Angriffe gegen Jour­na­lis­t:in­nen: Schutzlos in Europa

Nach den Angriffen auf Jour­na­lis­t:in­nen der vergangenen Woche stellt sich die Frage: Wie können sie besser geschützt werden?

Ein Mann hält auf einer Demo ein Plakat in die Luft auf dem auf türkisch "beuge dich nicht" steht

„Beuge dich nicht“ steht auf Türkisch auf dem Plakat des Demonstranten Foto: Florian Boillot

Die vergangene Woche erschütterte die Medienwelt gleich zwei Mal: Anfang der Woche war der profilierte Kriminalreporter Peter R. de Vries in Amsterdam auf offener Straße angeschossen und lebensgefährlich verletzt worden. An diesem Donnerstag ist er nun verstorben. Am Mittwoch der vergangenen Woche wurde der im Berliner Exil lebende türkische Journalist Erk Acarer, der auch für die taz.gazete tätig war, im Hinterhof seines Wohnhauses von drei Angreifern in Berlin-Neukölln attackiert. Acarer musste ambulant im Krankenhaus behandelt werden.

Die mutmaßlichen Motive beider Anschläge haben verschiedene Kontexte und Motivationen. Doch was sie eint, ist die sich verschärfende Bedrohungslage für Jour­na­lis­t:in­nen mitten in Europa.

Eine Woche nach dem Angriff auf Acarer, hat Reporter ohne Grenzen (RSF) am Mittwoch auf die Situation von insbesondere türkischen Exil­jour­na­lis­t:in­nen in Deutschland aufmerksam gemacht. Zu Gast waren Erk Acarer sowie der ebenfalls im Exil lebende Journalist und ehemalige Cumhuriyet-Chefredakteur Can Dündar. Im Zentrum der Veranstaltung „Journalisten besser schützen“ stand die Frage, ob sich regierungskritische türkische Medienschaffende im Exil in Deutschland noch sicher fühlen können.

Acarer fürchte nach dem Anschlag nicht nur um seine eigene Sicherheit und die türkischstämmiger Journalisten, sondern auch um die anderer Exilanten in ganz Europa. Er wisse von „Hinrichtungslisten“, sagte er. „Wenn die EU und die Bundesregierung diesen Angriff nicht ernst nehmen, dann denke ich, dass es noch gefährlichere Angriffe geben wird.“ Acarer forderte die Bundesregierung auf zu handeln. Sie müsse „Erdoğan stoppen“.

Erk Acarer, Exiljournalist

„Wenn die EU und die Bundesregierung diesen Angriff nicht ernst nehmen, dann denke ich, dass es noch gefährlichere Angriffe geben wird.“

Exiljournalisten mit besonderer Bedeutung

Acarer kenne die Täter, hatte er vergangene Woche gesagt. Gegenüber der Welt sagte er außerdem: „Das geht in Richtung türkische Regierung.“ Es reiche deshalb nicht, nur die drei Täter in den Blick zu nehmen, sagte Acarer bei der RSF-Veranstaltung. „Diese drei Täter gehören zu einer Kette von Leuten, die verbunden sind mit der AKP-Regierung“.

Acarer berichtete zuletzt für die linke türkische Zeitung BirGün und den in Köln gegründeten Exilsender Arti TV. In der Türkei hatte Acarer als Investigativjournalist zu den Themen islamistischer Terror und Fundamentalismus gearbeitet sowie über den Krieg in Syrien berichtet. Gegen ihn laufen in der Türkei Strafverfahren, zudem sind offenbar Haftbefehle anhängig.

Can Dündar, der seit 2016 im Berliner Exil lebt, misst den Exiljournalisten eine besondere Bedeutung zu, da türkische Medien „immer mehr unter Kontrolle der Erdoğan-Regierung“ stehen. Rund 90 Prozent der nationalen Medien werden mittlerweile von der Regierung kontrolliert. „Unsere Stimmen aus dem Exil werden in der Türkei weithin gehört – und deshalb sollte Erk aufhören zu ­schreiben. Aber wir werden mehr schreiben, tiefer graben, lauter sein“, sagte Dündar.

Auf die Frage, wie Exil­jour­na­lis­t:in­nen in Deutschland besser geschützt werden könnten, antwortete Dündar, der Schutz durch Polizei oder Bodyguards reiche nicht für alle Journalisten und Oppositionellen. Erdoğans Armee sei zu groß. Die Bundesregierung müsse stattdessen ein klares Signal an Erdoğan senden. Auch Acarer sieht die Bundesregierung in der Verantwortung. Wenn die Form der Zusammenarbeit mit der Türkei so weitergehe, würden die Angriffe auf Journalisten zunehmen.

Christian Mihr, RSF-Geschäftsführer, nannte den Angriff auf Acarer ein Warnsignal für alle Journalisten. Wichtig sei, sich nicht an diese Bedrohung zu gewöhnen. Außerdem sei wichtig, Exiljournalisten zu stärken, aber gleichzeitig die verbliebenen Journalisten in der Türkei nicht zu vergessen.

Mindestens 11 Jour­na­lis­t:in­nen sitzen dort laut RSF in direktem Zusammenhang mit ihrer Arbeit derzeit im Gefängnis. Mehr als 3.400 wurden in den vergangenen 4,5 Jahren von ­türkischen Medien entlassen. Auf der Rangliste der Pressefreiheit steht die Türkei auf Platz 153 von 180.

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