Protestaktion von Ende Gelände: Riskante Geschäfte blockiert
In Brunsbüttel machen mehrere Firmen mit klimaschädlichen Technologien Kasse. Beim Protest dagegen kam es zu Konflikten mit der Polizei.
BRUNSBÜTTEL taz | Steine fliegen über das Werktor hinweg in Richtung der Aktivist*innen. Als der Demonstrationszug von Ende Gelände um 13.15 Uhr den Zaun zum Grundstück des Düngemittelproduzenten „Yara“ in Brunsbüttel erreicht, klettert ein Security-Mitarbeiter aus dem Wachturm und wirft mehrmals gezielt in Richtung der Demonstrant*innen. Die Aktivist*innen weichen zurück, niemand wird verletzt. Rückzug, erstmal, und Deckung. Von hinten kommen Polizist*innen mit Hunden über die Gleise angelaufen. Die Aktivist*innen setzen sich vor das Werktor, hier ist erstmal Ende, zumindest eine Weile Stillstand.
Um 9 Uhr morgens hatte der erste Demozug mit 700 Personen das Camp in der Schleswig-Holsteinischen Kleinstadt verlassen. Etwa anderthalb Stunden später folgten der zweite und der dritte Zug. Ihr Ziel: Der wenige Kilometer entfernte Chemiepark an der Elbe, dort soll nach Plänen des Bundes und der Landesregierung ein LNG-Terminal gebaut werden. LNG steht für Liquefied Natural Gas und ist umstritten, weil es weil beim Transport und der Gewinnung des Erdgases das extrem klimaschädliche Treibhausgas Methan freigesetzt wird. In dem Chemiepark sind neben dem Kunstdüngerproduzenten noch andere Unternehmen wie der französische Ölriese Total angesiedelt, die Profite mit fossilen Energien machen.
Nach vier Stunden Fußmarsch und der Überquerung des Nord-Ostsee-Kanals in mehreren Kleingruppen mit der Fähre brach der als „pinker Finger“ bezeichnete Demonstrationszug plötzlich durch die Böschung und kletterte auf die Gleise. Die überraschten Polizist*innen konnten den Zug erst ein paar hundert Meter später einholen und einen Teil der Demonstrant*innen festhalten, die anderen gelangten vor das Werktor.
Zwischenfall mit Hund
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Der „rote Finger“, der später gestartet war, versuchte, ebenfalls gegen Mittag, einen Durchbruch am Werksgelände des Kunststoffherstellers Covestro. Die Polizei verhinderte jedoch, dass die Aktivist*innen auf das Gelände gelangten. Ein Polizist habe seinen aufgebrachten und bellenden Hund immer abwechselnd an der Leine zu sich herangezogen, und die Leine wieder lang gelassen, sodass der Hund Personen anspringen konnte, berichtet der freie Fotograf Finn Andorra.
„Der Hund sprang auf mich zu, und nur weil ich einen Satz nach hinten gemacht habe, ist mir nichts passiert“, berichtet der Fotograf. Auf Twitter fragte er die Polizeipressestelle, ob es normal sei, dass Polizeihunde auf Journalist*innen losgelassen würden. „Nein, aber unsere Pressesprecher sind vor Ort um Hintergründe dazu zu beantworten“, antwortete das Social Media Team der Schleswig-Holsteinischen Landespolizei. Auf taz-Nachfrage sagte der Polizeisprecher, dass es zu „keinem gezielten Kontakt zwischen dem Hund und dem Journalisten gekommen“ sei.
Gegen 14 Uhr erreichte auch der dritte, „gelbe Finger“ sein Ziel: Bahngleise am Werkgelände der Erdöl- und Chemiefabrik Sasol. „Der Chemiepark ist damit von beiden Seiten blockiert“, meldete Ende Gelände seinen Erfolg. „Wenn hier in Fracking-Gas investiert werden soll, dann sind wir das Investitionsrisiko“, triumphierte die Sprecherin Eila Nejem. „Für Kohle, Öl und Gas ist heute Ende Gelände.“ Der Konzern Sasol mit Sitz in Johannesburg ist das zweitgrößte Industrieunternehmen Südafrikas und laut Umweltschützer*innen dort verantwortlich für den weltweit größten Treibhausgasausstoß an einem einzigen Ort. Eine einzige Anlage emittiert laut der Nachrichtenplattform Bloomberg Green 56,6 Millionen Tonnen Treibhausgas pro Jahr – mehr als 100 Länder zusammen.
