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Sinnieren über Satire heuteKomödie und Tragödie

Was darf und soll Satire oder eben nicht? Und können die Deutschen überhaupt Komödie? Viele Fragen für die Abschiedsfolge dieser Kolumne.

„Komödie ist Tragödie plus Zeit“ sagte Woody Allen einmal Foto: Valery Sharifulin/imago

W enn ich mit meinen Kindern am Sonntag kurz die anstehende Woche bespreche, dann immer unter Vorbehalt: Ist morgen Schule oder nicht? In Frankfurt erfahren wir oft erst am Sonntagabend, ob wir am Montag Präsenzunterricht haben oder uns auf Homeschooling einstellen müssen. In Deutschland, dem Land der Ingenieurs- und Planungsweltmeister, wird seit 14 Monaten jede Woche aufs neue so getan, als sei Corona eben erst vom Himmel gefallen.

In Israel kann man schon wieder ins Café, hierzulande ist man noch damit beschäftigt, wenigstens die Generation Ü65 zu impfen. Man hatte alle Zeit der Welt, die Lage durchzuplanen, und im Gegensatz zu vielen anderen Ländern auch die nötigen Mittel. Stattdessen scheinen deutsche Po­li­ti­ke­r*in­nen nach wie vor vom Aberglauben befallen, die Probleme würden sich irgendwann von selbst lösen.

Das ist vor allem auch ein Stoff, an dem sich Sa­ti­ri­ke­r*in­nen bedienen können, und die Schauspieler*innen, die sich unter dem Hashtag #allesdichtmachen versammelt haben, wollten ihre Beiträge als Satire verstanden wissen. Sie sind aber auch künstlerisch gescheitert.

Satire darf alles, sagt ein Merkspruch, nur nicht langweilen. Nachdem wir jede Wochen Querdenken-Veranstaltungen sehen, auf denen mit Anne-Frank-Vergleichen, KZ-Uniformen und Judensternen provoziert wird, bin ich ehrlich gesagt gelangweilt, wenn die Allesdichtmacher Corona mit dem Zweiten Weltkrieg vergleichen.

Nicht nach unten treten

Satire tritt nicht nach unten, lautet ein anderer Merkspruch. Ich kann mir nicht vorstellen, was mehr Nachuntentreten symbolisiert als ein reicher Schauspieler, der die Geräusche der Beatmungsmaschinen imitiert, an denen derzeit Menschen in Todesangst hängen.

Satire ist eine Kunstform, aber die Mittel, derer sich die 53 bedienten, sind begrenzt; bis auf triefende Holzhammer-Ironie kommen mir die Beiträge künstlerisch äußerst schlicht vor. In der Aktion sehe ich das Satire-Label eher als Schutzbehauptung für Gepöbel.

Man hat die Mindestanforderungen an das Genre erfüllt, um sich notfalls hinter die Kunstfreiheit zurückziehen zu können – ähnlich wie bei dem berühmten israelkritischen Gedicht von Günter Grass, wo gerade noch die Zeilenumbrüche den Unterschied zum Facebook-Rant garantierten.

Ein Problem von Satire in heutiger Zeit scheint mir der fehlende Generalkonsens zu sein, auf den sie sich beziehen kann. In ihrer einfachsten Gestalt ist Satire ein Organ der Vernunft im Foucaultschen Sinne: Satire markiert und bestraft die Ab­weich­le­r*in­nen vom Konsens, die “Wahnsinnigen“ – in der Abgrenzung entsteht überhaupt erst die kulturelle Konstruktion von Wahn und Vernunft. In Zeiten einer stark polarisierten Gesellschaft, von Fake News und alternativen Fakten, gibt es aber nicht den einen Konsens.

Kollektiv der Vernünftigen

Das missfällt mir auch an moralischer Satire, die von links kommt. Wenn sich ein Jan Böhmermann aufs Kollektiv der Vernünftigen bezieht, zu denen Querdenker lediglich die verrückten Abweichler sind, unterschätzt er, dass die Gegenseite sich ebenfalls erfolgreich als vernünftiges Kollektiv konstruiert, das den “Irrsinn der Maßnahmen“ aufheben möchte.

Das führt dann zu Paradoxien wie dem Fall, dass ein Markus Söder plötzlich als Sympathiefigur verkauft wird, weil er für den harten Lockdown, also bei den “Guten“ ist; unabhängig davon, was der Mann vorher angestellt hat.

Um die Vernunft gegen wachsende Widerstände doch noch irgendwie herzustellen, professionalisiert sich Satire immer stärker: Böhmermann beschäftigt inzwischen einen Stab von Jour­na­lis­t*in­nen und Rechercheur*innen. Mir scheint das kein Weg zur Rettung der Satire – die Gegenseite investiert genauso, ein Wettrüsten der verschiedenen “Vernunften“ wird die Polarisierung eher noch verstärken.

