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Neuer Landtag von Sachsen-AnhaltRegeln der Platzhirsche

Kommentar von Gunnar Hinck

Der Frauenanteil ist nicht nur in Magdeburg niedrig. Das liegt an den vielen CDU-Direktmandaten – bei der Bundestagswahl droht Ähnliches.

72% männlich: Der Landtag von Sachsen-Anhalt im Plenarsaal in Magdeburg Foto: Dietmar Gabbert/dpa

R und die Hälfte der Menschheit ist weiblich, auch in Sachsen-Anhalt. Nur spiegelt sich das nicht im neu gewählten Landtag wieder: Gerade mal 28 Prozent der Abgeordneten sind Frauen. Damit reiht sich Sachsen-Anhalt weiterhin bei Schlusslichtern wie Bayern und Nordrhein-Westfalen ein.

Beim Frauenanteil in den Parlamenten hat es zuletzt sogar Rückschritte gegeben, und das liegt nicht nur an der AfD. Auch die CDU sorgt dafür – bei ihr schlägt ein Phänomen durch, das bei der Bundestagswahl im Herbst noch sehr deutlich werden wird: Unions-Abgeordnete ziehen mit großer Mehrheit über die Direktmandate in die Parlamente ein, weil die SPD als ernsthafter Wahlkreiskonkurrent ausfällt und die Grünen es schwer haben werden, außerhalb ihrer Milieuinseln Prenzlauer Berg und Freiburg im Breisgau direkt in den Bundestag einzuziehen.

Quoten oder eher unverbindliche Quoren wie bei der CDU – die sie selbst regelmäßig ignoriert – bei den Landeslisten bringen nichts, wenn das Gros ihrer Abgeordneten direkt über die Wahlkreise einzieht. Hier gelten andere Regeln als beim Gerangel um die Listenplätze, zum Beispiel das Prinzip Platzhirsch.

Wer einem Mandatsinhaber in der eigenen Partei den Platz streitig machen will, muss entweder auf einen freiwilligen Verzicht (unwahrscheinlich) oder einen kleinen Skandal (auch unwahrscheinlich) hoffen. Oder er oder sie bringt die nötige Ruchlosigkeit und Netzwerke mit, um sich rechtzeitig hinter den Kulissen Mehrheiten zu organisieren – das sind bislang eher Männerdomänen.

CDU sollte sich neu erfinden

Auch im eigenen Interesse sollte gerade die CDU hinterfragen, ob es bei direkt Gewählten wirklich darauf ankommt, bei jeder Landstraßeneinweihung persönlich dabei zu sein und mit dem Feuerwehrchef Schnaps zu trinken. Auf die älteren konservativen Frauen, die treu CDU wählen, kann die Partei nicht ewig bauen.

Im Osten definierten sich selbstbewusste Frauen über ihre Leistung und nicht über das Binnen-I, sagte Reiner Haseloff. Das mag so sein, vermutlich sogar im Westen. Aber dann sollte seine Partei ihnen die Gelegenheit geben, leisten zu können.

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ist Redakteur im taz-Ressort Meinung.

4 Kommentare

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  • taz am 9.6.21 meinung und diskussion



    Auf einer einzigen Seite hat die taz herrlich viele Argumente präsentiert, warum der Anteil der Frauen in den Parlamenten gering ist: Die Dominanz der Platzhirsche und ihr Sozialverhalten, das viel Fehlverhalten widerspiegelt, die ständigen Abwertungen mit Delegitimierungen bis zu Diffamierungen, das Bedienen der alten Vorurteile und die männerbündisch perfektionierte Cliquenwirtschaft. Frauen den ihnen zustehenden Anteil an der Macht wirkmächtig und nachhaltig einzuräumen, das heißt auch für feministisch orientierte oder sympathisierende Männer, das tradierte Primat in der KandidatInnenkür über Bord zu werfen. Das geht vielleicht außer mit Quote nur mit der "Lysistrata- Methode": Platzhirsche mit zu viel Stallgeruch nach Lobby, Kumpanei und Seilschaft konsequent "links vs. rechts" liegen lassen und nicht wählen. Frau Dr. Merkel konnte auf die Frauenunion und ein Triumfeminat setzen und sie hat auch einzelne PolitikerInnen als EntscheiderInnen protegiert. Die Vorstellung einer Kanzlerin als Nachfolgerin mag vielen jungen Frauen, speziell Wechsel- oder ErstwählerInnen sympathisch erscheinen. Bei der Wahlbeteiligung ist übrigens immer Luft nach oben. Wer die Hälfte des Kuchens will, sollte auch über die Hälfte der Konditorei ernsthaft nachdenken, mindestens. Mehrheit, Klugheit aber auch Bescheidenheit, alles sprachlich feminin, Macht übrigens auch. Kanzlerin ist bei den Kleinsten inzwischen als Berufswunsch keine Utopie.

  • Ein Parlament muss nicht die Zusammensetzung der Bevölkerung repräsentieren, sondern den Willen der Wähler/innen.

    Die Bevölkerung hatte in Sachsen-Anhalt die Gelegenheit Parteien zu wählen mit hohem Frauenanteil auf den Listen.

    Die Wähler/innen haben sich aber nun mal anders entschieden und das ist zu respektieren.

    So funktioniert Demokratie.

    • @Argonaut:

      Wie vom taz-Autor korrekt dargestellt liegt es weniger an der Zusammensetzung der Listen als an den Direktmandaten. Aber auch für die gilt: Die Wählerinnen und Wähler hatten die Wahl und haben Wahlkreis für Wahlkreis individuell eben so und so entschieden. Sicher waren in jedem Wahlkreis auch Kandidatinnen zur Wahl gestanden - nur halt nicht von der CDU. Es stand den Wählerinnen und Wählern jedenfalls frei, demokratisch anders zu entscheiden.

  • Herr Hinck, wenn überhaupt Quote, dann ist die relevante Vergleichsquote nicht der Frauenanteil der Menschheit, sondern der Frauenanteil in den Parteien, denn aus den Parteien rekrutieren sich alle höheren Funktionen - alles andere wäre unfair.

    Niemand hindert die Frauen daran, verstärkt in die Parteien einzutreten und sich der trocknen Parteiarbeit zu widmen.

    Also, Frauen tretet in die Parteien ein!

    Exemplarisch hier die Zahlen für den Bundestag :

    Vergleicht man den Anteil der Frauen in den Parteien mit dem Anteil der Frauen im Parlament, so ergibt sich folgendes Bild:

    Frauenanteil in Parteien:

    Grüne 49,5%

    Linke 36,4 %

    SPD 32,6 %

    CDU 26,3 %

    FDP 23,7%

    CSU 20,7 %

    AFD 17,1 %

    de.statista.com/in...en-in-deutschland/

    Frauenanteil im deutschen Bundestag:

    Grüne 58,2 %

    Linke 53,6 %

    SPD 41,8 %

    CDU/CSU 19,9%

    FDP 22,5 %

    AFD 10,8 %

    de.wikipedia.org/w...undestag_seit_1949

    Zusammenfassend:

    „Aktuell (seit 2017) liegt der Frauenanteil bei drei Bundestagsfraktionen (Grüne, Linke, SPD) deutlich über dem Frauenanteil der jeweiligen Parteimitglieder, bei der FDP nahezu gleichauf und bei zwei Fraktionen (CDU/CSU, AfD) unter dem Frauenanteil der zugehörigen Parteimitglieder. „

    de.wikipedia.org/w...undestag_seit_1949