Volksbegehren Deutsche Wohnen enteignen: Enteignung wird günstiger

Vergesellschaftungen müssen wohl nicht zum Marktwert erfolgen: Ein wissenschaftliches Thesenpapier widerspricht der Kostenschätzung des Senats.

Unterstützer:innen des Volksbegehrens halten bei einer Demo Ende März 2021 ein großes Transparent. Darauf steht: "Keine Profite mit unserer Miete"

Könnte ein Schnäppchen sein: Die Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz Foto: imago/ipon

BERLIN taz | Die Enteignung großer Wohnungsunternehmen dürfte günstiger sein als gedacht: Entschädigungen für Vergesellschaftung nach Artikel 15 Grundgesetz müssen offenbar nicht nach dem Verkehrswert stattfinden. Das geht aus einem der taz vorliegenden Thesenpapier zu einer am Freitag stattfindenden nichtöffentlichen Fachdiskussion an der University of Applied Science in Frankfurt am Main hervor. Das dreistündige „Werkstattgespräch“ widmet sich mit Blick auf das Volksbegehren „Deutsche Wohnen & Co enteignen“ der Frage nach der Höhe einer möglichen Entschädigung. Dies geht nach Auffassung von Verfassungsrechtlerin Franziska Drohsel und dem Professor für Immobilenbewertung, Fabian Thiel, deutlich günstiger als zum Verkehrswert.

„Das Spezifikum an Artikel 15 Grundgesetz ist gerade, dass ein Wirtschaftsbereich dem Markt entzogen wird. Es ist nur folgerichtig, dass die Entschädigung dann nicht nach Marktprinzipien erfolgt und der Verkehrswert nicht als die relevante Bezugsgröße fungiert“, sagt Drohsel. Nötig sei eine breite Diskussion über Entschädigungsmaßstäbe für das juristische Neuland, auch gebe es großen politischen Spielraum.

Die Besetzung der digitalen Diskussion ist aus fachlicher Sicht durchaus prominent: Berlins Finanzsenator Matthias Kollatz (SPD) ist angekündigt, ebenso der FU-Rechtsprofessor Florian Rödl, der vor dem Bun­des­ver­fas­sungs­ge­richt den Berliner ­Mieten­deckel verteidigen soll. Auch Brun-Otto Bryde, ehemals Richter am Bundes­ver­fas­sungs­ge­richt, nimmt teil. Die derzeit Un­ter­schrif­ten sammelnde Initiative will aufgrund der anhaltenden Berliner Wohnungsnot große Immokonzerne mit mehr als 3.000 Wohnungen vergesellschaften, um sozialen Wohnraum zu schaffen.

Mit ihren Thesen erteilen die For­sche­r:in­nen der amtlichen Kostenschätzung des Senats eine Absage, wonach für Entschädigungen grob zwischen 28 und 36 Milliarden Euro angesetzt werden – also in etwa der jährliche Landeshaushalt Berlins. Nach Auffassung der Volksini hingegen müsse man eben nicht zum Verkehrswert entschädigen, weil man damit Immobilienspekulationen belohnen würde. Das Volksbegehren rechnet mit 8 Milliarden Euro. Diese seien über Kredite zu stemmen und sollen sich über Mieteinnahmen refinanzieren.

Je größer das öffentliche Interesse, desto weniger Kosten

Die Thesen der Wis­sen­schaft­le­r:in­nen bestätigen die Volksinitiative: „Ein pauschaler Verweis auf eine ‚Verkehrswertentschädigung‘ ist eine unzulässige, systemwidrige Vereinfachung, die weder in der Sache gerechtfertigt noch verfassungsrechtlich gefordert ist“, heißt es in dem Papier. Auch aus dem Europarecht ergebe sich keine Entschädigung in Höhe des Verkehrswerts bei gemeinnützigen Enteignungen.

In der Rechtsprechung habe sich vielmehr die Faustformel etabliert: „Je geringer die Entschädigung, desto höher das öffentliche Interesse.“ Gleichzeitig gelte es, eine „fair balance“ zu wahren und eine unverhältnismäßige Last der Betroffenen zu vermeiden. Man müsse Vergesellschaftung nach Artikel 15 von herkömmlichen Enteignungsentschädigungen unterscheiden und neue Bewertungsmaßstäbe entwickeln. Diese erforderten eine Abwägung zwischen Allgemeinheit und Betroffenen.

Die Au­to­r:in­nen des Thesenpapiers halten entsprechend eine Bewertung nach dem Pfandbriefgesetz (Paragraf 16 Absatz 2 PfandBG) für angemessener – hier werden bewusst spekulative Elemente nicht berücksichtigt. Eine genaue Summe nennt das Papier jedoch nicht.

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