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AufKostenanderer

Es werden immer mehr Lieferdienste, die Berlins Fahrradwege verstopfen. Milliardenschwere Unternehmen arbeiten an einer Zukunft, in der wir Konsumenten auf Gorillas & Co. angewiesen sind. Die Fah­re­r:in­nen verdienen wenig. Die Arbeitsbedingungen sind mies. Doch Streiks und Arbeitskämpfe nehmen zu

Von Jonas Wahmkow

Hauptsächlich, Yuppies“, schätzt Fernando Bolaños seine Kundschaft ein. Manchmal sei es nur eine einzelne Avocado, die er anliefert, oder auch mehrere Sixpacks Bier, obwohl sich im Erdgeschoss ein Spätkauf befindet. Trinkgeld gebe es nur selten, aber das Fahrradfahren mache ihm Spaß. Der 35-Jährige trägt schwarze lockere Klamotten, auf dem Kopf die bei Fahrradenthusiasten beliebte Schirmmütze. Obwohl er gerade eine 8-Stunden-Schicht hinter sich hat, wirkt er kaum erschöpft. Bolaños ist „Rider“, also Fahrer, für den Online-Supermarkt Gorillas.

Das Treffen findet unweit seiner Arbeitsstelle statt, dem Gorillas Lagerhaus am Kaiserkorso, nahe dem ehemaligen Flughafengebäude Tempelhof. Das Lager ist im Erdgeschoss eines etwas höherwertig wirkendem Wohngebäudes untergebracht. Die Fenster sind mit blickdichter Milchfolie abgeklebt. Einige Produkte wie Chipstüten und Klopapier sind noch zu erkennen, das Treiben der „Picker“ genannten Lagerist:innen, die im Minutentakt die per App getätigten Bestellungen in braune Papiertüten packen, bleibt jedoch verborgen. „Nur Online Supermarkt“ steht auf einem ausgedruckten A4-Blatt, was als Warnung für unwissende Pas­san­t:in­nen an den Eingang des Lagers geklebt worden ist, die vielleicht doch auf die Idee kommen könnten, hier vor Ort einkaufen zu wollen.

Außer der Freude am Fahrradfahren hat Fernando Bolaños allerdings wenig Gutes zu berichten. „Die Arbeitsbedingungen hier sind wirklich schlecht“, erzählt er desillusioniert. Seit über sechs Monaten arbeitet er bei Gorillas. Während des Lockdowns im Winter verlor Bolaños seine Arbeit als Koch und fand einen Job in dem erst im vergangenen Jahr gegründeten Start-up. Seit dem Ablauf seiner Probezeit setzt er sich im Gorillas Workers Collective, einem selbstorganisierten Zusammenschluss von Beschäftigten, aktiv für bessere Arbeitsbedingungen bei dem Lieferdienst ein.

Im Stadtbild sind die schwarz gekleideten Fah­re­r:in­nen mit dem weiß-roten Logo längst unübersehbar. Dazu kommt eine aggressive Werbekampagne: Gefühlt gibt es kaum noch eine S-Bahn-Station, an der kein Gorillas-Plakat in Sichtweite hängt. Doch auch die Konkurrenz schläft nicht: Flink (Firmenfarbe pink) ist derzeit der etablierteste Mitbewerber, dazu kommt das türkische Vorbild Getir (lila-gelb), UberEats (grün) und seit August auch Foodpanda (leicht helleres Pink).

Es dürfte also bald nicht nur bunter, sondern auch deutlich voller werden auf Berlins Radwegen. Doch verstopfte Radwege werden wohl nicht die einzige Auswirkung sein, sollte es den Unternehmen gelingen, sich langfristig zu etablieren. Vieles spricht dafür, dass die Liefer-Start-ups unsere Städte nachhaltig prägen werden. Nicht nur das Stadtbild selbst, sondern auch wie wir in Städten in Zukunft konsumieren und arbeiten werden.

Das ist ein Anspruch, den das Unternehmen Gorillas selbst formuliert: „In Zukunft werden Kon­su­men­t:in­nen Lebensmittel nur noch dann kaufen, wenn sie diese unmittelbar brauchen“, antwortet ein Sprecher des Unternehmen auf Anfrage der taz, wie er sich die Zukunft vorstellt, in der Gorillas ein etabliertes Unternehmen ist. Gorillas-Gründer Kağan Sümer setzte im Marketing-Podcast OMR sogar noch einen drauf: „Wenn wir zum Mond fliegen können, sollten wir nicht zum Supermarkt gehen müssen.“

Übersetzt heißt das: Gorillas will nicht nur den Anteil der Bevölkerung erreichen, der jetzt schon zu faul oder zu überarbeitet ist, um in normalen Supermärkten einzukaufen, sondern will auch noch den Rest davon überzeugen, ihre Supermarkteinkäufe in Zukunft über das Smartphone zu erledigen.

„Die Geschäftsmodelle zielen auf eine Veränderung des Alltagsverhalten ab“, erklärt Moritz Altenried, der als Wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Humboldt Universität unter anderem zu Lieferplattformen forscht. So habe Delivery-Hero-Gründer Niklas Östberg in einem FAZ-Interview prophezeit, das Kochen in wenigen Jahren nur noch ein Hobby sein werde.

Tatsächlich ist die Zielgruppe immer noch die besser verdienende Mittelschicht, die aber möglichst bald ausgeweitet werden soll. Was den Start-ups bei ihren Ambitionen in die Hände spielt, ist die Tatsache, dass es für viele Menschen zunehmend schwerer wird, gleichzeitig ihren Beruf und alltäglichen Haushaltspflichten unter einen Hut zu bekommen – so argumentieren die Autoren des Sammelbands „Plattformkapitalismus und die Krise der sozialen Reproduktion“, der im Mai im Verlag Westfälisches Dampfboot erschienen ist. Wenn also der eigene Job zu stressig oder die Pflichten für Kindererziehung oder der Pflege von Angehörige zu überwältigend sind, dann können Delivery-Apps ein verführerisches Angebot sein.

Oder um es mit den Worten von Gorillas zu sagen: „Konsument:innen haben in ihrem dynamischen und flexiblen Lebensalltag weniger Zeit für den traditionellen Einkauf im Supermarkt, der Weg in den Supermarkt ist körperlich und gesundheitlich beschwerlich.“

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