Verfassungsschutz berichtet in Hamburg: Querdenken im Visier des VS

Der Inlandsgeheimdienst stellt seinen Bericht vor und beobachtet Neuzugänge. Im Fokus stehen Coronaleugner*innen, aber auch linke Jugendgruppen.

Zwei Männer in einem prunkvollen Saal halten jeweils ein Buch in die Kamera

Stolze Präsentation: Verfassungsschutz-Chef Voß (l.) und Innensenator Grote mit ihrem neuen Buch Foto: Christian Charisius/dpa

HAMBURG taz | Wie gut der Verfassungsschutz wirklich als Frühwarnsystem gegen staats- und demokratiegefährdende Tendenzen funktioniert, darüber lässt sich streiten. Der Hamburger Innensenator Andy Grote (SPD) betont und lobt am Dienstag mehrfach diese zentrale Aufgabe des Inlandsgeheimdienstes, als er den Bericht des Hamburger Landesamtes für das Jahr 2020 vorstellt.

Die News: Als zweites Bundesamt nach Baden-Württemberg stuft der Hamburger Verfassungsschutz (VS) jetzt den lokalen Ableger der coronaskeptischen „Querdenken“-Bewegung als rechtsextremen Verdachtsfall ein. Allerdings fast ein Jahr nach deren Aufkommen und sechs Monat,e nachdem mehrere Landesämter unter Federführung des Bundesamts ein Sonderlagebild erstellt hatten, in dem sie vor einer neuen Form des Extremismus warnten. Auch der bayerische Verfassungsschutz beobachtet Teile der Querdenken-Szene.

„Die Zunahme an Radikalität und Militanz vor allem im engeren Organisationskreis bereitet uns Sorge“, sagt Grote bei der Vorstellung im Rathaus. Dabei gehe es dem Landesamt explizit um die Führungspersonen der beiden Gruppen „Querdenken 40“ und „Hamburg steht auf“ und nicht darum, legitime Kritik an den Coronamaßnahmen zu problematisieren.

„Man kann den ganzen Tag leugnen, dass es Corona gibt“, erklärt der Senator, „das ist von der Meinungsfreiheit gedeckt.“ Bei „Querdenken 40“ und „Hamburg steht auf“ beobachte man hingegen eine „aggressive verschwörungsideologische Delegitimierung des Systems, der Demokratie und ihrer Repräsentanten“ sowie die Bereitschaft zum Widerstand und zur Gewalt.

Viel mehr Rechtsextreme

Seit zwei Jahren erkennt auch der Hamburger Verfassungsschutz Rechtsextremismus als zentrale Bedrohung der demokratischen Gesellschaft an. Die Innenbehörde, der das Landesamt für Verfassungsschutz angegliedert ist, hatte deshalb 2018 eine Sonderermittlungsgruppe gegen Rechtsextremismus im Internet eingerichtet. Vor dem Hintergrund der rechtsterroristischen Attentate in Hanau, Halle und Kassel musste selbst Bundesinnenminister Horst Seehofer (CSU) im Februar 2020 zugeben, dass Rechte aktuell die größte Sicherheitsbedrohung in Deutschland darstellen.

In Hamburg hat sich das Personenpotenzial an Rechtsextremen nach Einschätzung des Landesamts im vergangenen Jahr um 50 Personen auf 380 vergrößert. Den Anstieg erklärt der Leiter des Landesamts, Torsten Voß, mit der Einstufung der AfD-Parteiströmung „Der Flügel“ im Mai als rechtsextrem. 40 Personen seien dadurch erfasst worden. 120 der als rechtsextrem geführten Personen gelten als gewaltorientiert. Als weitere, wenig überraschende Erkenntnis gibt Voß zu Protokoll, dass sich die rechte Szene von traditionellen Organisierungsformen wie Kameradschaften entfernt und ins Internet verlagert habe.

Aber der Verfassungsschutz wäre nicht der Verfassungsschutz, wenn er nicht auch die Gefahr betonen würde, die von links drohe. 74 Prozent der als linksextrem geführten Personen in Hamburg seien gewaltbereit, konstatiert Voß. Hamburgweit zählt das Landesamt in diesem Jahr 1.270 Linksextreme, das sind 20 weniger als im vergangenen Jahr. Die relevanten Strömungen seien Autonome, An­ar­chis­t*in­nen und Antiimperialist*innen. Von 229 links motivierten Straftaten seien zahlreiche in Solidarität mit dem Anarchotrio „Die Drei von der Parkbank“ erfolgt.

Mit 1.660 Is­la­mis­t*in­nen zählt der Verfassungsschutz (VS) in Hamburg eine vergleichsweise große Szene.

380 Rechtsextreme zählt der VS, davon 120 gewaltorientiert.

1.270 Linksextreme stehen dem gegenüber, davon 940 gewaltorientiert. Entsprechende Delikte belaufen sich aber nur auf 160.

175 Reichs­bür­ge­r*in­nen und Selbst­ver­wal­te­r*in­nen seien seit Ausbruch der Coronapandemie so aktiv wie nie zuvor.

Als weitere Bedrohung nennt der VS Cyberattacken, allerdings ohne Angaben von Zahlen.

„Hamburg stellt weiterhin ein Zentrum linksextremistischer Militanz in Deutschland dar“, sagt Grote. Bundesweit stelle sich die Frage, ob sich linksextreme Aktivitäten der Schwelle zum Linksterrorismus annäherten. Als Indikator dafür machen die Sicherheitsbehörden bei Linken eine gesunkene Hemmschwelle hinsichtlich der Gefährdung von Menschen aus.

Eine Erzählung, die der Verfassungsschutz immer wieder bemüht, ist die Entgrenzung, die linke aber auch islamistische Gruppierungen als gezielte Strategie einsetzten, um für breite Gesellschaftsschichten anschlussfähig zu sein. Dabei instrumentalisierten etwa Gruppen wie die Interventionistische Linke (IL) harmlose Themen wie Umweltschutz, Mieten oder Geschlechtergerechtigkeit. So meinte der VS bereits im vorvergangenen Jahr beobachtet zu haben, wie die Interventionistische Linke vergeblich versucht habe, Fridays for Future anzugraben.

Das vergangene Jahr ist für die IL offenbar besser gelaufen – im Sommer beobachtete der VS die Gründung der IL-Jugend, die sich aus den „Anti Kohle Kidz“ speise, einem jungen Ableger des Bündnisses Ende Gelände, das seinerseits wiederum extremistisch von der IL beeinflusst sei.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.