Möglicher Regierungschef Naftali Bennett: Siedeln als Programm
Vom Millionär zum Regierungschef? Der nationalreligiöse Naftali Bennett will Siedlungen im Westjordanland legalisieren. Ein Porträt.
Der modern-orthodoxe Jude Naftali Bennett lebt mit seiner säkularen Frau und vier Kindern in Israels Kernland und nicht in einer Siedlung in den besetzten Gebieten. Doch die Verbindungen, die Bennett in die Siedlerbewegung hat, sind kaum zu unterschätzen: 2010 wurde er für zwei Jahre Vorsitzender des Jescha-Rates, der Dachorganisation der jüdischen Siedlungen im Westjordanland.
Seine politische Karriere begann er 2006 als Stabschef von Benjamin Netanjahu, der damals in der Opposition war. 2012 trat er aus dem Likud aus, wohl auch wegen persönlicher Animositäten zwischen ihm und den Netanjahus, trat der nationalreligiösen Partei „Jüdisches Heim“ bei und wurde kurz darauf zu deren Vorsitzendem gewählt.
In einer Regierungskoalition unter Netanjahu hatte er diverse Ministerposten inne, unter anderem das Amt für Jerusalem-Angelegenheiten und das für Wirtschaft. 2019 wurde er unter Netanjahu Verteidigungsminister, sein Herzensamt, das er allerdings nur für sechs Monate innehatte.
Im Versuch, seine politische Anhängerschaft über das religiös-zionistische Lager hinaus zu erweitern und ein breiteres rechtes Publikum anzusprechen, gründete er mit Ayelet Shaked 2018 „Die neue Rechte“. Der Partei gelang bei den Wahlen 2019 nicht der Einzug ins Parlament, doch mit der Neuauflage „Jamina“ schaffte sie es bei den letzten Wahlen im März 2021 auf sieben Sitze.
Legalize it?
Gayil Talshir, Politikprofessorin an der Hebräischen Universität Jerusalem, hält Bennett für einen der radikalsten Köpfe in Sachen Siedlungsbau. Er trieb etwa das sogenannte Gesetz Junge Siedlungen voran, in dem es um die sogenannten Außenposten ging. Laut Völkerrecht sind alle israelischen Siedlungen in den besetzten Gebieten illegal, laut israelischem Recht nur die Außenposten, die oft nachträglich legalisiert werden.
Gayil Talshir, Hebräische Universität Jerusalem
Das Gesetz „Junge Siedlungen“ sollte 66 Außenposten innerhalb von zwei Jahren legalisieren. Das Oberste Gericht kippte das Gesetz jedoch 2020 – eine Entscheidung, die Bennetts und Shakeds Zorn auf sich zog und Shaked zu einer noch heftigeren Kritikerin des Obersten Gerichts machte.
Mit der radikalen Pro-Siedlungs-Linie stünde Bennett in der avisierten Koalition nicht alleine da. Rückendeckung hätte er nicht nur von den anderen Abgeordneten der Jamina-Partei, sondern auch von Zeev Elkin von der ebenfalls rechten Partei „Neue Hoffnung“, selbst prominenter Siedler, der sich ebenfalls die Legalisierung von Außenposten auf die Fahne geschrieben hat.
Frage um Außenposten noch nicht vollends geklärt
Die Außenposten dürften, so Talshir, eine der größten Zerreißproben für eine mögliche Einheitsregierung werden. Im Allgemeinen wird davon ausgegangen, dass die Taktik der Regierung die Beibehaltung des Status quo wäre. Doch wie die Regierung mit den Außenposten umgehen wird, werde sich zeigen müssen. „Auch ist die Frage, was am Ende in der Praxis geschehen wird und ob möglicherweise Siedlungen weitergebaut werden, ohne dass dies verkündet wird“, ergänzt Talshir.
Die meisten Analyst*innen sind sich außerdem darin einig, dass der Likud und die ultrarechte Partei Religiöser Zionismus aus der Opposition heftigen Druck ausüben und rechte politische Themen wie Siedlungsbau zu einem umstrittenen Thema machen würden, um die vermeintliche Unfähigkeit der Regierung zu demonstrieren.
In seiner letzten Wahlkampagne hat das Jamina-Duo den Fokus vom Thema Siedlungen hin zu wirtschaftlichen Themen gelenkt. Es wird sich zeigen, ob Bennett als Staatsmann in internationaler Arena noch weiter von seiner Rolle des Siedlerführers abrückt.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
VW in der Krise
Schlicht nicht wettbewerbsfähig
Grundsatzpapier des FInanzministers
Lindner setzt die Säge an die Ampel und an die Klimapolitik
Mögliche Neuwahlen in Deutschland
Nur Trump kann noch helfen
Kritik an Antisemitismus-Resolution
So kann man Antisemitismus nicht bekämpfen
Prognose zu KI und Stromverbrauch
Der Energiefresser
Anschläge auf „Programm-Schänke“
Unter Druck