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Mutmaßliche Polizeigewalt in PotsdamKein Freund, kein Helfer

Patrick Yuma wurde 2019 in einer Polizeiwache verletzt. Eine Entschuldigung der Beamten gibt es bis heute nicht. Jetzt verlangt er Schmerzensgeld.

Sein Mittelfinger wird Patrick Yuma immer an die Nacht des 27. Oktober 2019 erinnern Foto: Wolfgang Borrs

Patrick Yuma spürte in der fast stockdunklen Zelle erst keinen Schmerz, aber was ihm auffiel, war das Blut. Wie es von seiner Hand tropfte, auf seine Jeans, auf den Zellenboden. Da bekam Yuma Panik. Er erkannte, dass das Blut aus seinem rechten Mittelfinger quoll, dass dieser nur noch eine zerquetschte Masse war. Und nun tat es auch weh. „Ich habe um Hilfe geschrien, gegen die Zellentür getreten, bestimmt zehn Minuten. Aber keiner kam.“ Bis Yuma dann irgendwann ohnmächtig wurde.

So erinnert Patrick Yuma die Nacht des 27. Oktober 2019. Als ihn die Polizei gegen 1 Uhr in der Potsdamer Innenstadt festnahm, ihn ein Beamter auf der Wache gegen seinen Willen rabiat in eine Gewahrsamszelle brachte – und dabei offenbar Yumas Finger in der Zellentür einklemmte. Er habe das in dem Trubel nicht bemerkt, sagt der Schwarze 19-Jährige. „Ich habe nur das ganze Blut gesehen, ich war unter Schock. Es war schrecklich.“

Patrick Yumas Hilferufe blieben ungehört, sechs Stunden blieb er alleine in der Zelle

Hilferufe ungehört

Patrick Yumas Hilferufe aber blieben ungehört. Sechs Stunden blieb er allein in der Zelle. Verletzt, blutend. Erst am nächsten Morgen schloss eine Polizistin aus der nächsten Dienstschicht die Zelle auf, sah das Blut und ließ Yuma mit einem Krankenwagen in eine Klinik fahren. Da war es jedoch bereits zu spät: Die Fingerkuppe musste amputiert werden.

Wäre er früher behandelt worden, hätte man eventuell noch etwas retten können, sagt sein Anwalt Falko Drescher. Nun wirft der Fall von Patrick Yuma die Frage auf: Wie rassistisch wird in der Polizei gehandelt? Wie konsequent werden Vergehen von PolizistInnen geahndet?

Patrick Yuma, gebürtiger Kenianer, lebt seit neun Jahren in Potsdam. Er macht inzwischen eine Ausbildung zum Bürokaufmann, begeistert sich für Fußball, arbeitet in Stadien als Ordner. Über die Nacht des 27. Oktober berichtet Yuma an einem Nachmittag im Mai in einem Beratungszimmer der Potsdamer Opferperspektive, einem Hilfsverein für Betroffene von Gewalt.

War es Rassismus?

Die Kapuze seines weißen Pullovers behält er im Gespräch auf, er redet in kurzen Sätzen, den Blick gesenkt, streicht dabei mit den Händen langsam über den Tisch. Ihm gegenüber sitzt Julian Muckel, sein Berater der Opferperspektive. Yuma heißt eigentlich anders, aber weil er nicht weiß, wie die Sache ausgeht, will er lieber anonym auftreten.

„Ich hatte vorher keine Probleme mit der Polizei“, sagt Patrick Yuma. „Aber jetzt ist es nicht mehr wie früher. Ich muss so oft an diese Nacht denken, manchmal träume ich davon, dann bekomme ich Angst und schlechte Laune.“ Und Yuma glaubt, dass es für die Polizei auch seine Hautfarbe war, weshalb diese Nacht so eskalierte.

Nur Yuma muss mit aufs Revier

Yuma war gerade 18 geworden, als er mit einem Bekannten von einer Geburtstagsfeier kam, erzählt er. Er habe zur Bushaltestelle gewollt, um nach Hause zu fahren. Unterwegs aber habe man eine andere Gruppe Jugendlicher getroffen, die sie angepöbelt hätten, auch mit rassistischen Ausdrücken. Er habe diese zur Rede gestellt, sagt Yuma. Der Streit sei wieder runtergekocht, auch weil er einen aus der anderen Gruppe kannte, der vermittelte. Dann sei plötzlich die Polizei gekommen.

Die Beamten hätten alle nach ihren Ausweisen gefragt. Er habe seinen nicht dabei gehabt, aber alle seine Daten genannt, beteuert Yuma. Dennoch hätten die Polizisten befohlen, er müsse mit aufs Revier kommen. Seinem Bekannten habe er noch gesagt, er solle an der Bushaltestelle warten. Dann fuhren sie aufs Revier. Die anderen konnten alle gehen.

