piwik no script img

Guter Stoff statt „Fast Fashion“

Corona wirbelt die Mode- und Textilmärkte durcheinander. Branchenakteure mit zeitloser und langlebiger Ware sind in Krisenzeiten weniger verwundbar. Direkter Kontakt zu Produzenten und Dienstleistern zahlt sich aus

Von Bernward Janzing

Die Pandemie hat die Verletzlichkeit des Geschäftsmodells „Fast Fashion“ schonungslos offenbart. Textilfirmen, die im Extremfall im Monatsrhythmus die Billigläden mit neuen Kreationen fluten, haben in Zeiten geschlossener Läden natürlich ein massives Problem. Denn schon wenig später will den kurzlebigen Moderamsch niemand mehr haben. „500 Millionen Kleidungsstücke drohen zu Abfall zu werden“, beklagte jüngst Greenpeace – und bezog sich damit lediglich auf das Geschehen in Deutschland.

Ökotextilien sind dagegen deutlich besser aufgestellt – schlicht, weil es das Prinzip der Nachhaltigkeit gebietet, langlebige und damit auch eher zeitlose Mode zu kreieren. Entsprechend betont auch der Internationale Verband der Naturtextilwirtschaft (IVN) mit Sitz in Berlin, dass die Branche der nachhaltigen Kleiderproduktion derzeit besser durch die Krise komme als die konventionellen Mitbewerber. Zahlen gebe es dazu allerdings nicht, was auch daran liege, dass es so viele Siegel und Nachhaltigkeitsphilosophien gebe, dass eine genaue Statistik schwer ist.

Ein weiterer Vorteil der Naturtextilwirtschaft liege darin, dass die Lieferketten oft deutlich kürzer seien, betont der IVN. Man habe, oft schon alleine durch die nötige Zertifizierung der Ware bedingt, direkten Kontakt zu den Produzenten und Dienstleistern; die Ware gehe – ehe sie beim Kunden landet – durch weniger Hände und durchlaufe im Fertigungsprozess weniger Länder. Das mache die Warenströme übersichtlicher und damit in Pandemiezeiten besser beherrschbar. Hinzu komme der deutlich bessere Kontakt der Branche zu ihren Kunden, speziell weil die ökologischen Modelabel und Händler über deutlich mehr Stammkundschaft verfügten.

Den Vorteil erkennen nun offenbar immer mehr Akteure; die Hessnatur Stiftung beobachtet, dass Nachhaltigkeit in der Textilbranche enorm an Bedeutung gewonnen habe – und die Coronakrise treibe den Prozess weiter an: „Wir machen die Erfahrung, dass viele Firmen diese Zeit nutzen, um sich im Bereich Nachhaltigkeit besser aufzustellen“, sagt Rolf Heimann, Vorstand der Stiftung.

Vor allem die Hersteller von Billigklamotten sind stark von der Pandemie betroffen. In Europa und Nordamerika sei die Nachfrage nach Textilien drastisch eingebrochen, berichtet die Initiative Lieferkettengesetz. Es hätten Modeketten und Einzelhändler allein in Bangladesch Bestellungen in einem Gesamtwert von 3,15 Milliarden US-Dollar storniert oder zurückgestellt. Somit habe die Coronakrise „die Fragilität globaler Lieferketten auf dramatische Weise gezeigt“.

Hinzu komme, so formulierte es Nicole Pälicke von der Kleidermarke People Wear Organic in einem Brancheninterview, dass die „konventionellen Player über Jahrzehnte den Werteverlust im Textilkonsum maßgeblich selbst getrieben“ hätten. Es sei „nach wie vor zu viel qualitativ minderwertige beziehungsweise austauschbare Ware ohne eigenes Profil im Handel“ – Ware, „für die sich der Konsument nicht wirklich interessiert und die nur preisreduziert vermarktet werden kann“. Aber inzwischen, sagt Pälicke, sehe man in der Mode einen „Trend zu sehr gezieltem, also bedeutend weniger Konsum“. Und das kommt naturgemäß den Herstellern nachhaltiger Produkte zugute.

Nachhaltige Tipps

16 Prozent der Bundes­bürger:innen haben sich für 2021 vorgenommen, umweltbewusst(er) zu sein. Hierfür hat der „Nachhaltige Warenkorb“ einige kleine Tipps zusammengestellt. Im Bereich Kleidung etwa kann man versuchen, Kleidungsstücke so lange zu tragen, bis sie zu klein/groß geworden oder sie nicht mehr reparierbar und einfach kaputt sind. Gut erhaltene Kleidungsstücke, die nicht getragen werden, können an Freunde weitergeben, gespendet oder in einen Secondhand‐ Laden gebracht werden. So spart man zusätzlich auch noch einiges an Geld, weil man seltener einkaufen geht. Der Einkaufsführer, herausgegeben von den Regionalen Netzstellen Nachhaltigkeitsstrategien, gibt auch für andere Alltagsbereiche Tipps.

www.nachhaltiger‐warenkorb.de

Inzwischen treibt auch die Bundesregierung das Thema voran. Im Januar veröffentlichte sie einen „Leitfaden für eine nachhaltige Textilbeschaffung der Bundesverwaltung“. Entwicklungshilfeminister Gerd Müller sagte dazu: „Bei der öffentlichen Textilbeschaffung gelten ab jetzt klare Nachhaltigkeitskriterien – ob es um Polizeiuniformen oder Arztkittel geht.“

Auch für Privatkunden gibt es längst diverse Wegweiser im Warendschungel. Eines der jüngeren Siegel im Textilsektor ist der im Jahr 2019 durch das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit eingeführte „Grüne Knopf“. Er zeichnet Kleidung, aber auch Bettwäsche oder Rucksäcke aus, die nach besonders anspruchsvollen Sozial- und Umweltstandards hergestellt wurden. Der Klassiker aller Umweltsiegel ist unterdessen der Blaue Engel, den es auch für Kleidung gibt. Weitere Gütekennzeichen sind etwa die Better Cotton Initiative, Oeko-Tex oder auch das EU Ecolabel Textil, das offizielle Umweltzeichen der Europäischen Union. Das Öko-Institut listet ein gutes Dutzend an Textilsiegeln auf und beschreibt diese im Rahmen der Kampagne EcoTopTen.

Ein wichtiger Aspekt eines jeden nachhaltig ausgerichteten Konsums ist jedoch stets die Qualität der Ware. Bei der Auswahl der Textilien sollte „auf eine gute Qualität geachtet werden, die eine Langlebigkeit garantiert“, heißt es entsprechend auch im Nachhaltigkeitsleitfaden der Bundesregierung. Wobei langlebig bei Mode nicht nur physisch zu verstehen ist, sondern auch deren zeitlosen Stil umfasst, der sich nicht dem Diktat des ständigen Modewandels und der damit verbundenen Müllproduktion unterwirft. Es gelte, betont der Leitfaden, wie überall in der Warenwelt der Nachhaltigkeit, der einfache Grundsatz: „Je länger das textile Produkt genutzt beziehungsweise getragen wird, desto geringer sind seine Umweltauswirkungen.“

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen