiß: Auch ich werde mal sterben. Genau wie jeder Mensch vor mir und wie alle danach. Denn all die, die ich mag und die vor mir gehen müssen, werde ich schmerzlich vermissen für den Rest meines Lebens, auch wenn ich ihr Bild bei mir habe. Nicht mein Tod macht mir Angst, sondern der meiner Lieben. Uns dass andere fühlen wie ich, kann, will und darf ich nur zu gut verstehen. Wenn es etwas an unsere Welt gibt, was gut ist derzeit, dann ist es genau das.

  • Ein würdiges Thema für eine letzte Kolumne. Leider aber kann das Sterben, oder das Bewußtsein davon, doch nicht so einfach die Bescheidenheit ersetzen. Die ist was wir wirklich brauchen. Die Erkenntnis der eigenen Sterblichkeit hingegen kann auch zum kompletten Gegenteil führen, zu Egoismus, Rücksichtslosigkeit und blindwütigem Erlebnishunger zum Beispiel. Oder man vergewissert sich der eigenen Wirkmächtigkeit, in harmloseren Erscheinungsformen schreibt man dann Bücher, Zeitungsartikel oder Forumsbeiträge. Das hilft aber natürlich auch nicht. Was wirklich hilft ist Nichtstun.

  • "...wenn wir anfangen würden zu begreifen, dass der Tod eines der wenigen Dinge ist, die wir alle gemeinsam haben..."

    Ich glaube, dass haben die meisten Menschen begriffen. Nicht jeden Minute oder jeden Tag aber prinzipiell schon. Und es kommt darauf an, ob man mit 95 Jahren friedlich entschläft oder mit 15 von einer Autobombe zerrissen wird - um mal zwei Extreme des Ablebens zu visualisieren.



    Ich bezweifle, dass eine bewusstere Einstellung zum Tod eine bessere Gesellschaft formt. Das ist Wunschdenken.

  • “ In ihrer letzten Kolumne appelliert unser Autorin…“ Fein.