Auf der Polizeistation habe ihm einer der Beamte dann eröffnet, dass er bleiben müsse und in eine Zelle komme. „Warum? Ich habe doch nichts gemacht!“, habe er immer wieder gesagt, erzählt Yuma. Der Beamte habe geantwortet: „Um weitere Straftaten zu verhindern.“ „Welche Straftaten?“, entgegnete Yuma. Als ihm ein Telefonat mit seiner Mutter erlaubt wurde und er ihr sagte, er werde aus rassistischen Gründen festgehalten, hätte der Polizist den Anruf empört unterbrochen.

Hilfe wurde ignoriert

Der Beamte habe ihn schließlich zu der dunklen Zelle geschleift, er habe weiter protestiert. Er sei in die Zelle geschubst worden, sei gestolpert und habe sich am Türrahmen festgehalten. Dann knallte die Tür zu. Offenbar mit Yumas Finger dazwischen.

„Ich glaube, jemand mit anderer Haut wäre anders behandelt worden“, sagt Yuma. „Dabei hatte ich mich doch benommen, habe meine Daten gegeben, bin mit zur Polizei.“ Warum aber sei nur er festgenommen worden? Warum habe er über Nacht in der Zelle bleiben müssen? Warum durfte seine Mutter ihn, den gerade mal 18-Jährigen, nicht abholen? Warum seien seine Hilferufe ignoriert worden?

Diese Fragen teilt auch sein Anwalt Falko Drescher. „Der Umgang mit Patrick Yuma ist komplett rechtswidrig, von der Gewahrsamnahme ohne richterliche Anordnung bis zur unterlassenen Hilfe. Dass da Rassismus reinspielte, ist eine Unterstellung, aber eine plausible.“

Vorwurf Pfefferspray und Betäubungsmittel

Das Brandenburger Polizeipräsidium bestätigt auf taz-Nachfrage im Wesentlichen den Vorgang. Man habe damals einen Notruf erhalten, dass ein 18-Jähriger in angetrunkenem Zustand andere Bürger mit Pfefferspray bedrohe, sagt ein Sprecher. Beamte hätten bei ihm dann tatsächlich ein Pfefferspray und Betäubungsmittel gefunden. Ein Atemalkoholtest habe einen Wert von über 1,2 Promille ergeben. Der Betroffene sei darauf „für mehrere Stunden“ in Gewahrsam genommen und gegen ihn eine Anzeige wegen Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz erstellt worden.

Yuma räumt ein, dass er damals nach der Geburtstagsfeier angetrunken war. Eine Bedrohung mit Pfefferspray aber bestreitet er. „Wir hatten mit Worten gestritten, mehr war da nicht.“ Das Pfefferspray habe er zur Selbstverteidigung dabei gehabt, es sei aber die ganze Zeit in der Tasche gewesen. Das Betäubungsmittel sei ein selbst gedrehter Joint gewesen. Beides habe er den Polizisten freiwillig ausgehändigt. Laut Staatsanwaltschaft wurden die Ermittlungen gegen Yuma inzwischen eingestellt.

Beamter „hinreichend verdächtig“

Wie es zur Verletzung von Yuma kam, dazu gibt sich die Polizei wortkarger. Hierzu würden ein Straf- und Disziplinarverfahren gegen einen Polizeibeamten geführt, bestätigt der Sprecher. Wegen des laufenden Verfahrens will er dazu keine Details mitteilen – auch nicht, warum Yuma überhaupt in die Zelle musste. Laut des Sprechers sind die Ermittlungen beim Kommissariat „Amtsdelikte“ des Landeskriminalamts inzwischen aber abgeschlossen, die Akte wurde der Staatsanwaltschaft Potsdam übergeben. Das Ergebnis: Der Beamte sei „hinreichend verdächtig, sich der fahrlässigen Körperverletzung im Amt strafbar gemacht zu haben“.

Ob es nun zu einer Anklage kommt, ist aber offen. Das Verfahren sei noch nicht abgeschlossen, heißt es aus der Staatsanwaltschaft. Auch das Disziplinarverfahren gegen den Beamten entfaltet noch keine Wirkung: Es ist laut Polizei bis zum Abschluss des Strafverfahrens ausgesetzt.

Tatsächlich scheint die Sachlage aber schon länger klar: Laut Anwalt Drescher sollen Fotos der Polizei selbst die Blutspuren in der Zelle zeigen, einige auch am Türschloss. Zudem bestätige auch ein rechtsmedizinisches Gutachten, dass Yumas Finger in der Tür eingeklemmt wurde. Aber erst nachdem die taz vor knapp einem Jahr, Ende Juni 2020, das erste Mal zu dem Fall bei der Polizei nachfragte, wurde Yuma zu einer Befragung eingeladen, später auch zu einer Tatrekonstruktion in der Polizeiinspektion.

Yuma stellte dort nach, wie er in die Zelle gezerrt wurde, wie er um Hilfe schrie. Opferberater Muckel, der ihn begleitete, sagt, die Rufe seien deutlich bis ins Büro der Wache zu hören gewesen. Auch das Blut in der Zelle könnten die Beamten nicht übersehen haben. Die Rekonstruktion wurde laut Muckel allerdings erschwert: Weil in der Zelle, in der Yuma inhaftiert war, just der Türspion ausgetauscht war.