Gute Satire zeichnet sich nicht aus durch Bescheidwissen und überlegene Vernunft, sondern durch Selbstzweifel, Unsicherheit, bewusste Naivität, sokratische Fragen und die Ausstellung der eigenen Fehlbarkeit.

Fake-Satiriker

Das Rezept gegen Fake-Satiriker vom Schlage der 53 wäre vielleicht genau das: wieder an der eigenen Vernünftigkeit zu zweifeln. „Komödie ist Tragödie plus Zeit“ sagte Woody Allen einmal. Vielleicht brauchen wir Deutschen einfach noch ein bisschen mehr Zeit. Nicht nur für die Impfungen, auch für gute Satire.

Für meine Kolumne hingegen ist die Zeit gekommen, dies ist nach dem Willen der Redaktion die letzte Folge. Ich bedanke mich für Ihr Interesse und die freundlichen Zuschriften und freue mich, wenn wir uns an anderer Stelle einmal wiedersehen.

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Meron Mendel
Meron Mendel ist Pädagoge, Historiker und Publizist. Seit 2010 ist er Direktor der Bildungsstätte Anne Frank in Frankfurt und Kassel
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4 Kommentare

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  • Gute Satire bestraft eben nicht die Abweichung vom Konsens, sondern legt nicht hinterfragte Glaubenssätze offen.

    Vor der Satire ist der König im Ideologiekleid nackt.

    Die beste Satire schafft es, dass sogar der König es bemerkt — die meiste Satire erreicht zumindest dessen Untertanen.

  • 8G
    85198 (Profil gelöscht)

    "Meine Damen und Herren, ich bin ein Narr. Ich war schon immer ein Narr, ich habe es nur nicht immer gewusst."



    Georg Kreisler: Ein Narr gibt Antwort (1980)



    Eine Perle, die bei YouTube wieder aufgetaucht ist.



    www.youtube.com/watch?v=hdHNfAPRZBI

  • Da ist sie wieder, die Langeweile. Nichts scheint schlimmer zu sein für manch eine*n als genau das: langweilig zu sein.

    Bleibt nur die Frage, wieso sich derart viele Besser-Wisser seit so vielen Tagen derart engagiert abarbeiten an 53 „Allesdichtmachern“, wenn die doch einfach nur langweilig sind. Wäre in dem Fall nicht zu erwarten gewesen, dass Deutschland kollektiv gähnt, sich ab- und anschließend spannenderen Themen zuwendet?

    Nein, aufregend ist nicht dieses ominöse „Allesdichtmachen“. Aufregend ist nur die Gelegenheit, der Welt mal wieder zu zeigen, wo ganz genau der große Hammer hängt und dass man ihn zu schwingen weiß. Stimmt schon: Von Satire verstehen wir Deutschen wenig. Viel verstehen wir nur von der Macht und ihrem Missbrauch. Autorität geht uns über alles. Über alles auf der Welt.

    Im übrigen frage ich mich, ob die, die gerade raunen davon, dass „Allesdichtmachen“ von Anfang an politisch gewesen sei, weil da einer mitmischt, der schon mal übel aufgefallen ist und dem jede Verschwörung zugetraut werden muss, ganz sicher sind, dass sie ihr Welt- und Menschenbild nicht von (Ur-)Großeltern geerbt haben, die vor 75 Jahren überzeugt waren, gegen Subversive Elemente, die dem Volkskörper schaden mit ihrem losen Maul, könne nur die ganze Entschlossenheit deutscher Kruppstahl-Härte zum Einsatz kommen. Oder von (Groß-)Eltern, die vor 35 Jahren ähnlich gedacht haben, nur ohne Krupp.

    Mir scheint, die Erfinder des Begriffes Neoliberalismus haben noch weit mehr Verwirrung gestiftet, als sie selber geplant hatten. Wenn Altes als neu und Autoritäres als freiheitlich durchgehen kann, wo sind dann die Grenzen? Dass Satire dann auch nicht mehr ist, was sie selbst früher nur ganz selten war, wundert mich unter diesen Umständen kaum. So wenig, wie es mich wundert, wenn Menschen, die keine Bodenhaftung mehr haben, keine tragfähigen Entscheidungen mehr treffen können. Schon gar nicht im Namen aller anderen

  • „Komödie ist Tragödie plus Zeit“ sagt Woody Allen und ich möchte noch hinzufügen: „Zeit ist Ewigkeit minus Leben“.