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Coronavirus in den NiederlandenDen Haag im Blindflug

Kommentar von Tobias Müller

Die steigenden Infektionszahlen machen die Niederlande zum Risikogebiet. Die Regierung scheint ihr desaströses Coronamanagement vom Sommer 2020 zu übertreffen.

Sommerurlaub um jeden Preis? Ruttes Coronapolitik geht nicht auf Foto: Aris Oikonomou/reuters

E s war ein Schlag aus dem Nichts. So schien es jedenfalls. Eben noch wähnten sich die Niederlande am Beginn eines sorglosen und wohlverdienten Sommers. Sogar den ausgefallenen Weihnachtsumtrunk wollte ein Radiosender im August massenhaft am Strand nachholen. Und dann das: plötzlich steigende Infektionszahlen, erst ein-, dann drei-, dann fünf- und inzwischen gut elftausend sind es täglich. Seit Anfang Juli schießt die Kurve steiler als je zuvor nach oben.

In Deutschland neigt man dazu, so etwas vermeintlich laxer niederländischer Mentalität zuzuschreiben. Wer keine Fahrradhelme trägt, nimmt es auch mit den Coronaregeln nicht so genau. Was selbstverständlich mehr Dichtung als Wahrheit ist, denn der Lockdown war auch hierzulande streng, inklusive einer dreimonatigen nächtlichen Sperrstunde im Frühjahr. Ungeachtet der Konflikte, die sich daran entzündeten, wurde auch Letztere weitestgehend befolgt.

Dass nun eine erneute Covid-19-Welle droht, liegt vielmehr an einer Regierung, die sich anschickt, ihr desaströses Vorgehen im letzten Sommer noch zu übertreffen. Wochenlang sah sie dem Anstieg der Inzidenzzahlen zu und schloss sich dann offenbar dem verbreiteten Irrglauben an, die zweite Welle betreffe „nur“ die weniger gefährdete Jugend. Der vorschnelle Abschied von beinahe allen Coronamaßnahmen war nicht nur kopf-, sondern auch massiv verantwortungslos.

Gewarnt wurde freilich auch damals schon: Die Botschaft, Corona noch nicht besiegt zu haben, komme auf diese Art nicht an. Es scheint, als habe sich die Regierung, die zu Jahresbeginn eigentlich zurücktrat und nur aus Ermangelung einer neuen Koalition noch immer im Amt ist, im Überschwang das selbst nicht bewusst gemacht.

Die kürzlich getroffenen Maßnahmen zur Eindämmung sind halbherzig und einseitig. Der Eindruck entsteht, als gelte es, einzig den lang ersehnten Sommerurlaub noch irgendwie zu retten, auch wenn die Niederlande auf der europäischen Covid-19-Karte längst wieder rot markiert sind. Weiter reicht die Sicht nicht: Blindflug in Den Haag.

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16 Kommentare

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  • ***Problematisch wäre eine dauerhafte Schädigung junger Menschen auch nach über einem Jahr noch. Bei Kindern und Jugendlichen tritt das aber so gut wie nicht auf.***



    Frage mich, woher die Gewissheit hier einige meinen zu habe, über die Delta Variante weiß das noch gar keiner und der Virus bekommt reichlich Gelegenheit zur Mutation durch Feiern, Urlauber und alle die meinen, Covid-19 wäre besiegt.



    Die Kinder und Jugendlichen werden es ausbaden müssen, da die Erwachsenen zu sorglos sind.



    Die 85% Impfquote wird jedenfalls bis zum Herbst krachend verfehlt und das obwohl es nicht am Impfstoff liegt,



    ich bin dafür, den Impfstoff zu verschenken an Länder, die es mehr zu würdigen wissen als wir verwöhnten Europäer.

    • @udo123:

      > Die 85% Impfquote wird jedenfalls bis zum Herbst krachend verfehlt und das obwohl es nicht am Impfstoff liegt,

      Das Problem ist, gegen Delta ist auch die Effektivität der Impfstoffe gegen eine Infektion mit Symptomen geringer.

      en.wikipedia.org/w...naty#Effectiveness

      Wenn Sie nun eine 85% Impfquote mit einer 83-prozentigen Effektivität kombinieren, kommt es schnell zu einer Situation wo auch die Impfung ein exponentielles Wachstum und ungebremste epidemische Verbreitung nicht mehr verhindern kann.

      Und andere Studien berichten sogar noch geringere Effektivität.

      Ich habe noch keine Studie gesehen, die zur Wirksamkeit gegen *Übertragung* genaue Daten hat. Das ist komplex, weil bei Covid-19 das Super-Spreading (d.h. dass wenige Infizierte den größten Teil der Übertragungen verursachen) so eine große Rolle spielt, und mit Glück kann der Impfstoff vielleicht Super-Spreading besser verhindern als eine symptombehaftete und für den Geimpften selbst ungefährliche Infektion.

      Professor Christian Drosten ist in diesem Punkt eher optimistisch - aber ich denke, auch im besten Fall wird es knapp.

  • ****die jetzige Welle wird kaum eine Auswirkung auf die Krankenhausbelegung oder gar Todesfälle mit sich bringen****



    Vergessen wird allzu gerne, was Covid-19 noch so alles im Körper bei ungeimpften anrichtet, Longcovid ist ja nur ein Sammelbegriff für die unterschiedlichen Krankheitssymptome.