Kein Einzelfall

Dass die Ermittlungen den Tatverdacht gegen den Polizeibeamten nun bestätigten, hat Yuma mit Erleichterung aufgenommen. Es ist keine Selbstverständlichkeit, im Gegenteil. Ein Forscherteam um den Bochumer Kriminologen Tobias Singelnstein befragte 2019 bundesweit 3.375 Personen, die angaben, Opfer von Polizeigewalt geworden zu sein. In 93 Prozent der Fälle wurden die Ermittlungen gegen Beamte eingestellt. Verurteilungen gab es bei diesen 3.375 Fällen nur sieben Mal. Auch in Brandenburg ist das kein Einzelfall. Laut Polizei wurden 2020 66 Mal zu Körperverletzungen im Amt ermittelt, dies betraf neben PolizistInnen auch andere Amtsträger.

Patrick Yuma fordert vom Land Brandenburg ein Schmerzensgeld von 10.000 Euro bis zum 1. Juni – wegen Körperverletzung, unterlassener Hilfeleistung und Freiheitsberaubung. Sein Anwalt Drescher möchte, dass das Land auch alle weiteren Schäden ersetzt, die durch Yumas Verletzung eventuell noch auftreten. Die Forderungen würden derzeit noch geprüft, heißt es aus dem Polizeipräsidium. „Bis heute gibt es keine Entschuldigung von der Polizei, keine Hilfe, nichts“, kritisiert Drescher. „Dieser Umgang ist typisch.“

Yuma ist weiter in psychologischer Behandlung. Wenn er nun einen Polizisten auf der Straße sieht, bekomme er einen „Herzschlag“, sagt er. Um sich an die Nacht des 27. Oktober 2019 zu erinnern, genügt ein Blick auf den rechten Mittelfinger – wenn er an der Computertastatur sitzt oder zu Messer und Gabel greift. Auch der Schmerz kehre immer wieder zurück, sagt Yuma. Dann fühle es sich an, als würde wieder ein Fingernagel durch die Haut wachsen. Aber da ist kein Fingernagel mehr.

Er müsse jetzt damit leben, sagt Yuma. Aber er wolle, dass der Beamte dafür verurteilt wird. Dass er am besten die Polizei verlässt. „Damit keinem anderen mehr passiert, was mir passiert ist.“

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10 Kommentare

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  • Kleiner Tipp: Dienstaufsichtsbeschwerde stellen!



    Sollte der Polizist weiter Beamter bleiben, bleibt eine Dienstaufsichtsbeschwerde fest in seiner Personalakte stehen und kann so seine weitere Karriere massiv behindern.

    • @Mainzerin:

      Es gibt doch schon ein Disziplinarverfahren. Was soll da eine zusätzliche Dienstaufsichtsbeschwerde bringen?

    • @Mainzerin:

      Wem ist damit geholfen? Das war offenbar ein Versehen. Eher Dienstunfall oä. Der Staat sollte zahlen und gut.

      In den Zellen gibt es flächendeckend und IMMER rote Notfallknöpfe. Geschrei allein wird u.U. nicht gehört (Keller/EG).

      • @Wonneproppen:

        Seltsam, wie Sie so Verständnis und Ausreden für die Polizei parat haben. In anderem Kontext hingegen kann ich mir vorstellen, dass Sie die Aufgaben der Polizei für wichtig und verantwortungsvoll halten - warum also nicht in diesem Fall?

  • 10 000 Euro ist viel zu wenig. Der Mann ist ja verstümmelt worden. Ich hoffe, der Polizist arbeitet nie wieder in so einer Position. Natürlich ist das Rassismus.

  • "Beamte hätten bei ihm dann tatsächlich ein Pfefferspray und Betäubungsmittel gefunden. Ein Atemalkoholtest habe einen Wert von über 1,2 Promille ergeben.".

    Tja.

    • @Wonneproppen:

      Jo, wenn die Person offensichtlich unter Drogen stand, wären die Beamt*innen verpflichtet gewesen, im Umgang mit dieser Person besonders umsichtig zu handeln.



      Dass dieses Umsicht-und Fürsorge-Gebot hier eindeutig nicht beachtet wurde, muss in jedem Falle zu lasten der Beamt*innen berücksichtigt werden.

    • @Wonneproppen:

      Was wollen Sie damit andeuten? Selbst Schuld? Das rechtfertigt Rassismus, das Abtrennen seines Fingers und unterlassene Hilfeleistung?

    • @Wonneproppen:

      Tja was?

      Tja, Herr Yuma ist selbst Schuld daran, dass die Polizei ihn verstümmelt, weil er ja betrunken war und das Spray & Joint dabei hatte?



      Tja, Die Verstümmelung ist die gerechte Strafe für Joint, Promille und Spray?

      • @Leon Kamae:

        Vielleicht: "Tja, moralische Nabelschau"?