Proteste in Moskau: Putins bizarre Parallelwelt

Mit keinem Wort erwähnt der Chef im Kreml Nawalny oder die Ukraine. Dabei zeichnet sich Putins nächster Akt schon ab. Und Europa schaut zu.

Eine Demonstrantin mit einem Plakat von Putin als Gefangenen.

Während Putin seine Rede hält, fordern Tausende „Freiheit für Nawalny“, Moskau, 21. April Foto: Maxim Shemetov/reuters

Sie ist schon bizarr, die Parallelwelt des Wladimir Putin. In seiner Rede an die Nation, mit der Russlands Präsident alljährlich seine Untertanen beglückt, verlor er erwartungsgemäß kein Wort über den inhaftierten Kremlkritiker Alexei Nawalny. Gleichzeitig schaffen es seine Un­ter­stüt­ze­r*in­nen landesweit wieder Tausende zu Protesten auf die Straße zu bringen. Das straft all jene Lügen, die „die Bewegung“ bereits tot gesagt hatten.

Denn es geht eben nicht nur um „Freiheit für Nawalny“, dessen Leben nach einem mehrwöchigen Hungerstreik am seidenen Faden hängt, sondern um demokratische Rechte für alle Russ*innen. Dass diese Erkenntnis mittlerweile auch den Kreml erreicht hat, zeigt das brutale Vorgehen gegen die De­mons­tran­t*in­nen: Über tausend Festnahmen, und das vielfach schon, bevor die Kundgebungen überhaupt begonnen hatten.

Selbst an Schü­le­r*in­nen vergreift sich die Staatsmacht, die unter dem Vorwurf des Extremismus einfach eingesammelt werden. Mindestens genauso aufschlussreich waren die Botschaften, die der Kremlchef an das Ausland richtete. Die Warnung vor gleichwertigen und harten Reaktionen, sollte eine „rote Linie“ überschritten werden, ist eine unverhohlene, durchaus ernst zu nehmende Drohung.

Dabei ist das genau das, was Russland selbst dieser Tage mit einem massiven Truppenaufmarsch an der Grenze zur Ukraine vorführt. Und es ist beileibe kein Zufall, dass Putin ein angeblich vereiteltes Attentat auf den belarussischen Staatschef Alexander Lukaschenko ins Feld führt. Das könnte bereits die schrille Begleitmusik zu dem Treffen der beiden Staatschefs an diesem Donnerstag in Moskau sein.

Denn das gesellige Beisammensein könnte mit einer freundlichen Einladung Moskaus an Lukaschenko enden, den Nachbarn einzugemeinden. Ohnehin ist Lukaschenko schon längst nur noch ein Herrscher von Putins Gnaden, der dem Kreml wie eine reife Frucht geradewegs in den Schoß fällt.

Sollte es tatsächlich so kommen, wäre für die Be­la­rus­s*in­nen wohl endgültig eine „rote Linie“ überschritten. Und dann? Zumindest vom Westen hätten die Menschen in Belarus in diesem Fall wohl kaum Unterstützung zu erwarten, von den üblichen Solidaritätsadressen einmal abgesehen. Das ist, vor allem für Europa, ein echtes Armutszeugnis.

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Geboren 1964, ist seit 1995 Osteuropa-Redakteurin der taz und seit 2011 eine der beiden Chefs der Auslandsredaktion. Sie hat Slawistik und Politikwissenschaft in Hamburg, Paris und St. Petersburg sowie Medien und interkulturelle Kommunikation in Frankfurt/Oder und Sofia studiert. Sie schreibt hin und wieder für das Journal von amnesty international. Bislang meidet sie Facebook und Twitter und weiß auch warum.

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