    Naja, nun haben aber alle Feierwühtigen die Möglichkeit, sich impfen zu lassen, Anfang der Woche für DE z.B. über 16,1 Millionen Impfdosen und es werden sich Woche für Woche immer mehr Impfdosen anhäufen, welche nicht verimpft werden, so wie in der ganzen Europa, leider. Die UEFA war aber auch ein Signal zum Grenzenlosen Feuern ohne jegliche Regeln, was kommen musste war doch klar. Mein Mitleid hält sich aber in grenzen für die, welche Erkranken und sich nicht impfen lassen, obwohl sie es könnten.

    • @udo123:

      Auch wenn eine ungebremste neue Welle dann, mit Glück, nur die Ungeimpften, dass heißt bei 85% Impfquote dann 15% (= 100% - 85%) der Bevölkerung trifft - dass sind im schlimmsten Fall, bei einer Durchseuchung, dann noch mal 15% von den 91000 Toten die wir schon zu beklagen haben.

      Und die Long Covid Fälle kämen dazu. Ich habe bisher keine Daten gesehen, wie gut die Impfungen gegen Long Covid schützen.

  • Schon die letzte Welle an neuen Fällen im April wurde nur noch von einem Bruchteil an Todesfällen begleitet, seitdem hat sich die Zahl der Geimpften verdoppelt und man sieht auch an der Statistik Neufälle nach Altersgruppe, die jetzige Welle wird kaum eine Auswirkung auf die Krankenhausbelegung oder gar Todesfälle mit sich bringen coronadashboard.go...ief-geteste-mensen

    • @Thomas R. Koll:

      Das mag ja sein, jedoch kann es kaum allein um Todeszahlen gehen - Long-Covid möchte auch kein Mensch haben. Und das trifft bei steigenden Infektionszahlen selbstverständlich schon immer mehr Menschen. Übrigens auch Kinder, von denen ja gerne behauptet wird, für sie wäre das Ganze ja vollkommen harmlos...

      • @Moe11:

        Es kann kaum darum gehen, bis vor knapp über einem Jahr kaum denkbaare Einschränkungen ohne merkliche Gefahr für die Gesellschaft zu verstetigen.

        Long Covid wird in der Presse meines Erachtens stark überbewertet. Wenn nach 3 Monaten noch nicht wieder die volle Leistung zurückgewonnen wurde, zählt man bereits dazu. Das ist aber kein Kriterium, was besonders für Covid-19 ist. Längere Gensungszeiten kennt man auch von anderen Atemwegsinfekten.

        Problematisch wäre eine dauerhafte Schädigung junger Menschen auch nach über einem Jahr noch. Bei Kindern und Jugendlichen tritt das aber so gut wie nicht auf.

        Dass sich niemand über eine länger andernde Krankheit freut, versteht sich von selbst.

        • @Co-Bold:

          > Längere Gensungszeiten kennt man auch von anderen Atemwegsinfekten.

          Wir wissen aber auch, dass durch CFS/ME einige Menschen nach Virusinfektionen chronisch krank werden, mit massiven Einschränkungen der Lebensqualität.

    • @Thomas R. Koll:

      Je mehr es Ansteckungen gibt, um so mehr Gelegenheiten hat das Virus zur Mutation. Es ist nur eine Frage der Zeit, bis eine Variante kommt, die resistent ist.

      Sicher wird es erst, wenn das Virus weltweit im Griff ist. Und davon sind wir Lichtjahre entfernt...

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die Welt ist noch nie sicher gewesen. Bitte verabschieden Sie sich von Ihren Wahnvorstellungen.



        Niemand glaubt mehr daran, dass das Virus zurückgedrängt werden kann, kein lauterbach und auch kein Drosten.



        Realistisch war das ohnehin spätestens ab Februar 2020 nicht mehr.

        Der Fehler wurde gemacht als nicht sofort alle Verbindungen zu China gekappt wurden. Ab März konnte man nur noch verwalten, da das Virus in zu vielen Ländern verbreitet war.

      • @warum_denkt_keiner_nach?:

        Die Bevölkerungszahl der Niederlande leistet keinen signifikanten Beitrag zur Wahrscheinlichkeit der Entstehung einer neuen Variante, wenn man bedenkt, wie verbreitet das Virus mittlerweile weltweit ist.

        Das ist als Argument schon lange tot. Varianten, die entstehen können, werden ohnehin entstehen.

        • @Co-Bold:

          Das Argument kenne ich auch vom Klimawandel.

          Das übersieht hier aber, dass in den Niederlanden und UK neben den USA eines der wenigen Gebiete weltweit ist, wo ein sehr hoher Anteil auf geimpfte Menschen auf sehr hohe Inzidenzen treffen. Das sind beste Voraussetzungen zur Entstehung Impfstoff-"resistenter" Mutationen.

  • Kauft euch Surfbretter, da kommen noch einige Wellen.

  • 0G
    05867 (Profil gelöscht)

    Na, da sind wir ja in guter Gesellschaft.



    Genau das gleiche Verhalten wie im letzten Jahr, genau die gleichen Phrasen, genau die gleiche Ignoranz.

    Weihnachten stehen wir dann wieder genau da, wo wir letztes Jahr auch waren.



    Fr. Merkel wird dann allerdings fehlen, die hat es ja wenigstens versucht.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Weihnachten ist Corona vermutlich nur noch eine Randnotiz. Ab nächstes Jahr wird es nur noch um die Rückschau auf die Krise gehen: Was war sinnvoll, was nicht. Was kann man besser machen.

      Ich bin gespannt, wie das mit einigem Abstand bewertet wird. Momentan ist in der öffentlichen Wahrnehmung noch sehr viel angeübte Meinung und Beißreflex. Sachliche Diskussion kaum möglich.

    • @05867 (Profil gelöscht):

      Nein wir werden Weihnachten ganz woanders stehen, schließlich sind immer mehr Menschen geimpft.