Aktion in Hamburg kurzfristig abgesagt
Neben Brunsbüttel hatte Ende Gelände für das Wochenende auch Hamburg zum Aktionsgebiet erklärt. Eine weitere Massenaktion sollte sich dort gegen die kolonialistische Ausbeutung durch europäische Energiekonzerne im globalen Süden und gegen Rassismus richten. Am Vormittag sagten die Aktivist*innen die Aktion zivilen Ungehorsams jedoch ab. „Angesichts der drohenden Repression durch die Polizei konnten wir nicht für die Sicherheit der Aktivist*innen garantieren“, sagt die Sprecherin der „Antikolonialen Attacke, Rokaya Hamid.
Stattdessen habe man sich entschieden, den Protest gegen koloniale Ausbeutungen von Menschen und Umwelt anderweitig kundzutun. Rund 100 Personen versammelten am Mittag zu einer Kundgebung, für den Nachmittag kündigten sie eine Demo in Solidarität mit der selbstorganisierten Migrant*innengruppe „Lampedusa in Hamburg“ an, deren Dauermahnwache die Polizei im vergangenen September unter Berufung auf den Infektionsschutz nach sieben Jahren Protest verboten und geräumt hatte. Für den Abend seien weitere Aktionen geplant, so Hamid.
Leser*innenkommentare
Yessir Icanboogy
Interessant, dass die Linke andere Gasprojekte ausdrücklich begrüßt. Aber das ist gutes Gas von den antifaschistischen Menschenfreunden im Osten.
Andreas J
@Yessir Icanboogy Mal ideologische Scheuklappen absetzen. Es geht um Fracking-Gas. Die Auswirkungen für die Umwelt stehen im Text. Was hat die Linke damit zu tun?
Khaled Chaabouté
@Yessir Icanboogy Die Linke???
Die Grünen, die heftigsten Gegner von Nordstream 2, schweigen zu Turkstream, South Stream und anderen Pipelines, die russisches Gas nach Europa bringen.
4813 (Profil gelöscht)
Gast
"Der Konzern Sasol mit Sitz in Johannesburg ist das zweitgrößte Industrieunternehmen Südafrikas" usw
Stimmt schon, Sasol hat wesentlich dazu beigetragen, dass das Apartheid Regime in Südafrika so lange durchhalten hat. Mit Fischer-Tropsch haben die aus Kohle Benzin und Diesel gemacht, weil Ölembargo etc. Aber nun versorgen sie halb Afrika mit Diesel etc. Zum Beispiel für Stromgeneratoren. Kann man Scheiße finden, dass die Menschen dort Auto fahren und Licht haben.
Könnte man ihnen statt dessen Solaranlagen mit Akku-Speicher besorgen. Das ein Auto ein Traum Vieler in Südafrika ist, wird man in nächster Zeit nicht verhindern können. Da hat hier keiner ein Recht dazu. Auch nicht die taz, die nachdenken sollte, was sie so schreibt. Einen Afrika-Korrespondenten hat sie ja.
Kristina Ihle
700 Demonstranten. Eine lächerliche Minderheit. Aber auch ein noch so kleine Minderheit hat das Recht ihre Meinung zu sagen. Die Polizei hat offentsichtlich schlimmeres verhindert. Dank an die Beamten die einen tollen Job gemacht haben.
Andreas J
@Kristina Ihle Und was schlimmes genau hat die Polizei verhindert? Minderheiten als lächerlich zu bezeichnen zeigt welchem Geistes Kind sie sind.
Jim Hawkins
@Kristina Ihle Was wären wir ohne unsere Polizei?
In diesen Stunden beweist sie in Berlin, wie hervorragend sie in der Lage ist, einer verbotenen Demonstration Herr zu werden.
Was lernt uns das? Tun zwei das gleiche, ist das nicht immer dasselbe.
Der eine kriegt eine aufs Maul, der andere darf seines aufreißen, auch wenn nur Müll herauskommt.
Ardaga
Und Polizeistaat rüstet sich noch mit Panzervehikeln...
Wonneproppen
@Ardaga Terroranschlag Wien mit Kalaschnikows mitbekommen?
Khaled Chaabouté
@Wonneproppen Terror findet immer seinen Weg, er lässt sich mit polizeistaatlichen Mitteln nicht verhindern.
Wonneproppen
„Angesichts der drohenden Repression durch die Polizei konnten wir nicht für die Sicherheit der Aktivist*innen garantieren“, sagt die Sprecherin.
Schon mies, diese drohende Strafverfolgung. Wie wär's damit, das Versammlungsgesetz zu respektieren, wie man es auch von Coronaleugnern und Rechten erwartet. Gleiches Recht für alle.
Selbstdenker
@Wonneproppen Zur Info, Demonstrationen und Blockaden sind keine Straftaten, die verfolgt werden dürfen.
Wer so etwas verdrehtes von sich gibt, ist rechtlich und charakterlich weder für den Polizeidienst noch sonst einen öffentlichen Dienst geeignet und sollte für diese kriminellen Äusserungen zur Rechenschaft gezogen werden.