Taiwan und China: Keine Panik trotz Säbelrasseln

Immer stärker droht China auch militärisch. Doch in Taiwan reagieren Regierung und Bevölkerung erstaunlich routiniert.

EIn Mann mit einem teller in der Hand

Ananasstücke in Nudel-Rind-Suppe: Dieser Koch wehrt damit wirtschaftlichen Druck aus Peking ab Foto: Chiang Ying-ying/ap

TAIPEH taz | Wie ernst Chinas Kommunistische Partei es mit ihrem Machtanspruch auf Taiwan meint, wurde wieder beim Volkskongress in Peking Anfang März deutlich. „Es gibt keinen Platz für Kompromisse oder Zugeständnisse“, sagte Außenminister Wang Yi. Die USA unter Präsident Joe Biden sollten nicht weiterhin „Linien überschreiten“ und „mit dem Feuer spielen“.

Genau das betreibt China selbst immer aggressiver, zumindest aus Sicht Taiwans und seiner inoffiziellen Schutzmacht USA. Die Medianlinie der Meerenge zu Taiwan etwa ignorierte Chinas Luftwaffe 2020 so oft wie seit Jahrzehnten nicht: An fast jedem dritten Tag drangen Kampfjets, Bomber oder Aufklärungsmaschinen in Taiwans Luftverteidigungs-Identifikationszone ein und zwangen Abfangjäger zum Aufsteigen.

Die Linie ist nicht völkerrechtlich verankert, trotzdem hatten beide Seiten sie seit der letzten größeren Krise 1996 respektiert. In Propagandavideos brüstet sich die Volksbefreiungsarmee mit simulierten Angriffen auf Taiwan und den US-Flottenstützpunkt Guam im Pazifik. Die Inselrepublik ist international kaum noch anerkannt.

Seit über 70 Jahren lebt Taiwan schon mit der Gefahr chinesischer Aggression. Von Panik ist unter den 23 Millionen Einwohnern aber nichts zu spüren. „Die Taiwaner haben sich an Chinas Drohungen gewöhnt“, sagt Brian Hioe, der das politische Onlinemagazin New Bloom herausgibt. „Es ist wie ein Hintergrundrauschen.“

Psychologische Kriegsführung mit Ananas

Soweit es China darum gehe, die Bevölkerung zu verunsichern, sei diese Taktik gescheitert. „Ob sie ein Kampfflugzeug schicken oder zwölf, macht in der Wahrnehmung keinen Unterschied.“

Doch selbst Ananas werden dabei zur Waffe der psychologischen Kriegsführung. Denn die wirtschaftlichen Verflechtungen zwischen beiden Seiten sind nach wie vor eng. Ende Februar stoppte China den Import der Früchte aus Taiwan wegen angeblicher Schadorganismen. Aus Taiwans Sicht sollte das Landwirte gegen die eigene Regierung aufbringen, der Peking die Schuld an den Spannungen gibt.

Weil die Exporte damit fast komplett wegbrachen, forderten die Behörden zum verstärkten Verzehr heimischer Ananas auf – und nach nur vier Tagen hatten zusätzliche Inlandsbestellungen von über 40.000 Tonnen den Verlust mehr als wettgemacht.

Ob Kampfflugzeuge oder Ananas, ein stoisches „Jetzt erst recht“ ist Taiwans gängige Reaktion auf Chinas Schikanen. Präsidentin Tsai Ing-wen gibt ihrem Land auf Twitter gern den Hashtag #IslandOfResilience, Insel der Widerstandsfähigkeit.

Mit dem Verpuffenlassen von Strafaktionen der Volksrepublik hat Tsai Erfahrung. Nachdem sie in ihrer Antrittsrede 2016 Taiwan nicht als Teil eines „einen China“ bezeichnete, drosselte Peking den Strom seiner Touristen. Doch obwohl immer weniger Reisegruppen vom Festland kamen, verzeichnete Taiwan bis 2019 einen Besucherrekord nach dem anderen.

Dann kam Corona. Doch die Krise bekam Taiwan auch deshalb so rasch in den Griff, weil es nicht auf China und die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hörte, sondern bereits Anfang Februar 2020 die Grenzen für Chinesen schloss.

Die strategischen Kräfteverhältnisse verschieben sich

Nach 2016 hatte Peking dafür gesorgt, dass Taiwan bei der WHO seinen Beobachterstatus verlor. Die internationale Aufmerksamkeit für Taiwans Coronamaßnahmen – bisher nur rund 1.000 registrierte Infektionen und 10 Tote – könnte wiederum China zu neuen Aggressionen angestachelt haben.

Die stetige Aufrüstung der Volksbefreiungsarmee verschiebt die strategischen Kräfteverhältnisse im Pazifik. Viele Beobachter fürchten: Fühlt die Parteiführung in Peking sich einmal stark genug, die USA von einem Eingreifen abzuschrecken, könnte sie einen Angriff auf Taiwan riskieren.

Schon innerhalb der nächsten sechs Jahre könnte dieser Punkt erreicht sein, warnte der Befehlshaber des US-Militärs im Indopazifik, Admiral Philip Davidson, bei einer Senatsanhörung am 9. März.

Taiwans Entscheidungsträger seien sich durchaus bewusst, dass die Drohungen eine neue Qualität erreicht haben, meint Hioe von New Bloom. Sie verzichteten aber auf öffentlichen Alarmismus, um China nicht in die Hände zu spielen: „Das würde das Narrativ stärken, dass Taiwan schwach ist und China es einnehmen kann, wann es will.“

Um eine Invasion zu verhindern und nötigenfalls bis zu einem amerikanischen Eingreifen zu verzögern, kauft Taiwan für Milliarden Dollar Waffen in den USA – unter Obama, Trump und künftig wohl auch unter Biden. Kein anderes Land ist bereit, gegen Chinas Druck der politisch isolierten Insel nennenswerte Rüstungsgüter zu liefern.

Experten sehen Schwächen bei der Verteidigungsfähigkeit

Doch das erklärte Ziel, 3 Prozent des BIP ins Militär zu stecken, erreicht Taiwan seit über zehn Jahren nicht. Die laufende Umstellung von der Wehrpflicht zur Berufsarmee sorgt für weitere Zweifel an Taiwans Verteidigungsfähigkeit. Experten fällen vernichtende Urteile sowohl zur Moral von Rekruten und Reservisten als auch zum Zustand der Ausrüstung.

Fluchtbewegungen aus Taiwan, wie zuletzt während der Krise von 1996, als China Raketen ins Meer nahe der Insel feuerte, gibt es derzeit nicht. Im Gegenteil: Taiwan ist gerade das Ziel für Menschen, deren Freiheiten noch stärker durch Peking bedroht sind. 10.813 Hongkonger erlangten vergangenes Jahr einen Aufenthaltsstatus in Taiwan – mehr als doppelt so viele wie im Vorjahr.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.