piwik no script img

EU-Verfahren gegen DeutschlandKampf der Gerichte

Christian Rath
Kommentar von Christian Rath

Die Entscheidung der EU-Kommission ist ein Warnsignal auch an Polen und Ungarn. Niemand soll sich der europäischen Ordnung widersetzen.

Das Gebäude des Europäischen Gerichtshofs in Kirchberg, Luxemburg Foto: imageBROKER/imago

D er Schritt ist alltäglich und zugleich spektakulär. Zwar leitet die EU-Kommission als Hüterin der EU-Verträge ständig Vertragsverletzungsverfahren gegen die EU-Mitgliedstaaten ein, auch gegen Deutschland. Meist aber geht es um nationale Parlamente, die bei der Umsetzung von EU-Recht zu langsam oder zu eigensinnig waren.

Ungewöhnlich ist es dagegen, wenn die EU-Kommission gegen ein Gerichtsurteil vorgeht – insbesondere wenn es sich um eine Entscheidung des besonders renommierten deutschen Verfassungsgerichts handelt. Es ist aber nachvollziehbar, dass die EU-Kommission diesen Schritt geht. Das Bundesverfassungsgericht hat im Mai 2020 die Anleihekäufe der Europäischen Zentralbank (EZB) gerügt und dabei ein Urteil des Europäischen Gerichtshofs (EuGH) für unbeachtlich erklärt.

Damit stellte sich das Karlsruher Gericht außerhalb der europäischen Ordnung. Es bestand und besteht die Gefahr, dass ausgerechnet die Edelrichter aus Karlsruhe zum Vorbild für die wahren Outlaws in Ungarn und Polen werden. Die Entscheidung der Kommission, nun gegen Karlsruhe vorzugehen, ist zugleich eine Geste der Entschlossenheit Richtung Warschau und Budapest. Allerdings kann bei diesem Verfahren nichts Vernünftiges herauskommen.

Das Bundesverfassungsgericht wird nie seinen Anspruch aufgeben, in extremen und offensichtlichen Fällen auch Akte der EU-Institutionen für rechtswidrig zu erklären. Deshalb müsste die EU-Kommission irgendwann Deutschland beim EuGH verklagen. Und der EuGH müsste dann – in eigener Sache – entscheiden, ob es richtig ist, EuGH-Urteile als unbeachtlich abzukanzeln. Da würde es keine Überraschungen und keinen Frieden geben.

Immerhin hat das Bundesverfassungsgericht im Streit um die EZB-Anleiheankäufe nicht weiter eskaliert und die von der EZB nachgeschobene Pro-forma-Verhältnismäßigkeitsprüfung gutwillig akzeptiert. Es spricht deshalb viel dafür, dass die EU-Kommission das nun eröffnete Vertragsverletzungsverfahren irgendwann ohne Klage im Sande verläufen lässt.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Christian Rath
Rechtspolitischer Korrespondent
Geboren 1965, Studium in Berlin und Freiburg, promovierter Jurist, Mitglied der Justizpressekonferenz Karlsruhe seit 1996 (zZt Vorstandsmitglied), Veröffentlichung: „Der Schiedsrichterstaat. Die Macht des Bundesverfassungsgerichts“ (2013).
Mehr zum Thema

3 Kommentare

 / 
  • 9G
    97287 (Profil gelöscht)

    Wasser auf die Mühlen der AfD.

  • Die EU wirft Polen vor , die Unabhängigkeit seiner Gerichte, insbesondere des Verfassungsgerichts, zu verletzen. Aber wenn das deutsche Verfassungsgericht in seiner Unabhängigkeit etwas entscheidet, was der EU nicht passt, soll das eine Vertragsverletzung Deutschlands sein, wobei sich die Frage stellt, was der deutsche Staat denn machen soll, um künftig Unbotmässigkeiten seines Verfassungsgerichts zu verhindern. Sollen die Verfassungsgerichte nun unabhängig sein oder nicht? Es ist schon bemerkenswert, welche Macht sich die EU-Kommission anmasst. Wenn sie damit durchkommt, wird sich die Frage stellen, ob das Grundgesetz noch das Papier wert ist, auf dem es steht.

  • Im Kern geht es darum, dass durch die überbordenen Ausgaben und den damit verbundenen Verbindlichkeiten für Deutschland Deutschlands Souveränität in Frage gestellt wird.

    Und das hat Karlsruhe ganz zu recht gerügt und davon sollte Karlsruhe sich auch nicht abbringen lassen.